Montag, 20. September 2010

138: Marburch by Nature

Wenn es etwas dazu zu sagen gäbe, was ich nicht schon in dem zurückliegenden Dreiteiler und meinen anderen Artikeln zum Thema gesagt hätte, wäre das Thema für mich diese Woche selbstverständlich Stuttgart 21. Aber das Prellblog war schon immer gerne antizyklisch, und daher geht es heute in ungewohnt lokalpatriotischer Weise um einen ganz anderen, aber nicht minder lang hinausgeschobenen Bahnhofsumbau: Den des Marburger Hauptbahnhofs nämlich.

Wir haben ja alle schon nicht mehr daran geglaubt. Ich bin erst seit 2002 in dieser Stadt, aber schon damals hieß es, bald müsse es losgehen, und tatsächlich datieren beispielsweise die Planungen für den Umbau des Bahnhofsvorplatzes zurück bis 1996. Dass alles länger dauert als man denkt, ist zwar eine allgemeine bau- und verkehrspolitische Binsenweisheit, aber 14 Jahre sind für einen Bahnhofsvorplatz schon eine lange Zeit. Die Verzögerung für den Umbau des Bahnhofs selbst kann ich nicht beziffern, ich vermute, sie ist noch wesentlich länger. Nachdem sowohl für 2008 als auch für 2009 Baubeginne angekündigt und verschoben wurden, hat das Eisenbahnbundesamt wohl gerade erst die nötigen Genehmigungen erteilt, im November wird es einen Spatenstich geben und die eigentlichen Baumaßnahmen an der Verkehrsstation, also an den Bahnsteigen, ihrer Möblierung und ihren Zuwegungen, werden im Frühjahr 2011 beginnen. Bis dahin dürfte der Ausbau der Obergeschosse durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft ganz oder nahezu abgeschlossen sein. Ich bin jetzt schon gespannt darauf, wie die Marburger Bevölkerung und in besonderem Maße der Teil der Marburger Bevölkerung, der sich auf den Kommentarseiten der »Oberhessischen Presse« verewigt, auf den Aufzugturm, der außen angebaut werden wird, reagiert - der Architekt Gerd Kaut, von dem man angesichts seiner derzeitigen Auftragslage einmal sagen können wird, dass niemand das Marburger Stadtbild nach der Jahrhundertwende so geprägt habe wie er, wird nämlich auch hier wieder die Buntglasflächen, die sein Markenzeichen sind, anbringen.
Derzeit kann man durch die leeren Höhlen der über zwei Etagen verlaufenden Fenster des Südflügels einen finsteren, entkernten Raum sehen, in dem anscheinend gerade Deckenträger platziert werden oder zumindest etwas, was so aussieht. Die Baugenehmigung für die großen Eingriffe in die denkmalgeschützte Bausubstanz ist mittlerweile erteilt; das Gebäude wird zwei zusätzliche Reihen Dachgauben bekommen, um die großen Mietflächen, die im Spitzboden entstehen sollen, zu belichten. Im Erdgeschoss baut die DB, und dort wird es dann irgendwann hoffentlich ein ordentliches Reisezentrum geben. Es ist wohl auch »Systemgastronomie« geplant und neue, schicke Flächen für den Blumenladen und die Bahnhofsbuchhandlung.

Wesentlich heftiger (auch und gerade für die Anwohner) werden die Eingriffe bei der Vorplatzgestaltung. Die Suche nach Kampfmitteln ist schon durchgeführt worden, und überall kündigen es neonfarbene Markierungen auf dem Asphalt an: Von dem, was heute Bahnhofstraße von der Hochtrasse der B3 bis zum Bahnhofsgebäude ist, bleibt nicht viel. Aus ihm wird ein verkehrsberuhigter Vorplatz, in den nur noch Busse einfahren dürfen. Eine speziell für die Bedürfnisse der in der Blindenstadt Marburg besonders zahlreichen Sehbehinderten ausgelegte zentrale Bushaltestelle in der Mitte werden die Busse gegen den Uhrzeigersinn umfahren. Ich vermute, dass entgegen den Trends der letzten Jahrzehnte keine avantgardistische Überdachung über dieser Haltestelle geplant ist, sondern lediglich Wartehäuschen. Der Autoverkehr wird durch die Ernst-Giller-Straße und Mauerstraße geleitet, und die Neue Kasseler Straße endet vor dem Bahnhof in einer Wendeschleife. Im Zuge dieser Maßnahme wird auch gleich ein breiter Fuß- und Radweg von der Unterführung unter dem nördlichen Gleisfeld zum Waldtal (»Jägertunnel«) zum Bahnhof gebaut, und nur einen Steinwurf davon entfernt wohne dann ja auch schon ich.
Man darf gespannt sein. So nah am eigenen Leib habe ich die Modernisierungsschübe von Eisenbahn und ÖPNV in diesem Land noch nicht erleben können.

Bild: Allie_Caulfield bei Flickr (Details und Lizenz)

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