Donnerstag, 27. September 2007

29: Die Härte

Die Eisenbahn ist nach wie vor das einzige spurgebundene Verkehrsmittel, das weltweit in nennenswertem Netzausbau existiert. Ein Hauptgrund dafür ist wahrscheinlich, dass keines der Konkurrenzkonzepte eine annähernd so flexible, kompakte und günstige Lösung für den Übergang von einem Gleis aufs andere hat wie die Eisenbahnweiche eine ist.

Das Konzept ist in seiner Grundform bestechend einfach: Das gerade und das abzweigende Gleis werden so verlegt, als sei beides gleichzeitig am selben Ort möglich. Dort, wo sich dabei Überschneidungen ergeben, werden die Schienen so unterbrochen, dass ein Spurkranz durchpasst. Dort, wo die Schienen zusammenlaufen, bildet man die Enden der abzweigenden Schienen beweglich aus. Radlenker (kurze Führungsschienen für die Spurkränzen an den passenden Stellen) verhindern Entgleisungen; dazu noch ein Hebel und die Urform der Weiche ist fertig.
Das Bezaubernde an der Weiche ist, dass sie fließend skalierbar ist. Eine Weiche auf einer modernen Hochgeschwindigkeitsstrecke beispielsweise ist eine fußballfeldlange High-Tech-Maschine, hergestellt von internationalen Firmenkonsortien, die über zwanzig Meter lange bewegliche Zungen mit einer ganzen Reihe synchronisierter elektrohydraulischer Antriebe auf speziellen Gleit- und Rollvorrichtungen bewegt und mit cleveren Mechanismen verriegelt. Auch das sogenannte Herzstück, an dem sich die Schienen schneiden, ist bei solchen Weichen nicht nur ungeheuer lang, sondern beweglich, so dass die genannten Lücken je nach Fahrtrichtung geschlossen werden. Der Apparat wird wie jede moderne Weiche bei widriger Witterung elektrisch beheizt, damit er nicht vereist. Die Krümmung des abzweigenden Strangs ist eine komplexe Kurve, berechnet, um das Durchgeschütteltwerden beim Überfahren möglichst zu begrenzen. Am Ende hat man dann eine Vorrichtung, die einen Zug bei unwahrscheinlichen Geschwindigkeiten (220 km/h in Spanien) von einem Gleis einer Strecke aufs andere leiten kann, ohne dass im Bistro auch nur ein Kaffee überschwappt.
Auf Rangierbahnhöfen gibt es Weichen, die sich in einer Minute vierzig Mal umstellen, um zerlegte Züge gleichmäßig über quadratkilometergroße Gleisareale zu verteilen. 

Aber die rumpeligen, handgestellten Weichen gibt es trotzdem noch, und dieselben Züge können beide befahren. Zwar versuchen alle Bahnunternehmen heute an Weichen zu sparen, so viel es geht, einerseits an der Wartung (schmierölfreie Zungenrollvorrichtungen und ionenstrahlgehärtete Schienenkanten machen das Controlling glücklich), andererseits durch Abbau und Verschrottung. Aber dass insgesamt Eisenbahnweichen ein Schnäppchen sind verglichen mit Einschienenbahn- oder gar Transrapid-Weichen, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Bild: k_s_____s_k_ bei Flickr (Details und Lizenz)

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