Donnerstag, 27. Oktober 2011

Langsamfahrt

Das Prellblog wünscht allen LeserInnen ein frohes neues Jahr 2012!
Die extrem lange Funkstille seit Mitte Oktober hat nicht nur mit Verlagsaufträgen und einem Tagungsvortrag zu tun - ich habe außerdem eine neue Nebentätigkeit (Assistent der Geschäftsführung der DGPhil), mein Lieblingsprojekt DenkWelten e.V. hat neue Aktivität entfaltet und ganz nebenbei hatte ich zu Weihnachten das erste Kapitel meiner Doktorarbeit einzureichen. Mein einziger guter Vorsatz für dieses Jahr ist es denn auch, in den kommenden Monaten wieder eine bessere Koordination zwischen Prellblog und sonstigen Tätigkeiten zu finden, so dass ich mich dem Wochenrhythmus wieder irgendwie annähern kann.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Bis Ende des Monats muss ich einen riesigen Verlagsauftrag bewältigen und ein Paper für eine Tagung vorbereiten, außerdem fehlen mir mal wieder die Ideen. Aber das Prellblog ist nicht tot!

Samstag, 24. September 2011

159: Kleinvieh

Dass die DB Netz AG etwas tut, was bei sämtlichen Akteuren im Schienenverkehr auf Zustimmung stößt, ist selten. Neulich ist jedoch genau das passiert; das Netz gab nämlich ohne großes Brimborium bekannt, dass ein »Netzfonds« mit einem Volumen von 130 Millionen Euro eingerichtet wird, aus dem in den nächsten vier Jahren 50 kleinere Baumaßnahmen finanziert werden sollen (»klein« heißt dabei »unter 10 Millionen Euro Investititionsvolumen«).
Diese 50 Vorhaben sind unter Vorschlägen aus der Netz AG selber, aus der Kundschaft (also auch aus Nicht-DB-Eisenbahnen) und aus dem Verband deutscher Verkehrsunternehmen VDV ausgewählt worden und umfassen unter anderem die teilweise Wiederinbetriebnahme des Rangierbahnhofs Bremen, das Aufbohren des Bahnhofs Rosenheim für kreuzungsfreie Einfahrten sowie neue Weichen, längere Überhol- und Bahnhofsgleise an verschiedensten Orten, also genau die Arten von Baumaßnahmen, die gemeinhin als von der DB vernachlässigt gelten. Doppelt interessant wird die Sache dadurch, dass die Investitionen sich betriebswirtschaftlich rentieren, also de facto durch Verkauf von mehr oder hochwertigeren Fahrplantrassen die Kapitalkosten wieder einbringen sollen. Wenn man wie ich den rentablen Betrieb eines Eisenbahnnetzes für im Grundsatz möglich und sinnvoll erachtet, freut man sich zu hören, dass das DB-Netz damit einen weiteren Schritt weg vom Handlanger für DB-Restkonzern und Bundesverkehrsministerium hin zu einem eigenverantwortlichen Dienstleister, der durch Generierung neuer Verkehre im gesamten Markt wachsen will, tut.
Natürlich sind 130 Millionen Euro über vier Jahre verteilt nicht ungeheuer viel Geld, auch wenn die verhältnismäßig unbürokratische firmeninterne Finanzierung den Kostenanteil, der dabei in staatliche und konzerneigene Verwaltungsapparate fließt, sicher niedriger halten wird als es bei den komplizierten teilweise oder ganz bundesfinanzierten Investionen ist. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob sich das Modell bewährt und der »Netzfonds« aufgestockt werden kann, um die Reaktionsfähigkeit des Netzes auf Kundenwünsche zu steigern.
Ich kann an Hand der Pressemitteilungen nicht beurteilen, ob das neue Finanzierungsinstrument auch den entlegeneren Ecken des Netzes zu Gute kommen wird (Rosenheim und Cuxhaven sind bahntechnisch ja nun nicht äußerste Provinz) und ob auch Ladegleise und ähnliche Zugangseinrichtungen finanziert werden. Meine Vermutung ist, dass die Einrichtung des »Netzfonds« auch präventiv gegen Forderungen wirken soll, mehr Strecken und Anlagen an DB-fremde, flexiblere und insbesondere den mittelständischen Güterkunden nähere kleine Infrastrukturunternehmen zu verkaufen und zu verpachten, denn auf diesem Gebiet herrscht bei der DB zumindest in gewissen Bereichen nach wie vor eine »Kunde droht mit Auftrag«-Mentalität. Ich hoffe, möglichst bald irgendwo eine Liste der 50 geplanten Vorhaben zu sehen zu bekommen, nicht nur aus reiner Neugier, was davon in meiner Nähe passieren könnte, sondern um ungefähr die Stoßrichtung und die Potenziale dieser neuen Entwicklung abzuschätzen.

Bild: »Joliet Jake« bei Wikimedia Commons (volle Auflösung, Details und Lizenz)

Montag, 22. August 2011

158: Deckel drauf und gut

Seit es Bahnstrecken gibt, auf denen genügend Züge fahren, um Signale und Stellwerke zu benötigen, bedeutet Eisenbahn nicht nur Schienen, Schwellen und Schotter, sondern auch Leitungen. Früher waren es Drahtzüge und Telegrafendrähte, mit ihren Masten und Spannböcken, wie ich sie als Kind von der Landstraße aus entlang der stillgelegten Glantalbahn bestaunt habe. Heute sind es Kabel aller Art - Stromkabel, die Weichenantriebe und Signale versorgen, Leitungen, über die zurückgemeldet wird, wenn Weichen verriegelt sind und Signallampen tatsächlich brennen, Kupferkabel und Glasfaserkabel, die verschiedene Computer untereinander und mit den Stellwerken verbinden sowie diese wiederum mit den Betriebszentralen, und Telefonkabel gibt es natürlich auch noch. Irgendwo müssen all diese Leitungen laufen.
Die in Deutschland übliche Lösung dafür sind Kabelkanäle neben der Strecke. Manchmal sind das Blech- oder Kunststofftröge mit Deckeln, die auf niedrigen Ständern stehen; meistens sind es flach vergrabene Rinnen aus U-förmigen Betonprofilsteinen, in die unzählige kleine Betonplatten als Deckel eingelegt sind, die bündig mit dem Erdboden abschließen. Wenn irgendwo an der Leit- und Sicherungstechnik einer Strecke gearbeitet wird, sieht man manchmal eine abgedeckte Rinne, neben der diese Deckelplatten zu Hunderten liegen, oder vielleicht auch einen Kanal, bei dem nur an einem Punkt ein paar Deckel abgenommen sind, um ein unwahrscheinliches Gewirr aus dicken, schwarzgrauen Kabeln freizusetzen. Das Praktische an der Betonlösung ist wohl auch, dass die zugedeckten Rinnen als Fußpfade fungieren können, wenn Personal an die technischen Installationen heranmuss.
Das alles ist noch harmlos. Aufwändig wird es beispielsweise, wenn so ein Kabelweg von einer Seite des Gleises auf die andere wechseln muss - dazu werden auf beiden Seiten Schächte aus Betonringen eingegraben, verbunden durch einen kleinen Tunnel. In größeren Bahnhöfen, wo natürlich besonders viele Kabel verlaufen, kann man sowohl auf Bahnsteigen als auch im Gleisfeld kaum einen Schritt machen, ohne auf einen Schachtdeckel zu stoßen.
All das ist überraschend teuer. Einer der Gründe, warum es so viel kostet, ein Stellwerk umzubauen oder auch nur die Technik eines Bahnübergangs zu modernisieren, ist, dass dies typischerweise damit einhergeht, viele hundert Meter oder eher viele Kilometer solcher Kabeltrassen zu bauen. Bei Bahnübergangsmaßnahmen macht der Kabeltiefbau sogar in der Regel den größten einzelnen Kostenblock aus.
Für das letzte Woche voll in Betrieb gegangene neue elektronische Stellwerk München-Pasing wurden allein von der Firma Railbeton 38 Kilometer Kabeltröge und 400 Kabelschächte geliefert; in der Baubroschüre der DB ist die Rede von 89 Kilometer Kabeltrassenbau, davon 42 Kilometer Tiefbau, mit Verlegung von 780 Kilometer Kabel (was übrigens heißt, dass im Schnitt an jedem Punkt der Kabeltrassen acht bis neun parallele Kabelstränge liegen). Es wundert insofern nicht, dass es auch Ansätze gibt, das alles billiger zu machen. Unter anderem gibt es mittlerweile Kabeltröge aus Verbundmaterial, die besonders leicht sind, oder auch mit speziellen stumpfwinkligen Enden, so dass gerade und gekrümmte Strecken durch Verbauen desselben Elements hergestellt werden können.
Die radikalste Lösung ist dabei die so genannte Schienenfußverkabelung. Da ist genau das drinnen, was draufsteht: Die Leitungen werden nicht in eigene Kabeltröge gelegt, sondern an den Schienen entlang gezogen und dazu an deren Fuß festgeklemmt. Dafür gibt es mittlerweile ein eigenes Produkt namens Duotrack, ein Doppelkabel bestehend aus einem Kupfer- und einem Glasfaserstrang, wofür die DB einen Rahmenliefervertrag abgeschlossen hat. Man spart sich damit nahezu den gesamten Kabeltiefbau. Nur Vorteile hat das aber auch nicht: Die offen zu Tage liegenden Kabel sind Wind, Wetter und UV-Strahlung ausgesetzt und werden durch die Durchbiegung der Schienen unter durchfahrenden Zügen, durch Schotterschlag und alle anderen denkbaren Umwelteinflüsse im Schienenbereich strapaziert. Zum Austauschen von Schienen und andere Instandhaltungsarbeiten müssen die Kabel demontiert und hinterher wieder angebracht werden. Doktrin der DB ist es daher, Schienenfußverkabelung nur auf nicht elektrifizierten Strecken mit weniger als 160 km/h Streckengeschwindigkeit einzusetzen. Um die Tröge, Kanäle und Schächte kommt man also bis auf weiteres nicht herum, auch wenn so etwas durchaus schlappe 60 000 Euro pro Kilometer kosten kann.
Bild: »Ingy the Wingy« bei Flickr (Details und Lizenz)

