Montag, 29. Oktober 2012

164: Messeneuheiten 2012

Vor erschreckenderweise über einem Monat (wo geht nur die ganze Zeit hin?) bin ich wie schon 2010 (siehe Prellblog 139 und 140) zu den Publikumstagen der InnoTrans, der weltgrößten Eisenbahnmesse, gefahren und mir dort angeschaut, was es so Neues auf dem Schienenfahrzeugmarkt gibt. Das Wetter war diesmal gnädig, und neben mir waren auch noch Tausende anderer da, darunter gefühlt mindestens die Hälfte Eltern mit Kindern. Mindestens fünf Hüpfburgen und diverse Belustigungsbetriebe sorgten für Volksfestcharakter. Es war deutlich mehr los als vor zwei Jahren.

Und was gab es nun zu sehen?

Design für Ostwestfalen: Der kleine Leipziger Hersteller HeiterBlick ist spezialisiert auf günstige und simple Straßenbahnen (das bekannteste Produkt ist der LeoLiner) und hat nun für die Stadtbahn Bielefeld mit dem Vamos ein hoch ingeniöses Vehikel abgeliefert (siehe Bild). Der Zug verbreitert sich oberhalb der Bahnsteigkante und bietet so mehr Platz; die inneren Türen haben Trittstufen und so kann das Fahrzeug sowohl an Hochbahnsteigen als auch an Haltestellen ohne Bahnsteige eingesetzt werden. Das Design ist schlicht, sieht trotz des ganz offensichtlich kostengünstigen Fahrzeugs nicht billig aus und hat bei mir für Begeisterung und bei HeiterBlick für Designpreise gesorgt. Für mich persönlich das schönste Exponat der Messe. Ich freue mich bereits auf die neuen Stadtbahnzüge für Hannover (»TW 3000«), die von einem Konsortium aus HeiterBlick, Alstom und Vossloh Kiepe kommen werden und dieselbe Designsprache sprechen.

Hybrider und hybrider: Vor zwei Jahren waren elektrische Triebfahrzeuge mit Hilfsaggregaten schon ein großes Thema, und sie waren es auch dieses Jahr wieder. Bombardier präsentierte beispielsweise eine Elektrolokomotive des Typs TRAXX F140 AC mit »Last Mile Diesel«, der dazu dienen kann, einen Ganzzug von einer elektrifizierten Hauptstrecke über einen nicht elektrifizierten Gleisanschluss zuzustellen, ohne dass umgespannt oder die gesamte Strecke mit Diesel unter Fahrdraht gefahren werden muss. Ich weiß nicht, wie groß der Markt für so etwas ist, aber eine logische Entwicklung ist es auf jeden Fall.

Wagenmeister: Ein nagelneuer selbstentleerender Schüttgutwagen in den Farben des Windgeneratorbauers Enercon sorgte bei mir für einiges Stirnrunzeln. Einiges Herumrecherchieren ergab, dass Enercon mit eigenen Lokomotiven und eigenem Wagenmaterial auf der 2008 eigens für das Unternehmen reaktivierten Bahnstrecke Kies und Sand nach Aurich transportiert, wo Beton-Turmsegmente für Windkraftanlagen hergestellt werden.

Düsentrieb: Zweiwegebagger, also relativ handelsübliche Bagger, die auch auf Schienen fahren können, gehören zu den am häufigsten eingesetzten Maschinen bei allen Arten von Bauarbeiten auf Gleisen und um Gleise herum. Mittlerweile finden sich am Ende ihrer Arme längst nicht nur Schaufeln und Löffel, sondern auch Stopfaggregate (was tun die? Prellblog 44 weiß mehr), Schweißgeräte und so weiter. Recht häufig werden solche Bagger aber ganz prosaisch als Kräne eingesetzt, was oft ein wenig improvisiert aussieht. Der Baggervermieter BSB hat, anscheinend als Eigenkonstruktion, die logische Schlussfolgerung gezogen und eine Teleskopverlängerung mit Seilrolle und Winde entwickelt, die wie ein Baggerlöffel an den Arm angeflanscht werden kann und damit den Zweiwegebagger mal eben in einen kleinen Schienenkran verwandelt.

Bild: eigene Aufnahme

Donnerstag, 20. September 2012

Rasende Reportage

Nur falls es jemanden interessiert: Ich habe gerade entschieden, trotz der etwas engen finanziellen Situation eine Rückfahrkarte nach Berlin zu kaufen und werde somit am Sonntag die Publikumstage der InnoTrans besuchen und dann auch wieder darüber berichten.

