Montag, 22. August 2011

158: Deckel drauf und gut

Seit es Bahnstrecken gibt, auf denen genügend Züge fahren, um Signale und Stellwerke zu benötigen, bedeutet Eisenbahn nicht nur Schienen, Schwellen und Schotter, sondern auch Leitungen. Früher waren es Drahtzüge und Telegrafendrähte, mit ihren Masten und Spannböcken, wie ich sie als Kind von der Landstraße aus entlang der stillgelegten Glantalbahn bestaunt habe. Heute sind es Kabel aller Art - Stromkabel, die Weichenantriebe und Signale versorgen, Leitungen, über die zurückgemeldet wird, wenn Weichen verriegelt sind und Signallampen tatsächlich brennen, Kupferkabel und Glasfaserkabel, die verschiedene Computer untereinander und mit den Stellwerken verbinden sowie diese wiederum mit den Betriebszentralen, und Telefonkabel gibt es natürlich auch noch. Irgendwo müssen all diese Leitungen laufen.
Die in Deutschland übliche Lösung dafür sind Kabelkanäle neben der Strecke. Manchmal sind das Blech- oder Kunststofftröge mit Deckeln, die auf niedrigen Ständern stehen; meistens sind es flach vergrabene Rinnen aus U-förmigen Betonprofilsteinen, in die unzählige kleine Betonplatten als Deckel eingelegt sind, die bündig mit dem Erdboden abschließen. Wenn irgendwo an der Leit- und Sicherungstechnik einer Strecke gearbeitet wird, sieht man manchmal eine abgedeckte Rinne, neben der diese Deckelplatten zu Hunderten liegen, oder vielleicht auch einen Kanal, bei dem nur an einem Punkt ein paar Deckel abgenommen sind, um ein unwahrscheinliches Gewirr aus dicken, schwarzgrauen Kabeln freizusetzen. Das Praktische an der Betonlösung ist wohl auch, dass die zugedeckten Rinnen als Fußpfade fungieren können, wenn Personal an die technischen Installationen heranmuss.
Das alles ist noch harmlos. Aufwändig wird es beispielsweise, wenn so ein Kabelweg von einer Seite des Gleises auf die andere wechseln muss - dazu werden auf beiden Seiten Schächte aus Betonringen eingegraben, verbunden durch einen kleinen Tunnel. In größeren Bahnhöfen, wo natürlich besonders viele Kabel verlaufen, kann man sowohl auf Bahnsteigen als auch im Gleisfeld kaum einen Schritt machen, ohne auf einen Schachtdeckel zu stoßen.
All das ist überraschend teuer. Einer der Gründe, warum es so viel kostet, ein Stellwerk umzubauen oder auch nur die Technik eines Bahnübergangs zu modernisieren, ist, dass dies typischerweise damit einhergeht, viele hundert Meter oder eher viele Kilometer solcher Kabeltrassen zu bauen. Bei Bahnübergangsmaßnahmen macht der Kabeltiefbau sogar in der Regel den größten einzelnen Kostenblock aus.
Für das letzte Woche voll in Betrieb gegangene neue elektronische Stellwerk München-Pasing wurden allein von der Firma Railbeton 38 Kilometer Kabeltröge und 400 Kabelschächte geliefert; in der Baubroschüre der DB ist die Rede von 89 Kilometer Kabeltrassenbau, davon 42 Kilometer Tiefbau, mit Verlegung von 780 Kilometer Kabel (was übrigens heißt, dass im Schnitt an jedem Punkt der Kabeltrassen acht bis neun parallele Kabelstränge liegen). Es wundert insofern nicht, dass es auch Ansätze gibt, das alles billiger zu machen. Unter anderem gibt es mittlerweile Kabeltröge aus Verbundmaterial, die besonders leicht sind, oder auch mit speziellen stumpfwinkligen Enden, so dass gerade und gekrümmte Strecken durch Verbauen desselben Elements hergestellt werden können.
Die radikalste Lösung ist dabei die so genannte Schienenfußverkabelung. Da ist genau das drinnen, was draufsteht: Die Leitungen werden nicht in eigene Kabeltröge gelegt, sondern an den Schienen entlang gezogen und dazu an deren Fuß festgeklemmt. Dafür gibt es mittlerweile ein eigenes Produkt namens Duotrack, ein Doppelkabel bestehend aus einem Kupfer- und einem Glasfaserstrang, wofür die DB einen Rahmenliefervertrag abgeschlossen hat. Man spart sich damit nahezu den gesamten Kabeltiefbau. Nur Vorteile hat das aber auch nicht: Die offen zu Tage liegenden Kabel sind Wind, Wetter und UV-Strahlung ausgesetzt und werden durch die Durchbiegung der Schienen unter durchfahrenden Zügen, durch Schotterschlag und alle anderen denkbaren Umwelteinflüsse im Schienenbereich strapaziert. Zum Austauschen von Schienen und andere Instandhaltungsarbeiten müssen die Kabel demontiert und hinterher wieder angebracht werden. Doktrin der DB ist es daher, Schienenfußverkabelung nur auf nicht elektrifizierten Strecken mit weniger als 160 km/h Streckengeschwindigkeit einzusetzen. Um die Tröge, Kanäle und Schächte kommt man also bis auf weiteres nicht herum, auch wenn so etwas durchaus schlappe 60 000 Euro pro Kilometer kosten kann.
Bild: »Ingy the Wingy« bei Flickr (Details und Lizenz)