Mittwoch, 3. August 2011

Nachtlärm

Der Umbau der Verkehrsstation (Bahnsteige und Zuwegungen) des Marburger Hauptbahnhofs geht in die zweite Etappe: die zweite Kante des Hausbahnsteigs wurde jetzt auch erneuert, und das heißt wohl, dass jetzt auch dessen Fußboden, Entwässerung und Kabelschächte gebaut werden - bisher war da nach dem Umbau der ersten Kante nur provisorischer Kiesbelag. Der Schutt, die Betonteile, Pflastersteine, Rohre und überhaupt alles werden auf einem Platz direkt vor meinem Fenster umgeladen, und zwar auch und gerade jetzt zu nachtschlafener Zeit. Ich werde wohl noch ein paar Tage damit leben müssen, dass nachts Lastwagen und Radlader in mein Zimmer dröhnen.
Das erinnert mich daran, dass ich das Prellblog schon wieder sträflich vernachlässigt habe. Das hat unter anderem den Grund, dass ich wegen der ganzen Misere mit Stuttgart 21 schon seit Monaten merke, dass meine Lust, mich mit Bahnthemen zu beschäftigen, immer weiter in den Keller geht. Mit dem Unfug, jetzt auf einmal, weil Geißler eine zündende Idee hatte, eine vor 15 Jahren verworfene Bauvariante wieder auszugraben, in die man auch erst einmal wieder Jahre an Zeit und einen wahrscheinlich dreistelligen Millionenbetrag an Planungskosten investieren müsste, bevor sie dort ankommt, wo die beschlossene Variante heute ist, will ich mich überhaupt nicht befassen - ich sträube mich regelrecht körperlich dagegen, auch wenn das sicherlich keine sehr fachmännische Reaktion ist.
Dieser Tage war eigentlich entweder ein Artikel über Kabeltiefbau (eine bei der Eisenbahn überraschend wichtige Sache) oder eine Polemik des Titels »50 Gründe, warum die Bahn als Verkehrsmittel völlig unbrauchbar ist« geplant, aber ich kann mich zu keinem von beidem durchringen. Saure Gurken also - ich kann meine LeserInnen nur um Verzeihung bitten, dass hier nichts passiert, aber auch zu einem x-beliebigen Hintergrundartikel fehlt mir die Motivation. Und das, paradoxerweise, obwohl der wachsende Erfolg der Eisenbahn als Beförderungsmittel mir derzeit klarer vor Augen steht als zu den meisten Zeitpunkten in der Vergangenheit.
Vielleicht kann ja jemand etwas Inspirierendes kommentieren :)

Dienstag, 28. Juni 2011

157: Prüfungssituationen

Auch wenn ich ehrlich gesagt keine Lust mehr und deswegen wieder einige Wochen Haderzeit gebraucht habe: es lässt sich nicht vermeiden, nochmals über Stuttgart 21 (vgl. Prellblog 19, Prellblog 90, Prellblog 130, Prellblog 135, Prellblog 136, Prellblog 137, Prellblog 141, Prellblog 144, Prellblog 154) zu schreiben.
Das hat mehrere Gründe. Zunächst hatte die DB ein Preisschild mit der Zahl von 400 Millionen Euro an die von der neuen grün-roten Landesregierung verlangte Verlängerung des Baustopps bis zur angekündigten Volksabstimmung im Oktober geklebt. Auch wenn von verschiedenen Seiten angezweifelt wurde, dass diese Zahl realistisch sei: Förmlich beantragt wurde die Verlängerung dann erst gar nicht.
In den Medien war angesichts des nur schwachen Widerstands gegen die Wiederaufnahme der Bauarbeiten bereits von einem Ende der Protestbewegung die Rede. Am Montag letzter Woche kam es dann überraschend zu Ausschreitungen, bei denen Millionenschäden an Baumaschinen und -material angerichtet, ein Polizist zusammengeschlagen wurde und acht weitere Knalltraumata erlitten. Plötzlich war an der Wand wieder das Gespenst, dass Stuttgart 21 auf Grund von Sabotageaktionen unbaubar werden könnte, zu erkennen. Die umfangreiche Grundwasserführung in 17 Kilometer teils - wie vom Bau des Leipziger Citytunnels bekannt - offen aufgeständerter Rohrleitungen ist nicht permanent polizeilich zu schützen, wie der Stuttgarter Polizeipräsident bereits eingeräumt hat.
Vor dieser Kulisse wird also die Frage hoch relevant, wie die Motivation und Aktionsbereitschaft der Protestierenden entwickeln werden. Und dies wiederum wird ganz sicher immens dadurch beeinflusst, wie alle beteiligten Akteure sich darauf beziehen, dass und wie die am 14. Juli angesetzte Vorstellung des Ergebnisses des so genannten "Stresstests" stattfindet.
Die Presse hat vorab vermeldet, dass der Test die geforderte Bestätigung durch ein unabhängiges (und recht kritisches) Institut, dass der geplante Bahnhof 30 Prozent mehr Kapazität in Spitzenlastzeiten erreichen könne als der bestehende, und dies ohne den vertraglich fixierten Kostenrahmen durch große Erweiterungen zu sprengen, höchstwahrscheinlich erbringen werde. Angeblich sollen 40 Millionen Euro Mehrkosten für ein bisschen mehr Signaltechnik und eine zweigleisige Anbindung des Flughafens reichen. Der neue baden-württembergische Verkehrsminister kritisierte, die Unterlagen, qua derer diese Nachricht durchgesickert sei, haben ihm nicht vorgelegen, was wiederum die DB dementiert und zu Rücktritts- und Abwahlforderungen geführt hat. Teile der Protestbewegung haben angekündigt, der Bekanntgabe des Ergebnisses gar nicht erst beiwohnen zu wollen, und haben damit den Konsens zwischen Gegnern und Befürwortern, das Ergebnis als ein neutrales anzuerkennen, durchbrochen. Der Schlichter Heiner Geißler hat bereits damit gedroht, seinerseits der Verkündung fernzubleiben, wenn das Ergebnis bereits im Vorfeld als tendenziös angegriffen werde.
Das Projekt Stuttgart 21 wird also nicht wegen ausufernder Mehrkosten in sich selbst zusammenbrechen, wie bisher von der Gegnerseite erhofft. Die für den Herbst angesetzte Volksabstimmung wird vermutlich wegen des hohen Quorums scheitern, sofern die Verfassung nicht mehr rechtzeitig geändert werden kann, woran allerdings kaum jemand mehr glaubt.
Die oben angerissene Frage nach Umfang und Art weiterer Proteste wird beantwortet werden und darüber entscheiden, welches der beiden derzeit einzig plausiblen Szenarien sich realisiert: Entweder erstirbt der Widerstand (still und leise oder nach einer vorschnellen Eskalation mit abschreckenden Gewaltexzessen) und Stuttgart 21 wird gebaut; oder die Gewalt gegen Personen und Sachen nimmt derartige Ausmaße an, dass sich die Deutsche Bahn zurückziehen muss. Eine Verhinderung des Baus durch friedliche Proteste halte ich nicht mehr für wahrscheinlich.
Elegant wäre natürlich eine Art passiver Widerstand der Landesregierung, beispielsweise in Gestalt einer Erklärung von Innenministerium und Stuttgarter Polizei nach weiterer Eskalation, dass die polizeiliche Sicherung der Baustelle angesichts des Ausmaßes der Protestaktionen nicht mehr garantiert werden könne. Für einen solchen Fall rechne ich allerdings, solange nicht auch eine grün-rote Bundesregierung gewählt wird, mit massiver Entsendung von Bundespolizei. Dass es verschiedene, eventuell jahrelange Prozesse staatsorganisations-, straf- und zivilrechtlicher Art geben wird, halte ich ohnehin für ausgemacht.
Alles in allem sollten wir uns, so meine ich, an den Gedanken gewöhnen, dass Stuttgart 21 realisiert werden wird. Ich persönlich habe nicht viel dagegen.

