Samstag, 19. Juni 2010

130: Maulwürfe II

Nach fast drei Jahren wird es Zeit, einmal einen Blick auf meine im August 2007 veröffentlichte Liste der zehn größten laufenden Eisenbahn-Bauvorhaben Deutschlands zu werfen und zu schauen, was sich da so getan hat:

  • Platz 10: Ausbaustrecke Berlin - Frankfurt/Oder - polnische Grenze, Baubeginn 1997, Fertigstellung ca. 2013, Baukosten knapp 0,6 Mrd. Euro.
  • Platz 9: Schienenanbindung des neuen Berliner Flughafens Berlin Brandenburg »Willy Brandt«, Baubeginn 2007, Fertigstellung ca. 2011, Baukosten über 0,6 Mrd. Euro.
  • Platz 8: Ausbaustrecke Emmerich-Oberhausen, Baubeginn ca. 2007, Fertigstellung derzeit unklar, Baukosten 0,9 Mrd. Euro.
  • Platz 7: Totalumbau des Knotens Halle-Leipzig mit Untertunnelung der Leipziger Innenstadt, Baubeginn 2001, Fertigstellung 2013, Baukosten über 1 Mrd. Euro.
  • Platz 6: Ausbaustrecke Lübeck-Stralsund, Baubeginn ca. 1994, Fertigstellung irgendwann nach 2011 (»abschnittsweise, bedarfsgerecht«), Baukosten 1,1 Mrd. Euro.
  • Platz 5: Ausbaustrecke Leipzig-Dresden, Baubeginn 1993, Fertigstellung 2014, Baukosten 1,5 Mrd. Euro.
  • Platz 4: Neubaustrecke Erfurt-Halle/Leipzig, Baubeginn 1998, Fertigstellung ca. 2015, Baukosten 2,7 Mrd. Euro.
  • Platz 3: Umgestaltung des Eisenbahnknotens Stuttgart (»Stuttgart 21«), Baubeginn 2010, Fertigstellung ca. 2019, Baukosten 4,1 Mrd. Euro.
  • Platz 2: Ausbau der Rheintalstrecke Karlsruhe-Basel, Baubeginn 2002, Fertigstellung nach 2014, Baukosten 4,5 Mrd. Euro.
  • Platz 1: Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg-Erfurt, Baubeginn 1996, Fertigstellung ca. 2017, Baukosten 5,1 Mrd. Euro.

Man sieht, dass sich nicht viel getan hat. Kein einziges der 2007 aufgelisteten Projekte ist seitdem fertiggestellt worden, es sind nur zwei durch Neuzugänge aus der Liste hinausgeschoben worden: das sind einmal Stuttgart 21, wofür nach jahrzehntelangem Zittern und Zagen jetzt die Bauarbeiten begonnen haben, und zum anderen der Ausbau der Güterstrecke nach Emmerich und Arnhem, der die Anbindung an die »Betuweroute«, die große Güter-Neubaustrecke der Niederlande, verbessern soll. Auch die Strecke nach Frankfurt/Oder wird in den kommenden Jahren möglicherweise dasselbe Schicksal erleiden, ohne Fertigstellung aus den Top Ten zu verschwinden, wenn nämlich der Spatenstich für die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm (2 Mrd. Euro) erfolgt. Etwas deprimierend war es, den Abschlusstermin für den Ausbau Lübeck-Stralsund von »so gut wie fertig« auf »irgendwann« korrigieren zu müssen; das Projekt ist im Zusammenhang mit irgendwelchen Sparmaßnahmen »zeitlich gestreckt« worden und so oder so ist erst die Hälfte der Mittel verbaut.
Mit der Neuaufnahme von Stuttgart 21 hat die Liste einen neuen Schwerpunkt neben Sachsen und Thüringen bekommen, nicht zufällig in einer der anderen großen historischen Eisenbahnregionen Deutschlands. Es mag ja noch hier und da Leute geben, die an einen Abbruch der Bauarbeiten aus Geldmangel glauben; meine persönliche Prognose ist, dass das in spätestens anderthalb Jahren aufhören wird. Große öffentliche Bauvorhaben stecken, wenn sie einmal Fahrt aufgenommen haben, normalerweise selbst allerschlimmste Kostensteigerungen weg, ohne dass man ernsthaft in Betracht ziehen würde sie wieder zu beenden, und das wird auch bei diesem Projekt nicht anders sein. Die Gegner tun sich zudem mit ihrer zunehmenden Militanz und ihrer völlig überzogenen Rhetorik keinen Gefallen. Ich muss zugeben, dass das Gebaren der Stuttgart-21-Gegner, das man jeden Tag in bisher ungekannter Breite in den Kommentarbereichen nahezu jeder Zeitungs-Website Deutschlands bestaunen kann, mich derartig reaktant macht, dass ich mir mittlerweile nur noch eine möglichst zügige Umsetzung wünsche, auch wenn ich von dem Konzept nach wie vor nicht überzeugt bin.
Ebenfalls hartnäckige, wenn auch bisher vor Beleidigungen und Sachbeschädigungen zurückschreckende Gegner hat der Ausbau Karlsruhe-Basel, der wahrscheinlich noch einmal eine gute Ecke teurer werden und länger dauern wird als hier geschätzt. Wenn ich ein wenig überlege, scheint mir ohnehin, dass in Süddeutschland wesentlich energischer über öffentliche Bauprojekte diskutiert und gegen sie protestiert wird als anderswo. Habe ich mit dieser Vermutung Recht?

Bild: Ken Hodge (»kenhodge13«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Keine Kommentare: