141: Und kein Ende
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, hier vor zirka Februar 2011 nichts mehr über Stuttgart 21 zu schreiben, aber nach den Ereignissen der letzten Wochen und Tage kann ich mir das nicht mehr leisten. Zuallererst und vorweg sei gesagt: Ich glaube, dass das Projekt gescheitert ist. Das meine ich nicht in dem polemischen Sinne, in dem seine Opposition einen Satz wie »Stuttgart 21 ist bereits 1997 gescheitert« oder Ähnliches sagen möchte. Ich meine damit, dass das Vorhaben vor ein paar Tagen noch hätte realisiert werden können, jetzt aber nicht mehr realisiert werden wird, einfach deswegen, weil in unserer Gesellschaft ein Foto wie das von Dietrich Wagner, der mit zerstörten Augen aus dem Schlosspark geführt wird, ein Foto, das an Harald Schmidts Vorführung dessen gemahnt, wie man als Tourneetheater in der Provinz die Selbstblendung des Ödipus darstellt, das den Magen umdreht, das ich nicht mehr vergessen oder verdrängen kann und das jeder Art von Emotion einen Hebel bietet, stärker über das Schicksal eines politischen Diskurses entscheiden kann als jedes Gerichtsverfahren, jede Volksabstimmung und jeder Mediationsversuch. Dieses Foto hat die Sache gemacht.
Und es ist tatsächlich eine Selbstblendung geschehen, und das hat nichts damit zu tun, ob Wagner tatsächlich in gewisser Weise selbst mit verantwortlich war für seine fürchterlichen Verletzungen, wie es von staatlichen Stellen behauptet wird, oder ob er völlig unschuldig in den Strahl des Wasserwerfers geraten ist. Die blutigen Augen sind ein Symbol dafür, wie sich die Gesellschaft als in der Dialektik von Staat und Zivilgesellschaft konstituierte in geradezu atemberaubend radikaler Weise selbst unfähig gemacht hat, ihre eigenen Erkenntnisverfahren zu gebrauchen und institutionelle Vernunft an den Tag zu legen. Die Rollen waren dabei strategisch klar verteilt: Die Stuttgart-21-Gegnerschaft verbreitete definitiv die falscheren Behauptungen, die Befürworterschaft vollzog dafür die falscheren Handlungen. Die bürgerliche Utopie, dass sich die zwischen Bürgerschaft und Staat ungleich verteilten Ressourcen von Macht und Wissen im öffentlichen Diskurs ausgleichen mögen, ist in unglaublichster Weise auf den Kopf gestellt worden. Man würde sich wünschen, die brillante Kommunikations- und Integrationsfähigkeit, die die Landschaft der Gegenorganisationen an den Tag legt, und die ruhige und in Halbjahrhunderten rechnende planerische Intelligenz der staatlichen Legitimationsverfahren würden miteinander spielen; aber sie spielen ja noch nicht einmal mehr gegeneinander. Sie spielen gar nicht mehr.
Ich bin zu jung, um aus eigener Erfahrung sagen zu können, ob es das in der Bundesrepublik Deutschland schon einmal gegeben hat. Ich bin aber auch nicht mehr jung genug, um Behauptungen dazu aufzustellen, wo das nun absehbare unbestimmte Vertagen des Stuttgarter Knotenumbaus und wahrscheinlich auch des Baus der Schnellstrecke nach Ulm hinführen könnte, ob damit tatsächlich die Gesellschaft in eine Epoche eintaucht, in der sie bis auf weiteres keinerlei größeren Infrastrukturbauten mehr realisieren kann oder ob es sich lediglich um einen Einzelfall handelt, der allenfalls noch ein paar andere »große Lösungen« bei der Eisenbahn beeinflussen oder aufhalten wird.
Ich weiß nur: Unabhängig davon, welchen städtebaulichen und verkehrlichen Nutzen Stuttgart 21 und die Neubaustrecke erbringen könnten, wenn man sie realisierte (und sie würden selbstverständlich einen Nutzen erbringen, keinen Schaden, fragwürdig wird der Nutzen eben erst in der Relation zu den Kosten; umso irrsinniger ist die unökonomische und apokalyptische Art, in der auf beiden Seiten über das Projekt geredet wird), ist der politische und gesellschaftliche Schaden bereits jetzt furchtbar und er wird wachsen, ganz gleich wie es weiter geht. Wir stehen blind und mit blutenden Augen da, Protagonist in einer antiken Tragödie: Ganz gleich, wie sich die Verantwortlichen beim Staat und bei den Protestierenden entscheiden, die Entscheidung wird die eine oder die andere Axt an unsere Institutionen legen, und am Ende wird es doch keinen neuen Bahnhof und kein neues Stadtviertel geben, nicht in diesem Leben. Und erst unsere Töchter werden Stuttgart 21 begraben.
Foto: Doug Wertman bei Flickr (Details und Lizenz)
Und es ist tatsächlich eine Selbstblendung geschehen, und das hat nichts damit zu tun, ob Wagner tatsächlich in gewisser Weise selbst mit verantwortlich war für seine fürchterlichen Verletzungen, wie es von staatlichen Stellen behauptet wird, oder ob er völlig unschuldig in den Strahl des Wasserwerfers geraten ist. Die blutigen Augen sind ein Symbol dafür, wie sich die Gesellschaft als in der Dialektik von Staat und Zivilgesellschaft konstituierte in geradezu atemberaubend radikaler Weise selbst unfähig gemacht hat, ihre eigenen Erkenntnisverfahren zu gebrauchen und institutionelle Vernunft an den Tag zu legen. Die Rollen waren dabei strategisch klar verteilt: Die Stuttgart-21-Gegnerschaft verbreitete definitiv die falscheren Behauptungen, die Befürworterschaft vollzog dafür die falscheren Handlungen. Die bürgerliche Utopie, dass sich die zwischen Bürgerschaft und Staat ungleich verteilten Ressourcen von Macht und Wissen im öffentlichen Diskurs ausgleichen mögen, ist in unglaublichster Weise auf den Kopf gestellt worden. Man würde sich wünschen, die brillante Kommunikations- und Integrationsfähigkeit, die die Landschaft der Gegenorganisationen an den Tag legt, und die ruhige und in Halbjahrhunderten rechnende planerische Intelligenz der staatlichen Legitimationsverfahren würden miteinander spielen; aber sie spielen ja noch nicht einmal mehr gegeneinander. Sie spielen gar nicht mehr.
Ich bin zu jung, um aus eigener Erfahrung sagen zu können, ob es das in der Bundesrepublik Deutschland schon einmal gegeben hat. Ich bin aber auch nicht mehr jung genug, um Behauptungen dazu aufzustellen, wo das nun absehbare unbestimmte Vertagen des Stuttgarter Knotenumbaus und wahrscheinlich auch des Baus der Schnellstrecke nach Ulm hinführen könnte, ob damit tatsächlich die Gesellschaft in eine Epoche eintaucht, in der sie bis auf weiteres keinerlei größeren Infrastrukturbauten mehr realisieren kann oder ob es sich lediglich um einen Einzelfall handelt, der allenfalls noch ein paar andere »große Lösungen« bei der Eisenbahn beeinflussen oder aufhalten wird.
Ich weiß nur: Unabhängig davon, welchen städtebaulichen und verkehrlichen Nutzen Stuttgart 21 und die Neubaustrecke erbringen könnten, wenn man sie realisierte (und sie würden selbstverständlich einen Nutzen erbringen, keinen Schaden, fragwürdig wird der Nutzen eben erst in der Relation zu den Kosten; umso irrsinniger ist die unökonomische und apokalyptische Art, in der auf beiden Seiten über das Projekt geredet wird), ist der politische und gesellschaftliche Schaden bereits jetzt furchtbar und er wird wachsen, ganz gleich wie es weiter geht. Wir stehen blind und mit blutenden Augen da, Protagonist in einer antiken Tragödie: Ganz gleich, wie sich die Verantwortlichen beim Staat und bei den Protestierenden entscheiden, die Entscheidung wird die eine oder die andere Axt an unsere Institutionen legen, und am Ende wird es doch keinen neuen Bahnhof und kein neues Stadtviertel geben, nicht in diesem Leben. Und erst unsere Töchter werden Stuttgart 21 begraben.
Foto: Doug Wertman bei Flickr (Details und Lizenz)
1 Kommentar:
Die DB kann effekiv nur einen Weg gehen um S21 durch zu bekommen, und zwar muss sie schnellstmoeglich den Punkt erreichen an dem die Umkehr mehr kostet als ein Weiterbauen, dass bricht dann den meisten Gegnern dass Genick weil ihr Hauptargument wegfaellt.
Die "verbrannte Erde"-Politik passt perfekt dazu.
Wenn das Projekt vorher gestoppt wird, kann ich aber garantieren, dass von den verplanten Foerdermitteln nicht einmal ein Viertel in BW bleibt.
So wie ich meinen Ministerpraesidenten kenne wird der Seehofer soviel wie moeglich nach Bayern holen (damit waere dann die Elektrifizierung Hof-Regensburg und der Ausbau Muenchen-Muehldorf schon mal gesichert)
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