Mittwoch, 26. März 2008

53: Scheibchenweise

Nachdem es im letzten Prellblog darum ging, wie sichergestellt wird, dass auf eingleisigen Strecken keine Züge frontal zusammenprallen, möchte ich das Thema Sicherheit ein wenig vertiefen.

Ganz abstrakt gesprochen geht es bei der Bahnsicherheit immer darum, dass nichts die Begrenzungen des Raums, den Fahrzeuge beim Befahren von Strecken überstreichen, überquert. Dieser Raum hat den Querschnitt des sogenannten Lichtraumprofils, das über und neben dem Gleis freigehalten wird, und erstreckt sich immer von einem Startpunkt zu einem Zielpunkt.
Aus ihm soll nichts heraus: Der Zug darf nicht entgleisen und keinen falschen Weg einschlagen. In ihn darf auch nichts hinein: Weder von vorne noch von hinten noch von der Seite darf ein anderes Fahrzeug in den gesicherten Fahrweg einfahren, an Bahnübergängen darf kein Auto im Weg stehen, von Berghängen dürfen keine Felsbrocken aufs Gleis fallen und so weiter.
Gegen Entgleisen und Fehlleitungen wird der Zug gesichert, indem alle Weichen, die er befährt, korrekt gestellt und mechanisch verschlossen werden, und indem ihm mitgeteilt wird, was die Höchstgeschwindigkeit ist, die er fahren darf. Gegen das Einfahren anderer Züge wird der Fahrweg durch Signale geschützt und dadurch, dass Weichen, die einen Zug hineinleiten können, präventiv so gestellt werden, dass das mechanisch nicht geht. Es gibt sogar eigene, Schutzweichen genannte Weichen, die keinen anderen Zweck haben, als solcherart die Flanken eingestellter Fahrwege zu sichern. An Bahnübergängen gibt es Schranken oder Lichtsignalanlagen. Vor Steinschlag warnen spezielle Reißdrähte oder Kontaktzäune, wenn dies auch in Deutschland nicht sehr häufig ist.
All die Weichen und Signale sind dabei so miteinander verschaltet, dass es technisch unmöglich ist, einem Zug ein Fahrtsignal zu erteilen, für den dieser abstrakte, unverletzliche Korridor nicht hergestellt und gesichert wurde. Technisch realisiert wird dies heutzutage durch spezielle, redundant ausgelegte Computersysteme mit aufwändig zertifizierter und verifizierter Software, die durch ebenfalls aufwändig gesicherte Datenübertragungswege kommunizieren und die verschiedenen Signale, Weichenmotoren und Schrankenantriebe elektrisch steuern. Dabei wird der Vollzug jedes Steuerbefehls auf verschiedene Weise geprüft: Weichenantriebe melden zum Beispiel zurück, dass sie die Endlage erreicht haben; Signale sind technisch ausgerüstet um zu erkennen, wenn eine Lampe durchbrennt.

Da es natürlich eher umständlich und hinderlich wäre, den Fahrweg für einen ICE von Frankfurt nach Berlin während seiner gesamten Reise vollständig gegen das Befahren durch andere Züge zu sichern, sind die Strecken durch Signale in sogenannte Blöcke unterteilt. Der gesicherte Korridor reicht also nicht von Startbahnhof bis Zielbahnhof, sondern (vereinfacht gesagt) vom letzten roten Hauptsignal zum nächsten.
Da Züge nun ganz erhebliche Bremswege haben und es da ja noch diese Sache mit der Geschwindigkeit gibt, reichen so ein paar rote und grüne »Ampeln« längst nicht aus. Darum, wie das Signalsystem so funktioniert, wird es in einer der nächsten Folgen des Prellblogs gehen.

Dies ist der zweite Teil einer losen Artikelserie zum Thema Leit- und Sicherheitstechnik.

Bild: Dave-F bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 21. März 2008

Jahresbericht 2007/2008

Das Prellblog hat am vergangenen Samstag seinen ersten Geburtstag gefeiert. Ich bin einigermaßen stolz darauf, dass ich es binnen dieses Jahres tatsächlich (mit, wenn ich mich recht erinnere, einer Ausnahme) jede Woche geschafft habe, einen Artikel zu schreiben. Das Kommentargeschehen ist zwar nicht rege, aber regelmäßig, und bisher gab es keine Kommentare, die irgendwie anstößig gewesen wären. Darum sei an dieser Stelle den regelmäßigen TeilnehmerInnen in der Kommentarabteilung herzlicher Dank gesagt.

