Montag, 6. September 2010

136: Der Sprachtunnel (2/3)

Am Beispiel der Debatten zu Straßenprojekten wie der Dresdner Waldschlösschenbrücke oder dem Hochmoselübergang, aber auch an jedem beliebigen Meinungsaustausch zu Gemeindestraßenprojekten in einer Lokalzeitung ist erkennbar, dass nicht eine Heftigkeit des Tons, auch nicht die apokalyptischen Szenarien, mit denen gearbeitet wird, das Alleinstellungsmerkmal der Bahndiskurse ist, sondern diese spezielle, klischierte, leerdrehende Sprache, die absurderweise auch mehr mit Chiffren aus dem Wortfeld Straßenverkehr operiert als es in der konkreten Kritik an Straßenprojekten sichtbar ist: von »Autowahn«, »Betonpolitik« et cetera ist hauptsächlich in Texten zur Netzentwicklung der Eisenbahn die Rede; vielleicht auch, weil die bis hin zu verschwörungstheoretischen Extremformen hin verbreitete Gesinnung, die Deutsche Bahn sei eine Marionette einer vage definierten »Autolobby«, zumindest halbbewusst in den Tiefgrund der Diskussion eingegangen ist.
Die Konsequenz scheint mir zu sein, dass sich über kurz oder lang die bei gewissen »Eisenbahnfreunden« schon seit Jahrzehnten verbreitete Minimalthese als einzig öffentlich kommunizierbare Haltung zum Eisenbahnwesen durchsetzen wird - nämlich die, dass keinerlei »geldverschwenderische« »Prestigeprojekte« mehr nötig seien, die ja ohnehin nur Profilierung einer auf »den Börsengang« erpichten Bahn seien (wobei gerade die privatisierte DB Großprojekten durchaus skeptischer gegenübersteht als die frühere Bundesbahn); statt dessen sei nur ein schonender, niemandes Interesse verletzender Ausbau des bestehenden Netzes nötig, um »den Verkehrsinfarkt« (Prellblog 70) zu verhindern.
Dabei ist gleichzeitig klar, dass »schonende Ausbauten« nicht ausreichen können. Selbst beim Verzicht auf jegliche Neubaustrecke, auf jegliche Erhöhung von Fahrgeschwindigkeiten, wären die dritten und vierten Gleise, die man dann an Bestandsstrecken anbauen müsste, um allein den Zuwachs des Güterverkehrs aufzunehmen, mit ihren Dammverbreiterungen, Schallschutzwällen, Einschnitten, neuen Unterführungen, Bahnstromtrassen und Umspannwerken riesige Eingriffe mit mindestens ebenso viel Protestpotenzial wie jede Neubaustrecke.
Wenn meine Hypothesen zum Zustand der Eisenbahndiskurse in Deutschland richtig sind, müsste sich dies denn auch an den Reaktionen auf Ausbauprojekte, die der Bewältigung des zunehmenden Güterverkehrs dienen und denen keinerlei Charakter von »Prestigeprojekten« unterstellt werden kann, ablesen lassen. So wird es spannend zu beobachten sein, wie das Publikum beispielsweise mit dem dreigleisigen Ausbau der Gütermagistrale zur niederländischen Grenze umgeht, mit der Eintunnelung der Rheinstrecke in Rüdesheim oder, falls er je kommt, mit dem Bau einer Güterentlastungsstrecke diagonal durch Rheinland-Pfalz.
Die Vorstellung vom »schonenden Ausbau», davon also, dass man grundlegende Verbesserungen der Verhältnisse durch eine Vielzahl kleiner und kleinster Eingriffe erreichen könne, die weder je einzeln noch in der Summe irgend jemandem wehtun, ist nun keine, die es nur im Zusammenhang mit dem Eisenbahnverkehr gäbe. In anderen politischen Bereichen scheint dieses Ideal längst handlungsleitend, so beispielsweise im Renten- und Gesundheitswesen. Spiegelbildlich zum Zustand des Eisenbahndiskurses fordert auf diesen Terrains die etablierte Meinung beständig durchgreifende, »schmerzhafte Reformen« (was das Politikmarketing mittlerweile dahin gebracht hat, jedes Nachjustieren, wie es systemimmanent andauernd notwendig ist, zur Gesundheits- oder Rentenreform zu deklarieren, und dem Betrieb dieser Sektoren der staatlichen Daseinsfürsorge damit jeden Anschein von Stabilität oder Beständigkeit zu nehmen); »schmerzhafte Reformen«, wie sie im Eisenbahnverkehr in Gestalt immer neuer Reorganisationen des Betriebs und seiner Rahmenbedingungen, immer neuer milliardenschwerer Bauprogramme, Masterpläne und Sparpakete alltäglich sind.
(Der 3. und letzte Teil folgt am 13. September)


Bild: unbekannter Illustrator um 1840, via Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)

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