Donnerstag, 13. September 2007

27: Zu spät, zu spät

Dass der Güterverkehr boomt, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Im Moment tut es besonders der sogenannte Seehafenhinterlandverkehr. (Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, wie groß ein Seehafenhinterland sein kann, fahren doch Züge aus den deutschen Häfen bis nach Mailand und weiter.) Entsprechend hagelt es Forderungen, Masterpläne und Wehrufe dazu, wie diese Verkehre bewältigt werden sollen oder nicht bewältigt werden können. Und man sieht ein bekanntes Muster: Was den Neubau von Bahnstrecken angeht, um die vielen Globalisierungskisten und Flachstahlrollen aufzunehmen, heißt es, das dauere viel zu lang, und käme zu spät.

Man hat das schon ähnlich erlebt, als erst der Metrorapid und dann der Rhein-Ruhr-Express »zu spät« zur Fußball-WM kommen sollten; über den Bau von Eisenbahnstrecken wird, sofern er mehr als fünf, sechs Jahre dauert, immer schon gerne so geredet, als brauche die dann keiner mehr. Sind das dieselben Leute, die der niedrigen Geburtenraten wegen meinen, in zehn Jahren seien die Deutschen ausgestorben? Ich erinnere mich da an einen öffentlich-rechtlichen Fernsehbericht, wo die Aussage der DB-Führung, die zugegebenermaßen in der Realisierung damals leicht lahmenden Neubaustrecken zwischen München und Berlin integrierten sich in die europäische Hauptmagistrale von Skandinavien nach Italien, nicht einmal sachlich besprochen, sondern sofort als lächerliche Ausrede abgetan wurde - dabei ist sie selbstverständlich wahr. Nur ist es anscheinend so, dass man den Bau einer Eisenbahnverbindung von transkontinentalen Dimensionen, vor allem, wenn er Jahrzehnte dauert, grundsätzlich als »zu spät« oder sonstwie sinnlos ansieht, ganz gleich was er bringen könnte.

Problem scheint mir das populäre Verständnis davon, wie Verkehr und Verkehrswege funktionieren; eines, das uns auch die Idee eingetragen hat, Autobahnengstellen seien »Nadelöhre« und ihre Beseitigung führe zu fließendem Verkehr auf der Gesamtstrecke. Man stellt sich den Verkehrsakteur so ein bisschen vor wie in SimCity, wo der Simulationsalgorithmus Routen erzeugt und prüft, ob und wie ein Sim diese Strecke zurücklegen kann; kann er, tut er es und ist glücklich; kann er nicht, lässt er es bleiben und ist unzufrieden.
Verkehrsnachfrage ist aber nicht einfach so da und wird durch Wege befriedigt, sondern wird erheblich durch den Bau von Verkehrswegen angezogen. Andererseits wird nicht jeder Verkehr durch vorhandene Wege generiert, sonst gäbe es keine Trampelpfade und keine positiven Nutzenrechnungen für neue Bahnstrecken. Wäre das Verhältnis zwischen Verkehrsnachfrage und Infrastrukturangebot weniger verquast dialektisch, bräuchte man sich ja auch nicht Tausende von Experten mit Großrechnerbatterien und jährlichen Fachkongressen dafür zu halten, es zu modellieren.
Wer eine Bahnstrecke von Frankfurt nach Köln in ihrer gegenwärtigen Form baut, darf sich beispielsweise nicht wundern, wenn in Limburg auf einmal scharenweise Fernpendler siedeln und die Immobilienpreise hochtreiben und ausgerechnet Montabaur zur Bürostadt wird. Die Strecke schafft sich ihre Nachfrage. Nicht anders ist es mit der hip gewordenen Pendelei zwischen Hamburg und Berlin. Dass Ludwigshafen ein S-Bahn-Netz und neben dem katastrophalen Hauptbahnhof einen vernünftig gelegenen Bahnhalt in der Stadtmitte bekommen hat (Einweihung 2003), kann nicht nur Autofahrerinnen zum Umstieg, sondern auch Leute zum Umzug in die Dörfer bewegt haben, alleine schon, weil man die neuen Bahnhöfe und Züge auch benutzen kann, wenn man an Rollator oder Kinderwagen gefesselt ist.
Wer einer Brauerei oder einem Maschinenbauer einen neuen Gleisanschluss baut wie in Warstein oder Aurich, verlagert nicht nur bestehenden Verkehr auf die Schiene, sondern macht eventuell Werksausbauten erst möglich, weil sonst die Grenzkosten durch die Mehrtransporte zu hoch geworden wären. Wer einem Seehafen eine neue Bahnanbindung spendiert, wird dort Verkehr neu ordnen, so oder so.
Insofern ist es abwegig, Verkehrswege, die nicht ausschließlich für ein bestimmtes Ereignis gebraucht werden, als »zu spät« für nutzlos zu erklären. Verkehrswege gestalten die wirtschaftliche Transaktionslandschaft unmittelbar. Der Vorteil von Bahnsystemen ist dabei, dass sie dies kontrollierbarer und ökologisch tragbarer tun als Autostraßen.

Übrigens: Die S-Bahn-Verlängerung nach Homburg (Saar) sollte eigentlich zur Fußball-WM fertig sein und war es nicht. Das Leben ging weiter, die S-Bahn fährt; gerüchteweise haben die Lokalzeitungen andere Themen gefunden.

Bild: Rob Brewer alias »rbrwr« bei Flickr (Details und Lizenz)

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