Bild: "Terrazzo" bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 9. Juni 2011

156: Näherungslösungen

Der Berliner Hauptbahnhof hat kürzlich seinen fünften Geburtstag gefeiert und man hat sich an ihn gewöhnt, auch wenn das Feuilleton sich an seinen realen oder imaginierten architektonischen und städtebaulichen Schwächen weiterhin abarbeitet. Man hat sich auch daran gewöhnt, dass nahezu alles, was den Bahnhof räumlich und logistisch umgibt, den Charme des Provisorischen atmet. Als er fertiggestellt wurde, gab es nahezu keine angrenzende Bebauung, beide Vorplätze waren nur vorläufig hergerichtet, und weder Nord-Süd-S-Bahn-Linien noch U-Bahn noch Straßenbahn hielten.
All dies ändert sich mittlerweile schrittweise. Um den Bahnhof herum entstehen zögerlich, aber nachdrücklich die ersten Teile der neu zu entwickelnden Stadtviertel, für die bereits teilweise die Erschließungsstraßen herumliegen; dazu gehören unter anderem gleich mehrere Low-Budget-Hotels, über die viel geschimpft wurde, die ich persönlich aber bloß als logischen und unvermeidlichen Teil eines Bahnhofsumfelds empfinde. Der südliche Vorplatz wird mittlerweile weitgehend endgültig ausgebaut - weitgehend endgültig deswegen, weil immer noch nicht klar ist, ob und für wen der dort vorgesehene kubische Solitärbau, der das Zeug zu einem der exponiertesten und auffälligsten Firmenhauptquartiere Deutschlands hat, entstehen wird. Die U-Bahn hält seit August 2009 in der Tiefebene, fährt von dort zwei touristisch sehenswürdig hergerichtete Stationen weit zum Brandenburger Tor und harrt der Fertigstellung ihrer Verlängerung zum Alexanderplatz.
Und seit drei Tagen tut sich auch, was die S-Bahn und die Straßenbahn angeht, etwas. Für einen dreistelligen Millionenbetrag wird eine nördliche S-Bahn-Zuführung geschaffen, die in beide Richtungen in die Ringbahn einbindet. Da hiermit ein weitgehendes Aufreißen des nördlichen Bahnhofsvorplatzes und der diesen querenden Invalidenstraße verbunden ist, wird im selben Aufwasch die genannte Straße gleich mit umgebaut und dabei auch die 2200 Meter lange Straßenbahnverlängerung vom Nordbahnhof zum Hauptbahnhof erstellt. Nach Süden soll die neue S-Bahn-Anbindung in einem zweiten Bauabschnitt zum Potsdamer Platz verlängert werden, und irgendwann in frühestens zirka 20 Jahren soll sie beim Gleisdreieck an die Strecke durch Schöneberg und diese wiederum durch eine wiederherzustellende Verbindungskurve auch im Süden an die Ringbahn angeschlossen werden.
All das ist teuer, kompliziert und dauert. Wie im Prellblog schon des öfteren thematisiert, haben Verkehrsbauten, gerade wenn sie die Eisenbahn betreffen, zunehmend systemintegrierenden Charakter und tendieren daher nicht nur in dem, was tatsächlich irgendwann gebaut wird, sondern vor allem im Konzeptions- und Planungsvorlauf zu ausufernder Komplexität. Die U-Bahn-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof, deren Hauptteil derzeit in Bau ist, zeigt wiederum, dass sich nicht nur die verschiedenen Verkehrsnetze und Entwicklungsziele miteinander verzahnen, sondern auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Der Wiederaufbau des Stadtschlosses als Humboldt-Forum muss der Fundamente wegen mit dem Bau der U-Bahn koordiniert sein, dafür sind nun wieder archäologische Rettungsgrabungen notwendig, die Funde freigelegt haben, die das Schlossprojekt bereits beeinflusst haben und auch die Idee, eventuell doch größere Teile der Berliner Altstadt zu rekonstruieren, beflügeln. Grundsätzlich geschehen beim Bau jeder größeren Bahnstrecke in einer Großstadt auch so genannte Bauvorleistungen beziehungsweise werden solche genutzt - vorsorglich angelegte Tunnelabschnitte, freigehaltene Geländestreifen und zum einfachen Abriss vorgesehene Gebäudeteile sprenkeln die Karte.
In einer Zeit, in der man einerseits gar nicht mehr so heimlich die Idee übergreifender, diskursarmer Planung, technokratischer Strategien, des Durchschlagens von Entscheidungsknoten bejubelt (China! China, und immer wieder China!), andererseits aber radikale Eingriffe in staatliche Planung durch Partizipation von unten gefordert werden (Oben bleiben!), lohnt es sich, Phänomene wie die Peripherie des Berliner Hauptbahnhofs in den Blick zu nehmen und sich bewusst zu machen, dass die notwendige Unvollkommenheit allen menschlichen Strebens, dass Zeitaufwand, iterative Entwicklung und Entscheidungsfindung, unbeabsichtigte Nebenfolgen und Eigendynamiken sich nicht ausblenden lassen.

Bild: »Uglynoid« bei Flicker (Details und Lizenz)

Dienstag, 17. Mai 2011

Mir ist bewusst, das ich wieder einen Monat im Verzug bin, aber ich habe im Moment keine einfachen Themen auf Lager (beziehungsweise ich will nicht schon wieder über den ICx oder Lokomotiven schreiben). Der Plan ist im Moment, einen oder mehrere ausführlich recherchierte Artikel über die Angebotsentwicklung auf typischen Strecken vorzulegen, aber dazu hatte ich die vergangenen Tage keine Zeit.

Samstag, 16. April 2011

155: Also doch

Ob man es nun in beliebter Weise auf »den Börsengang« schiebt oder sich mit Spekulationen über die Gründe zurückhält: die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Jahren erhebliche Investitionen in ihren Fahrzeugpark hinausgeschoben. Bereits 2003 gab es Planungen zu einer Neubeschaffung der Intercity-Wagenflotte, die demnächst schon zum zweiten Mal »interimsmäßig« renoviert werden muss, da nach wie vor kein Ersatz in Sicht ist; und Ausschreibungen von Diesellokomotiven, sowohl für den Strecken- also auch für den Rangiereinsatz, im Personen- und im Güterverkehr, tauchten schon mindestens genauso lange regelmäßig am Horizont auf, ohne je näher zu kommen. Zulassungsschwierigkeiten und die allgegenwärtigen Achsprobleme machen die Lage nicht einfacher. Immerhin wurden vor zweieinhalb Jahren 130 neue Rangierlokomotiven bestellt (siehe Prellblog 66) und vor etwas über drei Monaten Doppelstockzüge für den »langsamen« Fernverkehr (siehe Prellblog 148).
Dieser Tage scheint nun der Befreiungsschlag zu geschehen: die steckengebliebenen Verhandlungen mit Siemens über die Lieferung von 220 bis 300 Fernverkehrs-Triebzügen (Arbeitstitel »ICx«) sollen zu einem Ergebnis gekommen sein, an Gründonnerstag wird die Unterzeichnung der Verträge erwartet. Siemens darf sich über fünf bis sechs Milliarden Euro freuen, zahlbar bei Abnahme (dies ist für neuentwickelte Züge relativ ungewöhnlich), also verteilt über zirka den Zeitraum 2015-2030. Kein Konsortialpartner wie bei früheren ICE-Baureihen, sondern nur noch Hauptzulieferer, aber dennoch dick am Kuchen beteiligt, ist Bombardier.
Die Québecer wurden darüber hinaus nach Presseangaben noch mit einem Auftrag über 200 Streckendiesellokomotiven im Wert von zirka 600 Millionen Euro beglückt. Die Maschinen sollen sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr nutzbar sein. Da es sich dabei nur um den Typ »TRAXX DE«, also auf einer gemeinsamen Plattform mit den Elektrolokomotiven dieser Familie stehende dieselelektrische Lokomotiven, handeln kann, bedeutet diese Bestellung auch einen schweren Schlag für die dieselhydraulische Kraftübertragung, die bei der DB aus Bundesbahntradition heraus einen starken Stand hat. Ich vermute, dass es bei Voith ein paar Tränen gegeben hat, denn außer über eine größere Bestellung der DB wüsste ich nicht, wie sie ihr Produkt »Maxima« und damit überhaupt dieselhydraulische Lokomotiven neuerer Generation auf dem Personenverkehrsmarkt etablieren sollten. Das Zeitalter nennenswerter Anzahlen dieselhydraulisch angetriebener Reisezüge ist damit möglicherweise vorbei.
Die ICx-Lieferung ist aber definitiv die größere Nachricht: Immerhin sollen die zu liefernden Züge sowohl die InterCity/EuroCity-Wagen der DB also auch die ersten beiden ICE-Baureihen ablösen. Für die IC/EC-Ersatzfahrzeuge ist eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h vorgesehen (also eine Steigerung gegenüber den gegenwärtigen 200 km/h), für die ICE-Ersatzfahrzeuge 250 km/h mit einer bloßen Option auf 280 km/h, die Höchstgeschwindigkeit der ICE 1 und 2, die jedoch gegenwärtig ohnehin selten ausgefahren wird. Ob die neuen Fahrzeuge auch mit den Steigungen der Neubaustrecke Köln-Frankfurt zurechtkommen sollen, habe ich noch nicht nachlesen können. Selbstverständlich gibt es bisher auch keinerlei Bilder und Zeichnungen - die Züge sollen vollständige Neuentwicklungen sein. Klar ist nur eines: Es wird Heulen und Zähneklappern bei denen geben, die bei jeder Gelegenheit die völlige Abschaffung von IC und EC befürchten und die diese Tarifierungsfrage mit der Frage verwirren, ob es bei der DB weiterhin lokbespannte Fernzüge geben wird oder nicht. Dass ich bisher noch nichts in diese Richtung vernommen habe, lässt allerdings vermuten, dass die üblichen Verdächtigen vielleicht nicht mehr ganz so laut sind wie früher.