Schwierig ist es, Aussagen darüber zu machen, wie viele oder wenige Leute das Prellblog überhaupt lesen. Die Zahl der »Subscriber«, die mir FeedBurner anzeigt, lag für die vergangenen 30 Tage bei durchschnittlich 60. Nun weiß ich allerdings nicht, inwieweit diese Zahl, die man ausdrücklich nicht kumulieren darf, bei einem wöchentlichen Blog aussagekräftig ist. Man kann also davon ausgehen, dass pro Woche zwischen 60 und 420 Leute das Prellblog per RSS lesen.
Des weiteren werden mir durchschnittlich 27 »daily visitors« für den Messzeitraum angezeigt. Inwieweit Verweise aus dem Feed dazuzählen, weiß ich nicht. Die wöchentliche Leserschaft liegt also irgendwo zwischen 60 und 609. Vielleicht gibt es ja Statistik-Gurus, die mir aushelfen können?
Der größte Trafficlieferant für das Prellblog ist und bleibt bizarrerweise die Google-Bildersuche. Sie liefert im Schnitt etwa zehn Besucher pro Tag, mehr als doppelt soviel als die allgemeine Google-Suche. (Der beliebteste Suchbegriff ist übrigens »prellblog«, wen wundert's.) Über Links anderer Blogs schafft es nur etwa ein Besucher pro Tag hierher, dabei ist das Ostkreuzblog mit Abstand führend.

Auch nach einem Jahr habe ich nun das Layout immer noch nicht geändert und bin mir nicht sicher, ob ich es überhaupt noch möchte. Die Seite irgendwann so weit zu bringen, dass sie als XHTML validiert, wäre natürlich auch schön, aber ich weiß gar nicht, ob das mit Blogger überhaupt geht.
Ich denke, für die nächsten Monate bleibt erst einmal alles beim Alten. Den ursprünglichen Plan, nach dem ersten Jahr eine Spendenbüchse aufzustellen oder Werbung zu schalten, habe ich vorläufig vertagt, denn meine Unkosten betragen ohnehin nur etwa einen Euro pro Monat, und so arm bin ich nun auch nicht. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass ich das wöchentliche Format temporär auf ein zweiwöchentliches oder monatliches werde umstellen müssen, wenn mein Examen in die heiße Phase geht. Wir werden sehen.

Natürlich freue ich mich auch 2008/2009 über Kommentare, Verbesserungsvorschläge und konstruktive Kritik. Ich hoffe, es wird ein weiteres gutes Jahr für das Prellblog und für die Eisenbahn.

Zur Feier des Tages und der Ostertage wegen setzt das Prellblog eine Woche aus. Allen LeserInnen wünsche ich ein frohes Osterfest!

Donnerstag, 13. März 2008

52: Kreuzweise

Straßen, die so schmal sind, dass keine zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen, gibt es in Mitteleuropa selten. In Schottland soll das anders sein, aber hierzulande haben sogar aberwitzigste Landwirtschaftswege genügend Breite, dass es eben noch passt, wenn einem nicht gerade ein Mähdrescher begegnet.

Bei der Eisenbahn ist das anders. Hat eine Strecke zwei Gleise, können sich Züge prinzipiell überall kreuzen. Aber das haben nicht alle Strecken, es ist nicht einmal die Regel. Weniger als die Hälfte (gut 40 %) aller deutschen Vollbahnstrecken sind mehrgleisig. Das mag mit daran liegen, dass es Anlagen gibt, die oberflächlich wie zweigleisige Strecken aussehen, aber aus parallelen eingleisigen Strecken bestehen; auch darf eine Strecke nicht mehr als zwei Gleise haben und damit bringt jede ungeradzahlige Gleisanzahl immer eine eingleisige Strecke mit. Aber es ändert nichts am Problem: Wie fahren Züge in zwei Richtungen auf einem einzelnen Gleis?