Samstag, 8. September 2012

163: Ewigkeitskosten

Betritt man die Eingangshalle des Oberhausener Hauptbahnhofs, kann man - je nach Affinität zu ihrem Stil und zu Architektur überhaupt - durchaus in Begeisterung ausbrechen. Der quaderförmige, neusachliche Raum von 1930-1934, Ende des Jahrhunderts behutsam saniert, ist durchaus einen Besuch Wert, selbst wenn man nicht vorhat, Zug zu fahren, den Museumsbahnsteig (siehe Bild) zu besichtigen oder zur Zentrale des LVR-Industriemuseums durchzugehen.
Ähnliches gilt natürlich für Hunderte von Bahnhofsgebäuden in Deutschland, und das sind nicht alle Baudenkmäler im Eisenbahnsystem - hinzu kommen Brücken, Tunnelportale, Stellwerksgebäude, Bahnsteigüberdachungen, Lokschuppen, Signalbrücken, Wassertürme und vieles mehr. Die wenigsten davon sind bedingungslos und ohne jede Modifikation zu erhalten, aber die meisten davon haben eine Substanz, die es zu bewahren und zu schützen gilt, und können daher weder ganz noch in Teilen saniert oder ersetzt werden, ohne auf ihren Denkmalcharakter Rücksicht zu nehmen.
Andere Verkehrssysteme können nicht mit vergleichbaren Pfunden wuchern. Die Anzahl denkmalgeschützter Tankstellen, Rasthöfe und Waschanlagen ist relativ dazu winzig, und Straßenbrücken mit baulichem und kulturgeschichtlichen Eigenwert sind außerhalb von Ballungsräumen selten. Nicht zuletzt haben Fernstraßen alleine schon aus technischen Gründen weniger Brücken und sonstige Ingenieurbauten aufzuweisen als Fernbahnen (siehe z.B. Prellblog 144). Der Flugverkehr ist jung und konzentriert sich auf wenige Punkte, die Kanalschifffahrt hat nur wenige Schiffshebewerke, Schleusen und Brücken mit Denkmalwert (diese sind dafür umso spektakulärer - aber das steht auf einem anderen Blatt).
Natürlich ist es großartig, wenn schnöde Infrastruktur eine Schönheit aufweist, die sie über die reine Benutzbarkeit erhebt. Die Kosten dafür sind allerdings beträchtlich. Die großen Sanierungen der Hallendächer von Bahnhöfen aus der Hochzeit des klassischen Eisenbaus sind zum Beispiel geradezu furchterregend teuer - allein im Rhein-Main-Gebiet waren in den letzten Jahren Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt dran, meines Wissens mit Kosten von insgesamt knapp einer Viertelmilliarde Euro. Die vor vierzig, fünfzig Jahren noch diskutable und mancherorts auch durchgeführte Lösung, eine historische Hallenkonstruktion einfach abzutragen und durch eine neue, ihr nicht einmal annähernd stilistisch nachempfundene, zu ersetzen, ist heute glücklicherweise nicht mehr machbar (die Halle des Mainzer Hauptbahnhofs, die noch 2003 vollständig abgerissen wurde, stammte aus 1939 und war wohl nicht die allerattraktivste). Es geht neben der Komplettsanierung riesiger Konstruktionen aber auch um Kleinigkeiten. Die kannelierten, formal leicht an antike Säulen angelehnten Eisenstützen von Bahnsteigüberdachungen und Überführungen aus dem neunzehnten Jahrhundert beispielsweise müssen qua Denkmalschutz zumindest exemplarisch erhalten bleiben, auch wenn sich die DB die damit verbundenen Kosten gerne hier und dort sparen würde (so geschehen unter anderem in Mainz Römisches Theater und Gießen sowie demnächst bei Brückenzügen in Berlin).
All das kostet Geld - als sei der Betrieb der Eisenbahn nicht ohnehin schon teuer genug. Die Sonderausgaben, um Schönheit und Denkmalcharakter wertvoller Bahnanlagen zu erhalten, werden auf ewig anfallen, ganz wie die berühmten »Ewigkeitskosten« des Steinkohlebergbaus, zu denen beispielsweise der Betrieb von Pumpwerken gehört, die das Abwasser gesunkener Stadtteile in die Flüsse hinauffördern. Wie auch beim Bergbau sollte, wie ich finde, eine Finanzierung dieser Kosten ohne dauernden Rückgriff auf die Staatskasse angestrebt werden. Die lange Tradition der Eisenbahn und das großartige kulturelle Erbe, das sich mit ihr verbindet, ist ein weiteres Argument dafür, dass Bahnen als modernes, ertragbringendes und sich beständig erneuerndes Verkehrsmittel betrieben werden sollten und nicht als reines Freilichtmuseum.