Bild: Les Chatfield (»Elsie esq.«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Samstag, 9. April 2011

154: Signalwirkung

Der baden-württembergische Landtag wird, wenn nichts völlig Unvorhersehbares passiert, am 12. Mai Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten an der Spitze einer grün-roten Landesregierung wählen. Bekanntlich sind Kretschmann und die Landesgrünen Gegner des Projekts Stuttgart 21 (hierzu siehe die Berichterstattung im Prellblog seit 2007: 19, 90141, 144), die Landes-SPD plädiert für ein Referendum. Die Handlungsoptionen der kommenden Landesregierung und die potenziellen Folgen sind unklar und umstritten. DB und Bundesregierung haben sich bereits positioniert, wenn auch mit jeweils widersprüchlichen Signalen: DB-seitig wurde einerseits verkündet, Bau und Vergaben bis mindestens zur Ministerpräsidentenwahl ruhen zu lassen, andererseits aber, dass das Vorhaben mit Nachdruck verfolgt und im Falle eines Abbruchs maximale Entschädigungen eingefordert würden; seitens der Bundesregierung drohte Verkehrsminister Ramsauer einerseits damit, bei einem Abbruch des Projekts die entsprechenden Fördermittel »blitzschnell« in anderen Bundesländern einzusetzen, andererseits wies er darauf hin, dass der eigentliche Anlass für Stuttgart 21, nämlich der Bau der Neubaustrecke nach Ulm, auch ohne den tiefgreifenden Umbau des Hauptbahnhofs stattfinden könnte.
Ich möchte hier keine Szenarien skizzieren, weil mir die Datenlage einfach zu vage ist; statt dessen gebe ich noch einmal kurz wieder, was ich für die wichtigsten Kernpunkte zum Thema halte:

Das Kostenargument der Gegnerseite ist vorgeschoben; der Budgetoptimismus der Befürworterseite ist überzogen. Alle großen Infrastruktur-Bauprojekte leiden darunter, dass Budgets erheblich überschritten werden; es gibt auch keinen Grund, warum eine andere Einbindungslösung für die Neubaustrecke mit einem kleineren Budgetrisiko verbunden sein sollte als Stuttgart 21. Große Teile der Planungskosten für Stuttgart 21 sind außerdem bereits versunken, während keinerlei ausgearbeitete Alternativplanung existiert. Die Budgetdiskussion mit ihren »Sollbruchstellen«, »Einsparpotenzialen« und »Risikoabsicherungen« ist letztlich ein Jonglieren mit Luftzahlen, in denen sich politische Willenserklärungen mindestens genauso niederschlagen als wirtschaftliche Abwägungen.

Das Fahrzeitargument der Befürworterseite ist vorgeschoben. Stuttgart 21 ist in erster Linie ein städtebauliches Projekt. Der Bahnhofsumbau allein trüge nicht nennenswert zu kürzeren Fahrzeiten bei, dies täte vor allem die Neubaustrecke nach Ulm. Fahrzeitkürzungen im Bereich derer, die durch den Bahnhofsumbau zu erwarten sind (unterer einstelliger Minutenbereich), sind auch mit anderen Mitteln zu erreichen (stärkere Triebfahrzeuge, Anpassung von Bahnsteighöhen im Umland). Was Stuttgart 21 ausmacht, ist, dass es in großem Rahmen neue Flächen im engen Talkessel schafft. Rein verkehrlich ist der neue Bahnhof nicht zu rechtfertigen.

Der »Kopfbahnhof 21«, den die Gegnerseite propagiert, ist kein konkretes Konzept und auch nicht die einzige andere Lösungsmöglichkeit. Es handelt sich lediglich um ein loses Bündel von Vorschlägen, das Jahre und hohe Millionensummen brauchen wird, bevor es überhaupt mit einem gewissen Recht als ein ausführungsfähiger Entwurf bezeichnet werden kann. Auch der »Kopfbahnhof 21« wird kilometerlange Tunnelstrecken brauchen sowie vermutlich eine nur schwer durchzusetzende neue Trasse (eventuell auf Ständern) durch das dicht besiedelte Neckartal. Je nach der Radikalität der Vorschläge müsste auch gleich die Neubaustrecke nach Ulm, das eigentliche Kernprojekt, umgeplant werden, woran Bund und DB sicher kein großes Interesse haben. Es waren im Übrigen in der Anfangsphase der Planungen auch »Zwischenlösungen« im Gespräch, zum Beispiel der Hinzubau von querliegenden Tiefgleisen zum bestehenden Hauptbahnhof - die Entweder-Oder-Frage »Tiefbahnhof oder Kopfbahnhof?« ist eine rein politisch konstruierte.

Studien und »Stresstests« sind mittlerweile nur noch Manövriermasse. Beide Seiten operieren in der Diskussion um Stuttgart 21 mit verschiedensten Studien und Expertisen teilweise fragwürdiger Abkunft: der so genannte »Stresstest« ist auch nichts anderes als eine im »Schlichtungsverfahren« besonders abgesegnete Studie, der mittlerweile von der Gegnerseite ebenfalls die Legitimation abgesprochen wird. Es gibt immer genügend Parameter, an denen man drehen kann, um den neuen Bahnhof mehr oder weniger leistungsfähig erscheinen zu lassen.

Ich bin weiterhin leidenschaftsloser Befürworter des Projekts und kann weiterhin keine Einschätzung dazu geben, wie es mit ihm weitergehen wird. Wie früher angedeutet, halte ich den geschehenen und noch kommenden politischen und kulturellen Flurschaden durch den beiderseits fragwürdigen Umgang mit der Sache für jetzt bereits größer als allen Schaden, den ein wie auch immer gearteter Bahnhofsumbau, der es durch die Hürden des deutschen Planungsrechts schafft, anrichten könnte. Und auch wenn man mir dafür Überempfindlichkeit vorwerfen mag: Dass es anscheinend quer durch die Gesellschaft wieder salonfähig geworden ist, gegen den Verkauf von Boden aus »Volkseigentum« an »Spekulanten« zu agitieren, halte ich persönlich für am schlimmsten.

Bild: »jpmueller99« bei Flickr (Details und Lizenz)

Samstag, 2. April 2011

Schreck in der Abendstunde

Ich bin derzeit wieder einmal auf Reisen, und statt eines regulären Prellblog-Artikels möchte ich nur kurz erwähnen, dass ich vorgestern Abend äußerst gute Erfahrungen mit dem Personal der 3S-Zentrale der Deutschen Bahn in Kassel, mit dem Zugführer des RE 4165 und mit der Fundstelle im Frankfurter Hauptbahnhof gemacht habe. Dies wird zwar wahrscheinlich niemand von den Genannten lesen, aber trotzdem: vielen Dank!