Im einfachsten Falle gibt es nur einen Zug, der immer hin- und herfährt. Das ist bei kurzen Stichstrecken gar nicht so selten. Aber normalerweise gibt es mehrere Züge, die sich kreuzen müssen.
Dazu braucht man dann an mindestens einer Stelle doch ein kurzes zweites Gleis und mindestens eine Weichenverbindung (in der Praxis immer zwei), also einen Bahnhof. Ein Zug fährt in das eine Gleis und wartet, bis der andere in das andere gefahren ist, danach fahren beide weiter. Es liegt nahe, solche Kreuzungsbahnhöfe dort anzuordnen, wo ohnehin gehalten wird, so dass die Kreuzung keine Fahrzeit kostet.
Effektiv wird also auf den Streckenabschnitten zwischen zwei Kreuzungen abwechselnd einmal in die eine und einmal in die andere Richtung gefahren. Dazu muss irgendwie gesichert sein, dass kein Zug auf einen Abschnitt geschickt wird, auf dem ihm ein anderer entgegenkommt.
Natürlich ist der Fahrplan so gestrickt, dass das eigentlich überhaupt nicht vorkommen kann. Das ist ein Motiv, dem man dauernd begegnet: Wenn der Fahrplan stets minutiös eingehalten würde, bräuchte man zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen gar nicht. Aber er kann nun nicht immer eingehalten werden, und das gilt selbst bei perfekter Pünktlichkeit der Regelzüge, denn der Eisenbahnverkehr besteht zu einem kleinen, aber wichtigen Teil (ca. 8 %) aus Sonderzügen. Das merkt der Durchschnittsfahrgast allerdings nicht, da diese fast ausnahmslos Güterzüge sind und Güterzugfahrpläne nicht aushängen.

Wenn an beiden Enden eines Streckenabschnitts Züge warten, muss irgendwie entschieden werden, welcher die Erlaubnis hat, spricht, wer von beiden zuerst fahren darf. Eine der simpelsten Lösungen, das narrensicher zu regeln, ist, einen Staffelstab oder eine Blechmarke von einem Zug an den anderen zu übergeben. In der Praxis übernimmt das Aushändigen und Einsammeln dieser Stäbe das Bahnhofspersonal, das dann auch die entsprechenden Signale stellt. Falls in eine Richtung mehr Züge fahren in die andere, hat man dann das Problem, dass ein reitender Bote den Stab oder die Marke zurückholen muss. Eine unkonventionelle, aber funktionale Lösung ist es, durch Telegrafendrähte verbundene, zigarettenautomatenartige Maschinen aufzustellen, die die Marken ausspucken und wieder annehmen; so geschehen in England. Die Übergabe der Marken durch und für durchfahrende Eilzüge wird allerdings etwas haarig.
In Deutschland hat sich als Quasistandard ein Kurbeltelegrafensystem, allerdings ohne Marken, direkt angeschlossen an die Stellwerksmechanik, entwickelt. Damit werden die Erlaubnisse quasi durch den Draht zwischen zwei Stellwerken hin- und hergekurbelt. (Darum, was Stellwerke noch so alles machen, wird es in 14 Tagen wieder gehen, und wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.) Mittlerweile ist auch dies computerisiert und automatisiert worden.
Auf der anderen Seite befördern amerikanische Güterbahnen gigantische Mengen Fracht über großenteils eingleisige Strecken (mit kilometerlangen Kreuzungsbahnhöfen), wo es oft gar keine Signale gibt, sondern nur spezielle Funkprotokolle, über die Zugbesatzungen hören, wohin sie fahren dürfen, und melden, wo sie sind. In Deutschland gibt es Ähnliches unter dem Namen »Zugleitbetrieb«, aber eigentlich nur auf Nebenbahnen. Die Verkehrsdichten auf den beiden Kontinenten unterscheiden sich doch sehr stark.

Dies ist die erste Folge einer losen Artikelserie zum Thema Leit- und Sicherheitstechnik.

Bild: Leslie James Chatfield (»Elsie esq.«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 7. März 2008

51: Belebtes Geschäft

Der Kanal ist, wenn nicht der Großvater der Eisenbahn, doch zumindest ihr Großonkel. Die Gemeinsamkeiten zwischen künstlichen Wasserstraßen und Bahnstrecken sind enorm: Längsneigung ist möglichst zu vermeiden; gerade in der Frühzeit der Bahn und der Kanäle wurden sowohl Züge als auch Boote mit »Schiefen Ebenen« über größere Höhenunterschiede befördert; Kanalbrücken und -tunnel nehmen die Ingenieurbauwerke der Bahn vorweg; das Wort »Weiche« gab es schon vor dem ersten stählernen Gleis; und im Englischen nennt man Gleisbauer immer noch »navvies« nach den Arbeitern, die die »navigations«, die alten schmalen Schiffahrtskanäle des 18. Jahrhunderts, das erste Adernetz der industriellen Revolution, bauten. Bahnstrecken schmiegen sich an die natürlichen Flussläufe (siehe auch Prellblog 46), und viele verlaufen parallel zu künstlichen Wasserstraßen.