Mittwoch, 3. August 2011

Nachtlärm

Der Umbau der Verkehrsstation (Bahnsteige und Zuwegungen) des Marburger Hauptbahnhofs geht in die zweite Etappe: die zweite Kante des Hausbahnsteigs wurde jetzt auch erneuert, und das heißt wohl, dass jetzt auch dessen Fußboden, Entwässerung und Kabelschächte gebaut werden - bisher war da nach dem Umbau der ersten Kante nur provisorischer Kiesbelag. Der Schutt, die Betonteile, Pflastersteine, Rohre und überhaupt alles werden auf einem Platz direkt vor meinem Fenster umgeladen, und zwar auch und gerade jetzt zu nachtschlafener Zeit. Ich werde wohl noch ein paar Tage damit leben müssen, dass nachts Lastwagen und Radlader in mein Zimmer dröhnen.
Das erinnert mich daran, dass ich das Prellblog schon wieder sträflich vernachlässigt habe. Das hat unter anderem den Grund, dass ich wegen der ganzen Misere mit Stuttgart 21 schon seit Monaten merke, dass meine Lust, mich mit Bahnthemen zu beschäftigen, immer weiter in den Keller geht. Mit dem Unfug, jetzt auf einmal, weil Geißler eine zündende Idee hatte, eine vor 15 Jahren verworfene Bauvariante wieder auszugraben, in die man auch erst einmal wieder Jahre an Zeit und einen wahrscheinlich dreistelligen Millionenbetrag an Planungskosten investieren müsste, bevor sie dort ankommt, wo die beschlossene Variante heute ist, will ich mich überhaupt nicht befassen - ich sträube mich regelrecht körperlich dagegen, auch wenn das sicherlich keine sehr fachmännische Reaktion ist.
Dieser Tage war eigentlich entweder ein Artikel über Kabeltiefbau (eine bei der Eisenbahn überraschend wichtige Sache) oder eine Polemik des Titels »50 Gründe, warum die Bahn als Verkehrsmittel völlig unbrauchbar ist« geplant, aber ich kann mich zu keinem von beidem durchringen. Saure Gurken also - ich kann meine LeserInnen nur um Verzeihung bitten, dass hier nichts passiert, aber auch zu einem x-beliebigen Hintergrundartikel fehlt mir die Motivation. Und das, paradoxerweise, obwohl der wachsende Erfolg der Eisenbahn als Beförderungsmittel mir derzeit klarer vor Augen steht als zu den meisten Zeitpunkten in der Vergangenheit.
Vielleicht kann ja jemand etwas Inspirierendes kommentieren :)