Donnerstag, 24. März 2011

153: Im Herzen die Power

Auch wenn mir nach wie vor nicht klar ist, inwiefern es da einen technischen Kausalzusammenhang geben soll: das japanische Reaktorunglück wirft in vielen Industriestaaten die Pläne für den weiteren Umgang mit der Kernkraft, die de facto seit ca. 1990 ohnehin eher eine Auslauftechnik ist, über den Haufen. Es könnte letztlich, so wie es im Moment aussieht, sogar den etwas ins Stocken gekommenen Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft wieder beschleunigen. Mich macht das nicht unglücklich, ganz im Gegenteil, und es beschert mir ein Thema für ein hochaktuelles Prellblog.
In der Presse wird nämlich seit den einschlägigen Äußerungen und Beschlussfassungen der Regierung diskutiert, welche Auswirkungen ein schnellerer Atomausstieg auf die Eisenbahn haben könnte. Auch hier werden DB und Eisenbahn wieder gleichgesetzt, aber durchaus zu Recht: Genauso wie der größte Teil des deutschen Eisenbahnnetzes ist auch das Bahnstromnetz in der Hand der DB, und die meisten Eisenbahnen fahren mit Strom von DB Energie. Es ist zwar mittlerweile juristisch besiegelt, dass auch das Bahnstromnetz ein Stromnetz ist wie alle anderen und DB Energie nötigenfalls verpflichtet ist, fremden Strom an fremde Verbraucher (also fremde Fahrzeuge) durchzuleiten, aber meines Wissens macht das außer der Güterbahn Rail4Chem bisher niemand.
Dieses Bahnstromnetz jedenfalls wird aus historischen Gründen mit einer anderen Frequenz (16,7 Hertz) betrieben als das »normale« Verbundnetz und führt außerdem keinen Drehstrom, sondern Zweiphasen-Wechselstrom. Teilweise gibt es eigene Bahnstrom-Kraftwerke beziehungsweise in manchen Kraftwerken Bahnstrom-Generatoren; ansonsten gibt es Umformer- beziehungsweise Umrichterwerke, die mit motorgetriebenen Generatoren oder mit großkalibriger Leistungselektronik aus dem handelsüblichen Drehstrom Bahnstrom herstellen. Die Stromversorgung der Eisenbahn ist also nicht ganz transparent zur allgemeinen Stromversorgung.
Dediziert für die DB produzierter Atomstrom kommt aus dem Kraftwerk Neckarwestheim, und auch auf dem allgemeinen Strommarkt kauft DB Energie jede Menge Strom aus Kernkraft ein. Daher hat sich das Unternehmen jetzt Kritik unter anderem von Greenpeace eingefangen, die eine zu hohe Bedeutung von Atomstrom im Bahnverkehr bemängeln. Man muss hierzu allerdings festhalten, dass auch vor dem Unfall in Fukushima bereits hiergegen protestiert wurde.
Die DB wiederum hält dagegen, dass der Anteil von »Ökostrom« an ihrer Stromabnahme bereits größer sei als im Bundesdurchschnitt, mit einem ambitionierten Steigerungsziel. Und in der Tat gibt es mittlerweile Lieferverträge zwischen DB Energie und Großwindparks, und ein kommendes, besonders als Regelkraftwerk für die Unregelmäßigkeiten der Windkraft ersehntes Gaskraftwerk in Bremen wird ebenfalls über ein Drittel seiner Leistung dauerhaft an die DB liefern. Die Ziele, die sich der Konzern zur Reduktion seines Kohlendioxidausstoßes gesetzt hat, sind auch ohne eine Umstrukturierung des eigenen Kraftwerksparks und des Stromeinkaufs nicht zu erreichen, und derzeit spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass diese Strategie auch weiter umgesetzt wird.

Dass der DB derzeit ihre Nutzung von Atomkraft vorgeworfen wird, fällt meines Erachtens unter dasselbe Muster wie die Verachtung, die viele dafür empfinden, dass der Konzern Fernbusse, Straßen- und Luftfrachtverkehr betreibt, Autos vermietet sowie aufgegebenes und Haus-zu-Haus-Gepäck auf der Straße transportiert. »Eisenbahn« hat für manche den Stellenwert des »ganz Anderen« im Verkehr: Eisenbahn muss rein und unangetastet von allem sein, was ökologisch fragwürdig ist. Natürlich darf die DB und darf auch kein anderes Schienenverkehrsunternehmen aus der Pflicht entlassen werden, am ökologischen Umbau der Stromversorgung mitzuwirken. Aber ausgerechnet deswegen, weil ein Verkehrsträger ohnehin schon umweltfreundlicher und energieeffizienter ist als andere, von diesem nochmals höhere Anstrengungen zu mehr Umweltfreundlichkeit und Energieeffizienz zu verlangen als von diesen anderen, gehorcht keiner Logik.
Die Straßenbahn in Kassel fährt übrigens seit 2007 nur noch mit »Ökostrom«, da die Stadtwerke Kassel gar keinen anderen Strom mehr liefern. Dieses Modell würde ich mir langfristig auch für die DB und alle anderen elektrischen Bahnen wünschen.

Bild: Bev Sykes (»basykes«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Dienstag, 15. März 2011

152: Vade retro

Mangels einer zündenden Idee für einen neuen Artikel ist heute wieder einmal Listentag. Diesmal gibt es zehn in Presse und Politik beliebte Phrasen zum Themenfeld Eisenbahn, die mir beim Lesen Magenschmerzen bereiten. Naturgemäß liegt das Schwergewicht auf Formulierungen, die die DB betreffen, wird diese doch häufig mit dem System Eisenbahn gleichgesetzt.

  1. »Stadt X / Region Y / ganze Regionen werden abgehängt« - damit ist typischerweise die Reduktion von Fernverkehrshalten gemeint. Die Ausdrucksweise unterstellt, dass man von einem Bahnhof aus, an dem nicht mindestens n-mal am Tag ein Fernverkehrszug der DB hält (bei vage definiertem n), ganz gleich, wie viele andere Züge dort halten, keine sinnvolle Reise beginnen könne, was meist kompletter Unsinn ist.
  2. »die DB konzentriert sich auf den lukrativen Fernverkehr / auf den Verkehr zwischen Großstädten« - der Fernverkehr der DB ist nicht sonderlich lukrativ und eine wirkliche Konzentration auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ist zwar vielfach angedroht worden, wurde de facto aber nie in Angriff genommen. Im Gegenteil haben viele, auch kleinere, Städte neue einzelne Fernverkehrshalte spendiert bekommen (ich behaupte damit nicht, die Fernverkehrsstrategie der DB sei besonders großartig, aber man sollte nicht übertreiben).
  3. »Bahn / Ministerium / Bundesregierung schiebt Projekt XY aufs Abstellgleis« - kein Kommentar
  4. »Für Projekt XY wurden die Weichen gestellt« - dito
  5. »ICE-Strecke« - das ist so dämlich, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Es gibt zwar derzeit einige wenige Eisenbahnstrecken, auf denen nur ICE verkehren, aber die allermeisten Strecken (auch und gerade die Schnellfahrstrecken) werden von verschiedenen Zuggattungen befahren. Auch neue Strecken werden nach bestimmten europäischen Zugangsparametern geplant und nicht spezifisch für »den« ICE (siehe auch den nächsten Punkt).
  6. »der ICE kann/tut/darf dieses oder jenes« - »den« ICE gibt es nicht, es handelt sich dabei um eine Zuggattungsbezeichnung und gleichzeitig einen handlichen Oberbegriff für eine große Familie mehr oder minder nah miteinander verwandter Fahrzeuge, mit denen Züge dieser Gattung gefahren werden
  7. »Privatbahn« - von der Rechtsform her sind auch die Eisenbahnen des Bundes (also DB und Verwandte) Privatunternehmen, umgekehrt sind viele »Privatbahnen« ganz oder teilweise im Besitz von Gebietskörperschaften oder ausländischen »Staatsbahnen«.
  8. »die Fahrt von X nach Y dauert heute genauso lang wie / länger als zu Zeiten der Dampflok / der Bundesbahn / vor dem Zweiten Weltkrieg« - falls die Information über die Gesamtfahrzeit tatsächlich stimmt (ist längst nicht immer der Fall), bestehen in den meisten Fällen wesentlich mehr Verbindungen pro Tag als früher, häufig werden auch mehr Halte angefahren; solche Sätze sind normalerweise höchstens halbwahr
  9. »Kleinbahn« - von ausgegliederten Regionalnetzen der DB über DB-Töchter mit merkwürdigen Namen (»DB Heidekrautbahn« etc.) und nichtbundeseigene Eisenbahngesellschaften bis hin zu Nebenstrecken ist dieses Wort schon für nahezu alles und jedes benutzt worden. Ursprünglich bedeutete es nochmal etwas ganz anderes. Man sollte es nicht mehr verwenden.
  10. »Bahn weigert sich, X zu tun« - bedeutet meistens nicht, dass die DB X völlig ausschließt, sondern nur, dass X aus Budget-, Planungs- und allgemeinen Bürokratiegründen, an denen typischerweise auch diverse Behörden beteiligt sind, nicht sofort in Angriff genommen werden kann; dies gilt insbesondere, wenn X ein Bahnhofsausbau oder die Beseitigung eines Bahnübergangs ist, was beides von der Politik mit vorangetriebene Prozesse sind, deren Vorlauf gerne Jahrzehnte dauert.
Bild: Kam Abbott (»Kam's World«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Sonntag, 6. März 2011