Es ist kein Zufall, dass sich Eisenbahn und Binnenschiff seit jeher Konkurrenz machen. Die Güter, die auf beiden vorwiegend transportiert werden (Schüttgüter, Gefahrgüter, Mineralölprodukte, Container, Metalle), sind recht ähnlich. In einem Artikel über einer Leiter der Montanabteilung der DB-Frachtsparte durfte ich einmal lesen, dass man dort jedes vorbeifahrende Binnenschiff ärgerlich betrachtet, stellt es doch entgangenes Geschäft im Volumen von ungefähr zwei Zügen dar. 

Der interessierte Laie mag sich durchaus fragen, warum Eisenbahn und Binnenschiff sich nicht irgendwie zusammentun, um gemeinsam der Straße mehr Marktanteile abzunehmen. Auf Grund der sehr ähnlichen Vorteile und Streckenlagen ergänzen sich Bahn und Schiff auf den Hauptstrecken jedoch nicht unbedingt.
Wofür beide Bedarf haben, sind jedoch Ladeanlagen, denn die »letzte Meile« legen die meisten Güter dann doch auf der Straße zurück. Und in der Tat entwickeln sich die deutschen Binnenhäfen immer mehr zu trimodalen Terminals, wo Binnenschiff, Zug und Lkw untereinander umschlagen. Die Vorteile liegen auf der Hand - im Hafen sind die Flächen und oft auch schon die benötigten Umschlageinrichtungen wie Kräne, Containerstapler, Waagen etc. schon da. 
So lebt der Duisburger Hafen längst nicht mehr vom Schiff allein, sondern auch von hunderten nationaler und internationaler Güterzugverbindungen wöchentlich, Ähnliches gilt für praktisch jeden größeren Binnenhafen. In manchen Häfen wird mittlerweile mehr Bahn- als Schiffsfracht abgewickelt. Dementsprechend verzahnen sich Hafenbetrieb und Eisenbahn immer weiter, diverse Hafenbahnen haben sich zu in großem Maßstab operierenden Gütertransporteuren entwickelt. Die Kölner HGK fährt Züge von der niederländisch-belgischen bis an die deutsch-polnische Grenze und von der Schweiz bis nach Dithmarschen.
Neue Containerterminals schießen in den Binnenhäfen wie Pilze aus dem Boden, und die meisten haben sowohl Straßen- als auch Bahnanschluss. Dies hat auch damit zu tun, dass die Anbindungen und Flächen der Seehäfen nicht so schnell wachsen können wie ihre Verkehre; damit verlagern sich Umladevorgänge und andere logistische Arbeiten zunehmend ins Hinterland. Wenn ein Importeur keine Halle mehr in Rotterdam findet, tut's vielleicht auch eine in Riesa oder Karlsruhe.

Dabei schließt sich durch die zunehmende Containerisierung der Kreis - die Globalisierungskisten stehen dem Untersatz, der sie durch die Lande befördert, ja einigermaßen gleichgültig gegenüber, und so kann ein Versender für seine Transporte je nach Dringlichkeit, Kapazitäten und Kassenlage zwischen Bahn, Wasserstraße, Asphalt und eventuell sogar See und Luft wählen. Im Kleinen passiert also das, was sich im Großen auch allmählich ankündigt, dass Container zum Beispiel aus der Türkei oder sogar aus China je nach Situation aufs Schiff oder auf den Zug gepackt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die zunehmenden Transportweiten in einer immer weiter integrierten eurasiatischen Wirtschaft in Zukunft für ähnlich traumhafte Marktanteile der Bahn sorgen werden wie in Nordamerika, der Heimat der Tausend-Meilen-Laufwege. Vielleicht werden hier in Marburg irgendwann chinesische und malaysische Lokomotiven vorbeifahren wie heute die aus der Schweiz und der Lüneburger Heide, wer weiß?

Bild: Dan-Philipp Krenn bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)