Donnerstag, 19. März 2009

88: Dass sich die Balken biegen

Die Kreisel begannen zu rotieren und füllten die Halle mit einem hohlen, pfeifenden Sausen. Die Stützbacken lösten sich automatisch, als die Kreisel die erforderliche Tourenzahl erreicht hatten - und der Zug glitt unter dem tobenden Jubel der Menge aus der Halle. (Bernhard Kellermann: Der Tunnel. Berlin: S. Fischer, 1913)
Was Kellermann in diesem Zitat aus seinem letzte Woche (siehe Prellblog 87) erwähnten Buch beschreibt, ist eine Modeerscheinung jener Jahre: eine stehende Einschienenbahn. Statt zwei Schienen eine, keine Achsen, sondern nur eine Reihe von Einzelrädern, und das Ganze stabilisiert durch ingeniöse Kreiselapparate. Es ist heutzutage nicht mehr nachvollziehbar, was die britische Armee und Kolonialverwaltung ebenso wie den deutschen Großverleger August Scherl damals dazu bewog, in diese Technik vergleichsweise immense Geldsummen zu investieren, denn sonderlich viele Vorteile hat sie nicht; ich persönlich kann überhaupt keinen erkennen. Es ist denn, trotz fortgeschrittener Pläne im Taunus, nie zum Bau einer Nutzstrecke gekommen.

Was man heute Einschienenbahn nennt, ist etwas anderes. Es sind keine Kreisel im Spiel, die Schiene ist ein langgestreckter (oft hohler) Balken aus Stahl oder Beton und das Fahrzeug hat mehr als nur eine Reihe von Rädern. Man unterscheidet Sattelbahnen, die auf einem Balken fahren und sich an diesem zusätzlich seitlich abstützen und/oder ihn von unten umgreifen, sowie Hängebahnen, deren Fahrwerke in einem Hohlkasten oder seitlich und von oben an einem Flanschträger fahren.
Die Hoffnungen, die sich einmal mit solchen Bahnen verbanden, waren groß. In Deutschland plante A.L. Wenner-Gren die nach ihm benannte Alweg-Bahn, die schnell als Zukunft des Hochgeschwindigkeitsverkehrs gehandelt wurde; die einzigen Planungen für konkrete Projekte betrafen jedoch den Stadtverkehr (1959 ein ganzes Netz für Frankfurt) und wurden letztlich nie realisiert. Klingt irgendwie bekannt? Der Transrapid (siehe Prellblog 31) ist auch eine Einschienenbahn, wenngleich ohne Räder.

Man darf trotzdem nicht verschweigen, dass mehrere hundert Kilometer Einschienenbahn auf der Welt existieren, der größte Teil davon in Ost- und Südostasien. Alles an den bestehenden Systemen atmet Bescheidenheit: Nahezu alle arbeiten mit Gummireifen und Gleichstromzufuhr über Stromschienen, die Geschwindigkeiten übersteigen selten 100 km/h. Die Fahrzeuge sind von Kapazität und Komfort höchstens mit Straßenbahnen vergleichbar. Das weltgrößte Netz in Osaka hat mit 28 Kilometer Länge auch etwa die Dimensionen eines kleineren deutschen Straßenbahnnetzes. Die 1901 eröffnete Wuppertaler Schwebebahn, das älteste aller Systeme, ist nur unwesentlich kürzer. Planungen für Fernstrecken sind mir nicht bekannt, auch die kühnsten Projekte für neue Netze kommen allesamt nicht über zirka vierzig Kilometer Umfang hinaus. Neben der Inkompatibilität der Einschienenbahnen zu konventionellen Verkehrsmitteln und untereinander ist ein wesentliches Problem die Weichentechnik - Biegeweichen, Schiebeweichen, Drehscheiben und was der Konstruktionen noch mehr sind haben allesamt nicht die Vorteile der guten alten Eisenbahnweiche (siehe Prellblog 29).

Die Frage liegt nah: Warum baut man die Dinger dann? Ist es bloß das Science-Fiction-Image, das Einschienenbahnen seit mindestens fünfzig Jahren mit sich herumtragen? Ist es der gewisse Reiz des ganz anderen? Ich muss zugeben, dass mir nach aller Recherche und nach mehreren Jahren, in denen ich immer wieder auf dieses Thema gestoßen bin, immer noch nicht ganz klar ist, warum weiterhin sporadisch Einschienenbahnen gebaut werden. Ich vermute, es hat auch stark mit Bau- und Planungsrecht und den Einspruchsmöglichkeiten der BürgerInnen zu tun: es gibt schon Gründe, warum in manchen Ländern weiterhin massiv aufgeständerte Verkehrswege neu gebaut werden, während man in Deutschland eher versucht, sie loszuwerden.

Bild: Thant Zin Myint bei Flickr (Details und Lizenz)

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und verrätst Du uns auch diese Gründe?

mawa hat gesagt…

Ich dachte, das sei halbwegs offensichtlich - dort, wo die Leute sich gegen schattenwerfende, lärmige Hochbahnen und Hochstraßen wehren können, tun sie das auch.

Anonym hat gesagt…

Solche Effekte scheint es immer wieder zu geben dass Geld in Projekte gesteckt wird mit denen man seinen Status und seinen enormen Technischen Fortschritt demonstrieren will und Sinnvollere Sachen leider zu kurz kommen. Oder diese Projekte dann aufgrund ihrer kosten so klein geplant werden dass ihre eigentlicher technologischer Nutzen zur gänze im Nichts unterzugehen scheint.
siehe hierzu Transrapid

Gruß Tobias