151: Passt, wackelt und hat Luft

Im Prellblog 8 war vor mehr als dreieinhalb Jahren ausführlich die Rede von Eisenbahnkupplungen - den hierzulande üblichen handbedienten Schraubenkupplungen, und den hierzulande leider nicht üblichen einheitlichen automatischen Kupplungen, wie man sie aus anderen Ländern kennt. Es ist dieser Tage vielleicht sinnvoll, noch einmal auf das Thema einzugehen, denn es gibt einige kleinere Anzeichen dafür, dass die Kupplungssituation in Europa sich langfristig verbessern könnte.
Wir erinnern uns: Eine handelsübliche automatische Mittelpufferkupplung, wie sie in den USA, China, der ehemaligen Sowjetunion und auch sonst vielerorts verwendet wird, besteht aus einer schweren, robusten, asymmetrischen Stahltatze mit einer darin beweglichen, rastbaren Klaue auf einer Seite. Die Form der Tatze und die einseitige Anordnung der Klaue ermöglichen, dass zwei solche Kupplungen, wenn sie mit einem gewissen Schwung gegeneinander gefahren werden, ineinander greifen und einrasten. Zum Entkuppeln muss man die Klauen (gegebenenfalls nach Zusammenstauchen des Zuges) irgendwie lösen; amerikanische Güterwagen haben dazu einen Hebel an der Wagenecke, das Bild zu diesem Artikel zeigt eine recht rustikale Löseeinrichtung an einer Kupplung sowjetischen Typs (die krückenförmige Stange dient zum Ziehen an der Lösekette). Luftleitungen werden von Hand gekuppelt, ohne Eingriff von Rangierpersonal am Boden lassen sich daher Wagen weder kuppeln noch trennen. Der große Vorteil ist jedoch die Stabilität und die hohe Belastbarkeit der Kupplungen, die wesentlich längere und schwerere Güterzüge erlaubt.
Nun ist die maximale Länge von Zügen auf einem Eisenbahnnetz nicht nur durch die Kupplungen, sondern vor allem durch die Länge der Überholbahnhöfe, der Rangiergleise und so weiter begrenzt. Es muss daher noch andere Vorteile einer automatischen Kupplung geben, soll sich diese in Europa je etablieren. Als gegen 1970 zum ersten Mal die Ablösung der alten Schraubenkupplungen in Europa geplant wurde, war dazu denn auch eine gegenüber den »Ur-Automatikkupplungen« anspruchsvollere Form vorgesehen: Die Klauenvorrichtung war nach unten erheblich verlängert, um dort automatische Verbindungen für Druckluft und Elektrik vorzusehen. Nun konnte man Züge prinzipiell bilden und trennen, ohne dass Rangierpersonal die einzelnen Wagen abgehen musste. Durchgesetzt hat sich diese Kupplungsform jedoch trotz erheblicher Vorbereitungen nie; zu der nötigen quasi schlagartigen Umstellung riesiger Wagenflotten konnte man sich gerade in den (zumindest in westlichen Ländern) eher stilllegungsfreundlichen, die »Schrumpfbahn« beschwörenden 1970er Jahren nicht durchringen.

Seit 2002 ist nun ein neuer Kupplungstyp in Erprobung, der vielleicht das Unmögliche doch noch möglich macht. Luft- und Elektrikverbindungen sind hier von der »Klauenverlängerung« direkt in die Tatze der Kupplung selbst verlagert, so dass diese von Baugröße und -position her es erlaubt, weiterhin konventionelle Seitenpuffer und eine Anhängevorrichtung für Schraubenkupplungen beizubehalten. Gemischtes Kuppeln mit alten Wagen ist also möglich, eine »schleichende« Einführung der neuen Kupplung mithin denkbar. Vor einem Jahr sind denn auch Lokomotiven für überschwere Erzzüge der DB mit dieser neuen Kupplung ausgestattet worden, und wer weiß, vielleicht kommt hier gerade etwas in Bewegung. Man liest allerdings, dass es immer noch Kinderkrankheiten gibt, die unter anderem damit zu tun haben, dass die Luftanschlüsse dadurch realisiert sind, dass Rohransätze in kreuzweise geschlitzte Gummischeiben stoßen; schon das Vorgängermodell mit der »großen Tatze« hat wohl regelmäßig Dichtigkeitsprobleme. Etwas Sorgen macht mir persönlich, dass es derzeit nur einen Hersteller für diese Kupplung zu geben scheint (der Hersteller Faiveley nennt das Produkt »Transpact«, bei der DB hört es auf den Namen »C-AKv«); möchte man einen Standard einführen, sollte man keine Zulieferermonopole etablieren, das hat schon bei genügend anderen Systemen nicht geklappt.

Nicht verschweigen sollte man, dass die europäischen Interoperabilitätsbestimmungen für Hochgeschwindigkeitszüge eine standardisierte Form von elektropneumatischer automatischer Kupplung vorschreiben (so genannte Scharfenberg-Kupplung). Diesen Kupplungstypen findet man an fast allen Bauarten von Triebzügen im Personennah- und -fernverkehr. Leider ist das Funktionsprinzip ein ganz anderes als bei den genannten »Tatzen«-Kupplungen, und schwere, winterfeste Güterzüge lassen sich damit nicht realisieren.

Bild: Zoltán Bogaly bei Wikipedia (Details und Rechtefreigabe)

Sonntag, 27. Februar 2011

Rückfahrkarte

Ich bin gerade eben aus Berlin zurückgekehrt, wo ich über eine Woche lang unter anderem sehr viel Bahn gefahren bin, wie das in Berlin nicht ausbleibt. Diese Stadt ist ja in erster Linie ein riesiges Knäuel aus Gleisen, um die herum ein paar Häuser angeordnet sind...

Bald gibt es auch wieder ein neues Prellblog! Versprochen!

Sonntag, 6. Februar 2011

150: Schwarze Punkte

Am 30. Januar sind bei Hordorf auf der Strecke von Magdeburg nach Thale ein Nahverkehrszug und ein Güterzug frontal zusammengestoßen. Zehn Menschen sind dadurch gestorben, 43 weitere wurden verletzt.
Ursache des Unfalls war das Einfahren des genannten Güterzuges in einen eingleisigen Streckenabschnitt, obwohl ein Signal dies verbot (siehe auch Prellblog 52). Warum das Signal überfahren wurde, ist noch nicht geklärt. Der Unfall hätte höchstwahrscheinlich verhindert werden können, wäre die Strecke mit so genannter Punktförmiger Zugbeeinflussung (PZB) ausgerüstet gewesen, einem seit gut 75 Jahren eingesetzten, bewährten und kontinuierlich verbesserten System zur Übertragung von Signalstellungen. Dieses beruht darauf, dass an jedem Triebfahrzeug ein flaches Teil mit drei eingebauten elektrischen Schwingspulen, die mit unterschiedlichen Frequenzen versorgt werden, tief neben der rechten Fahrzeugseite hängt. Am Gleis gibt es ebenfalls flache Bauteile neben der rechten Schiene, die Schwingkreise enthalten, die ferngesteuert kurzgeschlossen werden können. Wenn ein Schwingkreis von den Spulen am Fahrzeug überfahren wird, ohne kurzgeschlossen zu sein, wird der daraus resultierende Impuls in der Fahrzeugspule mit der entsprechenden Frequenz von einem Bordgerät (heute natürlich ein Computer) erkannt.
Die drei verschiedenen Nachrichten, die dieses System an einen Zug senden kann, beinhalten alle entweder eine sofortige Zwangsbremsung oder eine bedingte Zwangsbremsung, wenn bestimmte Zusatzbedingungen (Bestätigungstaste drücken, durch Bremsen unterhalb einer bestimmten Geschwindigkeitskurve bleiben) nicht erfüllt werden. Hätte es vor Hordorf einen solchen Beeinflussungspunkt gegeben, wäre der Güterzug zwangsweise zum Stehen gebracht worden.

