So kennt auch der Verkehrsdiskurs seine angedrohten Apokalypsen.
Szenario 1: Verkehrskollaps
Der Verkehrskollaps oder Verkehrsinfarkt ist die Projektion eines Trends, eine nebulöse, aber punktuelle, Katastrophe, die darin besteht, dass der Verkehr vorher noch funktioniert und hinterher gar nicht mehr, was auch immer das heißen soll.
Es gibt kaum konkrete Beschreibungen davon jenseits der abenteuerlichen Kostenrechnungen des ADAC. Man findet in der Science Fiction unter anderem bei John Brunner und Herbert W. Franke Darstellungen alptraumhafter Verkehrsstaus, die Tage dauern, aber ist das dann der Verkehrsinfarkt? Man könnte doch immer noch Bahn fahren. Letztlich ist der Verkehrskollaps eine Chiffre für die nicht nur in der verkehrspolitischen Diskussion beliebte Generalüberzeugung, dass stets zu wenig Geld mit den falschen Prioritäten falsch investiert und dann alles zu spät fertig wird
(siehe Prellblog 27). Typischerweise wird damit versucht, Mittel für Bahn oder Straße in Konkurrenz zum anderen Modus loszubrechen.
Seriös ist es jedenfalls nicht, vom Verkehrsinfarkt zu reden. Verkehr ist ja nicht unabhängig von der Kapazität der Verkehrswege da, sondern kann den Träger wechseln oder ganz verschwinden. Staus lassen sich umgehen, Fernpendler ziehen an den Arbeitsort, Tagesausflüge werden gestrichen, Unternehmen siedeln Zulieferer auf dem Werksgelände an, Straßenfracht weicht auf die Schiene oder in die Luft aus und so weiter. Auf der anderen Seite erzeugen Verkehrswege auch Verkehr. Ob der berühmte flüssige Verkehr, dem seit Jahrzehnten alle Regierungen nacheifern, überhaupt zu realisieren ist, und ob auf der anderen Seite eine so große Steigerung des Verkehrsaufkommens möglich ist, dass tatsächlich wie bei einer französischen Fernfahrerblockade mit kombiniertem Eisenbahnerstreik überall im Land nichts und niemand mehr vom Fleck kommt? Beides halte ich für fraglich.
Szenario 2: Abwicklung der Eisenbahn
Es gibt Länder, die einst eine Eisenbahn hatten und heute keine mehr. Meistens handelte es sich dabei um alte Kolonialinfrastruktur oder kurze Einzelstrecken, aber schön ist das nicht, ein Eisenbahnnetz vollständig abzuschaffen.
Dieses Schicksal prophezeien manche Gruppen Deutschland, einem der zweifelsohne wichtigsten Eisenbahnländer der Welt, für den Fall, dass etwas Bestimmtes passiert (zum Beispiel die Vollprivatisierung); dabei meist unter Ersatz des Personenverkehrs durch (Fern-)Busse und Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße, was natürlich sofort zum Verkehrskollaps führt (siehe oben). In den 1970ern war angesichts der Bundesbahnfinanzen und unter dem Schlagwort der »Schrumpfbahn« so etwas tatsächlich ein Szenario, heute eher nicht mehr. Es gibt Güter wie Erz, Stahlhalbzeug oder bestimmte Halbfertigprodukte der Chemie, die sich nur auf Schiene und Wasserstraße sinnvoll befördern lassen, und die Binnenschifffahrt kommt nicht überall hin. Natürlich ist es vorstellbar, dass eine radikal schienenfeindliche Verkehrspolitik zirka 75 bis 90 Prozent des verbliebenen Netzes stilllegt (ein Rest wird aus gegebenem Grund gebraucht), auch wenn das nicht mehrheitsfähig wäre.
Da greifen dann die Verschwörungstheorien. Dass die DB eine Marionette der Interessen von Luftfahrt und Automobilindustrie sei und als Unternehmensziel die Einstelllung des Bahnverkehrs in Deutschland verfolge, ist ein hartnäckiges Gerücht in gewissen Kreisen. So oder so - sie hat, anders als viele denken, keinesfalls carte blanche, stillzulegen, was sie stilllegen will. Da ist das Eisenbahnbundesamt vor.
Unmöglichkeit jedweden Verkehrs jenseits der Schrittgeschwindigkeit im ersten Fall, Herausreißen des gesamten Eisenbahnnetzes im zweiten - man sollte sich von den Katastrophenträumen nicht davon ablenken lassen, wo wirklich über die Zukunft von Bahn oder Nichtbahn entschieden wird, nämlich letztlich vor allem in den Ministerialbürokratien; und in den Köpfen der (potenziellen) Kunden.
Im Moment ist ohnehin zu besichtigen: Die Katastrophen, die wirklich kommen, sind selten die ausgemalten.
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