Bild: Marieke Kuijjer (»mararie) bei Flickr (Details und Lizenz)

Dienstag, 12. Juni 2012

162: Kopfsache

Wer derzeit aus Richtung Koblenz (also von der linken Rheinstrecke oder der Nahestrecke, die in Gau-Algesheim in diese einmündet) oder aus Richtung Wiesbaden in den Mainzer Hauptbahnhof einfährt - also durch dessen nördliches Ende, auf eisenbahnerisch den Nordkopf -, sieht, dass dort zwischen den Gleisen Rampen und Pfeiler betoniert werden, deren unmittelbarer Sinn Laien nicht sofort erschließlich ist. Was dort entsteht, ist ein so genanntes Überwerfungsbauwerk, im Straßenbau auch als Flyover bezeichnet, wobei mir dieser Ausdruck im deutschsprachigen Bahnwesen als eher ungebräuchlich erscheint. Es handelt sich um einen in diesem Falle 680 Meter lange und mit allen Umbaumaßnahmen zirka 48 Millionen Euro teuren Brückenzug, mit dem Züge aus oder in Richtung Wiesbaden kreuzungsfrei über die durch Mainz verlaufende linke Rheinstrecke hinübergeführt werden - sozusagen hinüber geworfen, daher auch der Name.
Im Straßenverkehr sind Überwerfungen gang und gäbe. Jeder kreuzungsfreie Straßenknoten, sei es ein Autobahnkreuz oder auch nur eine für stärkere Belastungen konzipierte Auffahrt auf eine Bundesstraße, braucht mindestens eine davon. Da Autos wesentlich engere Kurven und stärkere Steigungen bewältigen können als Eisenbahnfahrzeuge, sind diese allerdings meistens nicht Hunderte von Metern lang und in spitzem Winkel über die darunter verlaufenden Verkehrswege geführt, sondern viel kürzer und gerne ganz oder nahezu rechtwinklig. Bei der Eisenbahn sind Überwerfungen riesige Konstruktionen und werden auch nicht so häufig gebraucht: der Zugverkehr besteht schließlich nicht aus einem ständigen Strom unzähliger autonomer Einheiten, sondern aus viel weniger großen Einheiten, die dafür fahrplanmäßig koordiniert sind. Selbst bei hohen Verkehrsbelastungen kann man daher damit leben, Züge durch Serien von Weichen in der Ebene an anderen vorbeizuführen. Dies blockiert selbstverständlich Fahrmöglichkeiten, die sonst da wären; und bei Unvorhersehbarkeiten im Betrieb müssen wirklich Züge eigens anhalten, um einen anderen kreuzen zu lassen. Dies wird durch die Überwerfung vermieden, und somit kann der Bau einer Brücke wie derzeit am Mainzer Nordkopf die Kapazität eines Knotens erheblich steigern.
Je höher die Geschwindigkeiten durchfahrender Züge sind, desto wichtiger werden Überwerfungen. So fädelt beispielsweise die Kurve, die den Fernverkehr aus Richtung Frankfurt in Richtung Würzburg kurz hinter Lohr mit 200 km/h nach Süden führt, beidseitig kreuzungsfrei (also mit einer Überwerfung) in die Schnellstrecke ein. Aus vergleichbaren Gründen der Beschleunigung des Durchgangsverkehrs (hier Richtung Wolfsburg und Berlin) gibt es Überwerfungen am Ostkopf des Bahnhofs Lehrte, und Bürgerinitiativen fordern derzeit den Bau einer Überwerfung in Buggingen, wo die neue Schnellstrecke Karlsruhe-Basel sich an die Altstrecke anschmiegen soll, um sicherzustellen, dass der zu erwartende starke Güterzugverkehr trotz des Schnellverkehrs auf die neuen Gleise geführt werden kann, die durch den Katzenbergtunnel (siehe Prellblog 34) verlaufen, statt durch die Ortslagen zu donnern.
Aber auch ohne hohe Geschwindigkeiten können enge Takte kreuzungsfreie Ein- und Ausfädelungen nötig machen; bei der Berliner S-Bahn zum Beispiel gibt es eine ganze Reihe davon.
Bild: Varun Shiv Kapur bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 20. April 2012