Die Meinungsartikel der Presse dazu zu lesen, dass die Strecke Magdeburg-Thale erst bei dem (unmittelbar bevorstehenden) Ausbau auf eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h mit Zugbeeinflussung ausgestattet werden sollte, dass mithin viele Strecken, auch Hauptstrecken, in den neuen Bundesländern über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und über 15 Jahre nach der Bahnreform nach wie vor ohne PZB sind, habe ich mir erspart. Daran, dass nach geltendem Recht bei bestimmten Einschränkungen (zum Beispiel keine Geschwindigkeiten über 100 km/h) auch Strecken ohne PZB normenkonform sind und die Eisenbahn so oder so sicherer ist als die allermeisten anderen Verkehrsträger, beißt die Maus keinen Faden ab. Die Spekulationen darüber, ob eingleisige Strecken überhaupt sicher sein können oder vielleicht sogar alle miteinander verboten gehören, lese ich natürlich erst recht nicht, genauso wenig wie die vielen Versuche, das Unglück für die Kritik an der deutschen Verkehrspolitik, der Unternehmenspolitik der DB oder am besten gleich an Stuttgart 21 zu funktionalisieren. (Übrigens war keiner der beiden kollidierten Züge ein DB-Zug.) Dass die Nachrüstung verbleibender Strecken mit PZB eventuell jetzt en bloc erfolgt statt sukzessive bei ihrer Sanierung, ist eine gute Idee, aber dass dies bisher nicht früher erfolgt ist, ist kein Skandal, für den Köpfe rollen müssen.

Ich bin traurig - nicht wütend, nicht resigniert, sondern traurig. Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen, und meine Hochachtung gilt den HelferInnen und Rettungskräften, überhaupt all jenen, die es geschafft haben, mit dem furchtbaren Erlebnis, in einem weitgehend zerstörten Zug Verletzte zu retten und Leichen zu bergen, zurechtzukommen.

Bild: »WHell« bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

Dienstag, 25. Januar 2011

149: Umlaufrendite

Vor meinem Fenster zerkleinert ein Bagger mit Abbruchhammer eine Halde mit Betonteilen, die einmal der Hausbahnsteig des Marburger Bahnhofs waren, und die Kantensteine für den neuen Bahnsteig stehen schon daneben. Aber darum soll es heute nicht gehen, sondern um Größeres.
Was sich im Moment in der deutschen Eisenbahnwirtschaft und -politik abspielt, ist von derartiger Tragweite, dass vielleicht einmal die Rede von einer »Bahnreform II« sein wird. Grob zusammengefasst:

  • Unter dem Eindruck der erheblichen Probleme bei der Eisenbahn in diesem Winter hat der Bund die Absicht geäußert, die Investitionen in das Eisenbahnnetz auf einen Stand hochzutreiben, wie sie zuletzt 2000 waren, in den besten Zeiten rotgrüner Versuche, mehr in die Schiene zu investieren.
  • Interessanterweise wird trotzdem daran festgehalten, die Deutsche Bahn in Zukunft eine jährliche Dividende von einer halben Milliarde Euro an ihren Eigentümer zahlen zu lassen, was darauf hindeutet, dass die Politik allmählich angefangen hat zu verstehen, dass die Eisenbahn etwas anderes ist als die Firma DB.
  • Zudem möchte man die DB dazu zwingen, ihre Erlöse aus dem Netzbetrieb (das heißt, vor allem aus Trassen- und Servicegebühren) in das Netz zu reinvestieren, statt sie konzernintern beliebig einsetzen zu können. Eventuell soll DB Netz sogar gleich ganz aus dem Konzern herausgerissen werden. In jedem Fall könnte dies den »Hebel« für Bundesinvestitionen in das DB-Netz schlagartig vergrößern, denn eine Umsetzung dieses Plans würde wohl dazu führen, dass die -bereits jetzt im Gegensatz zur üblichen Vorstellung meist mehr als nur symbolischen- Eigenanteile der DB bei der Finanzierung von Sanierungen und Ausbauten heraufgesetzt werden, da die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehene jährliche Abführung von mehr als einer Milliarde Euro an Netzeinnahmen in den Restkonzern entfiele.
  • Als Trostpflästerchen für die seit Jahren mit der Fahrzeugindustrie verkrachte DB soll das Allgemeine Eisenbahngesetz eventuell so geändert werden, dass mehr Möglichkeiten entstehen, Hersteller von Eisenbahnmaterial für Qualitätsprobleme, die zu Störungen führen, in die Pflicht zu nehmen.
  • Das Kartellamt hat eine außergerichtliche Einigung zwischen Deutscher Bahn und Abellio über die Aufteilung der Verkehrsleistungen im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr untersagt, so dass der Bundesgerichtshof (vermutlich heute) eine Grundsatzentscheidung fällen wird. Es wird erwartet, dass die bisher üblichen freihändigen Vergaben dicker Verkehrsverträge an die Nahverkehrstöchter der DB in Zukunft unmöglich werden und alle Verkehrsleistungen in den Ausschreibungswettbewerb kommen. Angesichts der unterirdischen Servicequalität von DB Regio Nordrhein-Westfalen, der S-Bahn Berlin und anderer DB-Töchter ist nicht damit zu rechnen, dass die Politik versuchen wird, diese Tür dann wieder zu öffnen (zu den Hintergründen siehe Prellblog 59). Die letzten, immer wieder mit nach Mauschelei riechenden Methoden verlängerten Reste des Staatsbahnmonopols im Nahverkehr würden damit verdampfen.
  • Und wie um zu verhindern, dass im Zuge der in den nächsten Jahren bevorstehenden Ausschreibung mindestens der Hälfte, aber wie zu vermuten sogar des gesamten deutschen Schienennahverkehrs massiv mit Lohndumping und Zweckgesellschaften gearbeitet wird, ist in der deutschen Eisenbahnbranche ein Flächentarifvertrag für den Nahverkehr abgeschlossen worden.
Dass all dies geschieht, liegt nicht daran, dass die Bahnreform »gescheitert« sei, wie gerne behauptet wird, sondern daran, dass sie Fehler hatte, die nach wie vor nicht behoben sind, andererseits aber durch die erhebliche Zunahme des Bahnverkehrs in den letzten Jahren und die höhere Präsenz des Themas in den Medien mittlerweile erkannt wird, dass regelmäßiges Abstauben bestimmter fragwürdiger Phrasen (»Verkehr auf die Schiene verlagern«) und ansonsten die Pflege der DB als »nationalem Champion« nicht mehr reichen, sondern dass die DB, so verhältnismäßig gut sie sich dort, wo sie auf den Markt achten muss, auch macht, sich mit ihren Versuchen, letzte Monopolrenditen zu erwirtschaften, selbst ein Bein stellt. Wenn die im Netz erwirtschafteten Mittel in dieses selbst zurücklaufen müssen und alle Verträge einmal abgelaufen sind, ist die zu erwartende Rendite für die Volkswirtschaft mehr Qualität und mehr Verkehr bei der Eisenbahn pro investiertem Staats-Euro. Das ist eine gute Nachricht für die gesamte Bevölkerung dieses Landes.

Bild: Andrew Houser (»sushipumpum«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Sonntag, 16. Januar 2011

