Die Grundfigur großer Personenverkehrs-Knotenausbauten der Eisenbahn ist die Durchquerung der Innenstadt, typischerweise um ungeeignete alte Infrastruktur mit Kopfbahnhöfen jenseits der Siedlungsgrenze aufzubrechen. Die U-Bahnen, die Berliner Ost-West-Viadukttrasse (»Stadtbahn«) und diverse S-Bahn-Tunnel, deren neuester gerade in Leipzig in Bau steht, zeugen davon ebenso wie die Nord-Süd-Querungen Berlins, die auch mit Fertigstellung der Fernbahntunnel nicht als abgeschlossen gelten können, da die zweite Nord-Süd-S-Bahn S21 noch aussteht. In Wien wird ein Zentralbahnhof für je nach Rechnung 0,6 bis 1,8 Milliarden Euro gebaut, in Paris war zumindest bereits ernsthaft die Rede davon, die damals schon märchenhaft teuren Röhren (knapp 1,4 Milliarden heutige Euro) des schnellen Vorortverkehrs RER um eine Querung für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu ergänzen, Kostenpunkt ähnlich viel.
Warum das alles aufzählen? Heute ist der Beschluss ergangen, das seit 1988 geplante Projekt »Stuttgart 21« zu realisieren, ein umfangreiches Paket aus Bahnhofsum- und -neubauten und vielen Kilometern Tunnel, das die Stuttgarter Eisenbahninfrastruktur vollständig umkrempeln und an die Neubaustrecke nach Ulm anschließen soll. Das Projekt ist ebenso teuer wie umstritten, planungsrechtlich aber weitgehend erledigt, was fehlte, war nur noch das Geld. Jetzt wird es also gebaut, und was wird der Effekt sein?
Man kann nicht viel mit Sicherheit sagen. Dass im neuen Stuttgarter Hauptbahnhof keine Dieselzüge mehr halten können werden, ist klar. Betroffene Regionalverbindungen werden schlimmstenfalls vor den Tunnelstrecken an Umsteigebahnhöfen enden müssen. Dass die Strecke nach Ulm unabhängig vom Bahnhofsumbau erhebliche Fahrzeitverbesserungen bringen wird, ist ebenfalls nicht kontrovers. Anderes schlagen sich Fachleute, Politiker, Lobbyisten und interessierte Laien nun schon Jahr und Tag in Studien und Schmähschriften um die Ohren, ohne zu Ergebnissen zu kommen. Die Kapazität des neu entstehenden achtgleisigen Tunnelbahnhofs wird zum Beispiel von den einen als zweifellos völlig unzureichend, von den anderen als zukunftssicher, mit viel Spielraum nach oben, gehandelt. Gleiches gilt für die Bedienungsqualität des vertakteten Regionalverkehrs, für die Breite der Bahnsteige und das Aufnahmevermögen der Zugänge und so weiter. Von den Stadtentwicklungsprojekten, die sich an die freiwerdende Gleisfläche, von den etwaigen Umwelt- und Mikroklimaproblemen, die sich an deren Bebauung knüpfen, ganz zu schweigen.
Ich will hier das Projekt nicht enthusiastisch gutheißen. Zwar wurden bisher etwa dreihundert Millionen in die Planung gesteckt, aber die sind so oder so weg, und wenn sich eine Alternativlösung fände, die nicht ganz so astronomisch viel kostete, könnte man sie anderswo einsparen. Mit versunkenen Kosten soll man nicht argumentieren. Das Konzept an sich ist nicht revolutionär, aber auch nicht wirklich schlecht, und es hat noch niemand zeigen können, wie man unter Beibehaltung des Kopfbahnhofes vergleichbare Ergebnisse erzielen könnte, ohne ähnlich viel Geld auszugeben.
Letztlich sehe ich als das Hauptproblem von Stuttgart 21 genau die Vermarktung als revolutionäre Innovation, wo das Projekt sich doch eigentlich logisch in den Trend zu unterirdischen Stadtquerungen einfügt. Auch das Tieferlegen von Bahnhöfen, um auf den freigewordenen Gleisflächen ganze neue Stadtviertel zu bauen, ist nicht im Geringsten neu, das spektakulärste Projekt dieser Art, die Tieferlegung von Grand Central Terminal in New York, wurde schon 1913 abgeschlossen.
Wir können gespannt sein, wie es in Stuttgart läuft. 2010 soll der Bau beginnen. Es wird wohl weder eine Offenbarung noch eine Katastrophe werden.
2 Kommentare:
Naja, die ursprüngliche Idee Frankfurt 21 ist ja auch grandios untergegangen... warum eigentlich?
Wahrscheinlich weil es völlig unbezahlbar wäre, irgendwo im zweistelligen Euro Milliardenbereich.
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