161: Unten durch

In konservativen Landstrichen und Städten tendiert die Politik dazu, den öffentlichen Verkehr inklusive der Eisenbahn eher kurz zu halten und auch für gute Fußläufigkeit (»walkability«) und Fahrradfreundlichkeit wird dort weniger getan als in progressiveren Weltgegenden. Die (um mit Kant zu sprechen) Proportionalanalogie Bahn(-verbund):Autoverkehr = links:rechts ist ein hochkompliziertes Verhältnis, in dem Ursache und Wirkung schwer identifizierbar sind und das möglicherweise mit Zusammenhängen wie den folgenden zu tun hat (skizziert unter anderem durch Will Oremus auf Slate.com):
  • Die Landbevölkerung wählt tendenziell konservativer, auf dem Land ist es aber generell immer schwerer, ohne Auto glücklich zu sein;
  • die konservative Wählerschaft ist wohlhabender, fährt daher ein eigenes Auto und sieht staatliche Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel als nicht wünschenswerte Transferleistungen an Ärmere;
  • die progresssive Wählerschaft ist tendenziell weniger wohlhabend oder fährt aus Prinzip kein Auto, daher ballt sie sich dort zusammen, wo man gut ohne Auto auskommt;
  • öffentliche Verkehrsmittel werden von Randgruppen frequentiert, mit denen Konservative ungern zu tun haben;
  • gut ausgebaute Bahnnetze führen zu dichteren Siedlungsmustern, in denen diversere Bevölkerungsgruppen aufeinander gestoßen werden, was die Einwohnerschaft tendenziell progressiver denken lässt;
  • es gibt gemeinsame Faktoren (in den USA z.B. Küstennähe und Alter einer Stadt), die sowohl Konservativismus als auch Bahn-Affinität beeinflussen;
  • ...
Warum ist dies ein aktuelles Thema? Der bayerische Ministerpräsident Seehofer hat dieser Tage verkündet, dass die seit Jahren umstrittene zweite S-Bahn-Stammstrecke (siehe Prellblog 125) in München nun doch nicht gebaut werden soll, da er (CSU) sich nicht mit dem Münchner Oberbürgermeister Ude (SPD) auf eine Vorfinanzierung durch Stadt und Land einigen konnte, die die Lücke bis zum finanziellen Engagement des Bundes für den Streckenbau schließen sollte. Interessanterweise waren es hier aber die Konservativen, die die Maßnahme wollten, während die Progressiven sich dagegen stellten. Die Grünen im Münchner Stadtrat waren sogar von Anfang an dagegen und keilen jetzt gegen die SPD, die sich zu lange auf den Tunnel statt möglichen Alternativlösungen festgelegt hätte. Die Frontstellung ist genau umgekehrt wie die, die man hätte erwarten können (die linke Stadt will ein Bahnprojekt durchziehen, das konservative Land will das Geld lieber in Umgehungsstraßen stecken).
Man könnte nun vermuten, dass Seehofer und Ude hier einen Scheinkonflikt hochkochen und insgeheim Arm in Arm erleichtert darüber sind, dass München die nicht ganz auszuschließenden Stuttgart-21-mäßigen Last-Minute-Proteste erspart bleiben - sozusagen kollektiver Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Man könnte unterstellen, dass hier wieder einmal das Schonender-Ausbau-Syndrom zugeschlagen hat, das gerade in der grünen Verkehrspolitik seit jeher wütet und die Vorstellung fördert, man könne die Verkehrsinfrastruktur dramatisch verbessern, ohne jemandem weh zu tun und ohne viel Geld auszugeben (siehe Prellblog 136). Oder vielleicht ist der Tunnel in seiner mittlerweile stark abgespeckten Planung einfach um so vieles zu teuer, dass sich Zweifel einstellen, ob nicht doch der Ausbau einer Ringstrecke (hier der so genannte Südring) statt der hochbelasteten Stammstrecke quer durch die Innenstadt rentabler wäre. Diese Diskussion gab es übrigens in ähnlicher Form, allerdings auf den Fernverkehr bezogen, bei der Planung des Eisenbahnkonzepts für Berlin nach dem Mauerfall. Statt der Ringlösung hat sich dort allerdings die große Lösung (»Pilzkonzept«) mit vier neuen großen Bahnhöfen und viel Tunnelbau durchgesetzt.
Ich kenne den Diskurs in München zu wenig und kann auch keinen Tipp dazu abgeben, ob irgend ein (im Zweifel bundespolitischer) Deus ex machina den zweiten Stammstreckentunnel rettet oder dann doch Alternativplanungen kommen, und was dies für das »andere große Ding« im Münchner Schienenverkehr bedeutet, nämlich die seit der Aufnahme von Planungen für einen Flughafen-Transrapid in die Agenda gekommende Verbesserung der Flughafenanbindung, zu der auch das unter »Erdinger Ringschluss« fungierende Paket diverser gewaltiger Maßnahmen zum Umstricken des S-Bahn-Netzes gehört. Spannend dürfte auch sein, ob die überfällige große Umgestaltung des Hauptbahnhofs bei einem Verzicht auf den zweiten Stammstreckentunnel eher früher oder eher später kommen wird.
Bild: in-world professionals bei Flickr (Details und Lizenz)