148: In Unterzahl

Die verschiedenen Eisenbahngesellschaften in Deutschland, vor allem natürlich die Deutsche Bahn, leiden seit Jahren unter verschiedentlichem Fahrzeugmangel: Nahezu alle Triebzüge mit Neigetechnik und eine ganze Reihe sonstiger Züge hatten und haben Achsprobleme; die Flotte der Berliner S-Bahn hat nicht nur diese, sondern leidet auch unter diversen Krankheiten, von denen nach wie vor nicht ganz zu klären ist, inwieweit die Konstruktion und inwieweit das fragwürdige Wartungsregime für sie verantwortlich sind (siehe Prellblog 101). Dass nahezu alle neueren ICE mit verschiedenen technischen Problemen zu kämpfen haben und die DB weder mit ihrer Qualität noch ihrem Preis zufrieden ist, sollte mittlerweile Allgemeinwissen sein. Knapp 80 nagelneue S-Bahn- und Nahverkehrszüge vom Typ Bombardier Talent 2 können nicht eingesetzt werden, weil Software- und Fertigungsprobleme und Schwierigkeiten bei der Zulassung nicht nur monatelange Verzögerungen bewirken, sondern sogar die Verschrottung neu gebauter Einheiten erfordert haben; andere Züge vom Typ Alstom Coradia Continental wurden aus vergleichbaren Gründen zu spät in Dienst gestellt und sind bis heute nicht so verfügbar, wie man sich das wünschen würde. Die guten alten InterCity-Wagen der DB werden demnächst ein zweites Mal neu aufgearbeitet, nachdem bereits vor fünf Jahren der Versuch, 1000 neue Wagen zu beschaffen, gescheitert ist, und die derzeitigen Verhandlungen über die Beschaffung von 300 IC- und ICE-Triebzügen bei Siemens alles andere als blendend verlaufen.
Ein Lichtblick in all der Trübsal sind die bekannten und beliebten Doppelstockwagen von Bombardier, die als die zuverlässigsten Fahrzeuge im Fuhrpark der DB gelten, mittlerweile auch für die Konkurrenz (vor allem den Metronom) fahren, kontinuierlich weiterentwickelt werden und anscheinend auch preislich zu reellen Konditionen zu bekommen sind, vor allem für die DB, da großzügige Rahmen- und Optionsverträge bereits bestehen. An der Entscheidung, diese Fahrzeuge auch im Fernverkehr einzusetzen, überrascht daher eigentlich nichts außer der DB-untypischen Zügigkeit, mit der dieses Projekt beschlossen wurde.
Vor vier Tagen wurden Details verkündet: 27 fünfteilige Züge samt Lokomotiven soll Bombardier für den Fernverkehrseinsatz liefern. Wenn alles gut läuft, werden wir 2013 die ersten weiß-rot gestrichenen Doppelstockzüge auf InterCity-Linien sehen, ausgestattet mit Reservierungsanzeigen, Gepäckregalen, Steckdosen, Kinderspielbereich, Fahrradstellplätzen und »Fernverkehrsmöblierung«, nur leider ohne Speisewagen; unterwegs sollen sie eine Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h, vielleicht -mit anderen Lokomotiven- sogar 185 km/h, erreichen, je nachdem, was das Eisenbahnbundesamt dazu meint. Natürlich können diese Züge dann nur auf Zugläufen eingesetzt werden, wo keine langen Abschnitte mit 200 km/h befahren werden müssen, aber davon gibt es im IC-Netz durchaus noch genug. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass, falls irgend wann einmal nötig, ein Umrüsten der Züge für den Nahverkehrseinsatz unproblematisch ist. Mit der bewährten Bombardier-Technik (Doppelstockwagen und Drehstromlokomotiven) lassen sich ganz sicher auch Züge für 200 km/h realisieren. Auch von den doppelstöckigen Wagen abgeleitete einstöckige Wagen hat der kanadische Konzern im Angebot (siehe Prellblog 42). Zumindest die für niedrigere Geschwindigkeiten (also für den Ersatz der alten ICs, nicht der alten ICEs) vorgesehene Tranche der Siemens-Bestellung, über die seit Monaten verhandelt wird, könnte die DB also eventuell fallen lassen, wenn es hart auf hart kommt. Die DB sendet jedenfalls ein deutliches Signal an Siemens: Es geht auch ohne den Hoflieferanten.

Bild: Andrew Filer bei Flickr (Details und Lizenz)

Sonntag, 2. Januar 2011

Frohes Neues!

Auch wenn es vor Weihnachten nicht mehr mit einem neuen Artikel geklappt hat: Das Prellblog wünscht allen Leserinnen und Lesern ein wunderschönes neues Jahr 2011. Gerade hier in Mittelhessen wird dies (wieder) ein spannendes Eisenbahnjahr werden, aber zweifellos wird es auch aus dem Rest des Landes genug zu berichten geben.

147: Schleifen lassen

Ich habe hier zwar bereits vor langen Jahren über Oberleitungen geschrieben (siehe Prellblog 3), aber mir war damals schon klar, dass ich irgendwann noch einmal einen Artikel zum Thema würde schreiben müssen, einfach weil mich das Gewirr, das da über einem vorbeisaust, mit seiner scheinbar schwer zu begründenden Komplexität schon immer fasziniert hat. Erst heute bin ich soweit, dass ich dazu einen knappen, aber umfassenden technischen Überblick geben kann.
Da hängt also dieser Kupferdraht in einer definierten Lage über dem Gleis, damit der Zug von unten mit seinem Stromabnehmer daraus Strom entnehmen kann. Dazu muss es natürlich irgend eine Aufhängekonstruktion geben. Aber warum sieht die gerade so aus, wie sie aussieht (und sie sieht eher bizarr aus, siehe Bild)?
Der Fahrdraht ist einen guten Zentimeter dick und besteht aus reinem Kupfer oder einer hoch kupferhaltigen Legierung. Sein Querschnitt ist rund, aber oben seitlich eingekerbt. Er wird von kurzen, senkrechten »Strippen«, so genannten Hängern, gehalten, die unten mit Klemmen am Draht und oben an einem Tragseil befestigt sind, das in durchhängenden Bögen (einer Kettenlinie, daher auch die Bezeichnung Kettenwerk für die ganze Haltekonstruktion) von einem Oberleitungsmasten zum nächsten verläuft. Nur direkt auf Höhe des Masten führen die Hänger nicht direkt zum Tragseil, sondern zu einem sogenannten Beiseil, das zwischen zwei Punkten des Tragseils wiederum in einer Kettenlinie gespannt ist. So ergibt sich die typische Silhouette der Fahrdrahtaufhängung, die an eine stilisierte, filigrane Hängebrücke erinnert.
Dabei ist das Tragseil natürlich nicht direkt am Fahrleistungsmasten befestigt, sonst müsste der Zug ja durch die Masten fahren. Es gibt statt dessen Ausleger. Diese bestehen aus einem Metallrohr, das schräg vom Tragseil hinunter zum Mast führt; sein höchster Punkt ist außerdem noch einmal durch ein waagerechtes Seil oder Rohr (je nach Belastungsart) mit dem Mast verbunden. Beide Teile sind dabei nicht etwa einfach festgeschraubt, sondern zwischen ihnen und dem Mast gibt es einen Isolator (da sonst der Mast unter Spannung stünde) und ein Schwenkgelenk. Der ganze Auslegerapparat muss sich nämlich nach links und rechts bewegen können, wenn sich Fahrdraht oder Tragseil durch Temperaturänderungen in ihrer Länge ändern. Die Drähte und Seile sind auch nicht endlos wie die Schienen, sondern eben wegen dieser Längenänderungen in einzelnen, bis etwa 1500 Meter langen Abschnitten angeordnet, an deren Ende sich Spannvorrichtungen befinden: die Gerätschaften aus Stapeln von Betongewichten (»Keksen«) und gezahnten Umlenkrädern mit Sperrklinken. In der Mitte eines solchen »Nachspannabschnittes« sind Draht und Seil fixiert. Die Sperrklinken dienen nur dazu zu verhindern, dass bei einem Riss in der Oberleitungskonstruktion die Gewichte herunterrasseln. Der Übergang von einem Abschnitt zum anderen erfolgt, indem sich die beiden eine kurze Strecke überlappen, in der sie elektrisch miteinander verbunden sind.
Damit ist jetzt klar, wie der Fahrdraht horizontal gespannt, in der korrekten Höhe gehalten und seine Längsausdehnung kompensiert wird, aber seine seitliche Position ist noch nicht fixiert. Jetzt kommen die restlichen Metallteile an den Masten hinzu: unten am schwenkbaren Ausleger ist nämlich ein nahezu waagerechtes, auf und ab bewegliches Teil angelenkt, der Seitenhalter. Vorne ist er wieder mit einem Hänger am Ausleger (oder am Beiseil) aufgehängt. Und an diesem Seitenhalter hängt jetzt noch ein Seitenhalter, und zwar an jedem Mast ein anderer. Die Länge und die Montagerichtung sind so gewählt, dass der Fahrdraht von oben gesehen eine Zickzacklinie bildet: so schleift er keine Rille in den Stromabnehmer ein, sondern nutzt diesen gleichmäßig ab. Die vertikale Bewegungsfreiheit des Seitenhalters sorgt dafür, dass der Draht dem Anpressdruck des Stromabnehmers kontrolliert einige Zentimeter nachgeben kann, sich die sich daraus ergebenden Schwingungen aber schnell wieder beruhigen und sich keinesfalls aufschaukeln. In Kurven, über Weichen und in anderen Sondersituationen gibt es verschiedenartige Zusatzvorrichtungen, die die korrekte Lage des Fahrdrahtes sicherstellen; sie zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen.

Und so sorgen Tonnen von Kupferdraht und Bronzeseil nebst Dutzenden von Kleinteilen wie Klemmen, Schellen, Spangen und Ösen dafür, dass Züge mit 200, 300, 320, 360, ja 380 Kilometern pro Stunde fahren können und doch mit einem Kontakt immer sicher und ohne Funkenflug an einer Leitung, die Spannung im fünfstelligen Voltbereich führt, entlangschleifen. Ich weiß nicht, wie es meinen LeserInnen geht, aber ich finde den schieren technischen Aufwand schon beeindruckend, vor allem aber die Tatsache, dass sich diese Anlagen bei aller Komplexität nicht nur wirtschaftlich betreiben, sondern im Störfall auch relativ fix reparieren lassen.
Wo der Strom herkommt und wie er unten wieder aus dem Zug rausfließt, ist übrigens eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Bild: Sebastian Terfloth bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)