Dienstag, 27. März 2012

160: Nichts Neues unter der Sonne

Über die letzten Monate und Jahre konnte man den Eindruck gewinnen, dass die deutsche Eisenbahnlandschaft sich derzeit in einer Art unfreiwilliger Wartephase befindet. Das einzige infrastrukturelle Großereignis der letzten fünf, sechs Jahre, die Eröffnung der 700 Millionen Euro teuren Ausbaustrecke Augsburg-München am 10. Dezember 2011, fand kaum große Presse. Die großen geplanten Bauprojekte sind samt und sonders verzögert oder stehen unter Kostenvorbehalt; das, was im Bau steht, wie etwa Stuttgart 21, der Ausbau Karlsruhe-Basel oder der Umbau von Berlin-Ostkreuz, zieht sich unabsehbar, selbst wenn die Termine eingehalten werden. Der Blick in die einschlägige Fachpresse zeigt, dass viel passiert, aber nicht unbedingt auf der Ebene dessen, was im gestanzten Jargon der üblichen Eisenbahn-Berichterstattung stets und immer wieder »Prestigeprojekt« genannt wird. (Dies übrigens auch in dem riesigen, aber textlich leider nicht besonders bemerkenswerten Special der Süddeutschen Zeitung zum Thema Eisenbahn neulich.)
Auf dem Gebiet der Fahrzeuge und Fahrpläne ein ähnliches Bild: endlose Lieferschwierigkeiten, geplatzte Ausschreibungen, technische Probleme und Zulassungsbürokratie, die vor allem der Flottenverjüngung der DB, aber auch dem Flottenaufbau anderer Betreiber heftig zusetzen - hier sind Velaro D, Talent 2 und ICx Schlagwörter. Immerhin geht, wie man dieser Tage erfahren durfte, die Kernsanierung der ICE-Flotte planmäßig voran, und auch wenn die geplante ICE-Verbindung nach London ebenso auf sich warten lässt wie die neuen Fernverkehrsangebote der DB-Konkurrenz, gibt es immerhin nun einen TGV Frankfurt-Marseille.
Politisch tut sich auch nicht viel: das Thema DB-Börsengang ist und bleibt genauso vom Tisch wie radikale ordnungspolitische Änderungen oder der große Wurf beim Lärmschutz. Dafür wurde der DB-Bahnstrom jetzt auf Betreiben der Bundesnetzagentur etwas günstiger und damit wieder ein Stückchen Diskriminierung der Wettbewerberinnen geschleift.
Spannend ist bei alledem, dass die DB ihren Gewinn enorm steigern konnte, auch und vor allem im Bereich der Infrastruktur. Die Steigerung hätte das Potenzial, den beschlossenen »Finanzierungskreislauf« für Erhaltung und Ausbau der Netze zu stärken oder ganz einfach und altmodisch für mehr eigene Investitionsmittel zu sorgen.
Das ändert aber alles nichts daran, dass die Lage derzeit eben verhältnismäßig langweilig ist. Ein Grund mehr, sich darauf zu freuen, wenn bald wieder mehr los ist. Bei den deutschen Eisenbahnen passieren aufregende Dinge eigentlich meistens genau dann, wenn niemand mehr damit gerechnet hat. Insofern bin ich gespannt auf Neuigkeiten, die den Ausbau der Main-Weser-Bahn, die nordmainische S-Bahn, die Regionaltangente West, die Ausbaustrecke Hanau-Fulda, die Umfahrung des Schwarzkopftunnels und all die anderen schönen Projekte, die in Hessen und Umgebung schon seit ca. dem letzten Jahrhundert fertig sein sollten, tun, und beäuge ansonsten jeden Tag die Fortschritte beim Umbau des Marburger Hauptbahnhofs. Das Prellblog bleibt, wenn auch gähnend, am Ball.

Bild: Les Chatfield (»Elsie Esq.«) bei Flickr (Details und Lizenz)