86: Katastrophe in Köln
Aus aktuellem Anlass verschiebt sich die für heute angekündigte Folge über interkontinentale Eisenbahnverbindungen auf die kommende Woche.
Was vorgestern in Köln passiert ist, bedarf hier keiner ausführlichen Schilderungen mehr; falls es jemand nicht mitbekommen haben sollte: Beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs und angrenzender Gebäude hat es Verletzte und womöglich Tote gegeben (es sind immer noch Vermisste in den Trümmern), das Ganze ist direkt neben einer U-Bahn-Baustelle passiert und ganz in der Nähe einer Kirche, deren Turm vor Jahren im Zusammenhang mit denselben Bauarbeiten in Schieflage gekommen war.
Mittlerweile ist relativ klar, was sich ereignet hat. Was dort neben (nicht unter) dem Stadtarchiv entsteht, ist ein Gleiswechselbauwerk, also faktisch eine unterirdische Halle, die in Deckelbauweise gebaut wird. Dies ist eine Variante der offenen Bauweise; bei jener bleibt die Baugrube bis zur Fertigstellung der Arbeiten zur Luft offen, bei der Deckelbauweise werden die Baugrubenwände bereits überdeckelt, sobald der Aushub weit genug ist, dass Maschinen und Arbeiter unter der Deckenplatte weiterarbeiten können. Die eigentlichen Tunnelröhren der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn wurden großenteils mit Bohrmaschinen gebaut, also ohne offene oder überdeckelte Baugruben, nur die Haltestellen und eben der besagte Gleiswechsel wurden als Kästen von oben her gebaut. Um so einen Kasten zu erstellen, muss man erst einmal Wände in den Boden treiben, damit der Untergrund nicht nachrutscht, wenn man die Grube aushebt. In diesem Fall waren dies so genannte Schlitzwände, Wände, die entstehen, wenn man mit einem speziellen langen und schmalen Greifer einen Schlitz in den Boden gräbt und diesen dann ausbetoniert.
Eine dieser Wände muss offenbar nachgegeben haben, das Erdreich von der anderen Wandseite brach in die Baugrube ein und vor den anstehenden Gebäuden weg, die dann umkippten und zerbarsten.
Es steht mir, und wie ich finde, auch niemandem sonst, zu, heute schon in anklagendem Ton über Verantwortlichkeiten und Konsequenzen zu reden. Andere sehen das anders - binnen kürzester Zeit konnte man schon Kommentare auf Zeitungswebsites lesen, die von technokratischer Hybris sprachen und natürlich ein Ende sämtlicher U-Bahn-Bauten überhaupt forderten. Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma hat diese Forderung entgegen vieler Meldungen wohl nicht direkt geäußert. Dafür ist das Unglück vom BUND sogleich ausgeschlachtet worden, um Stimmung gegen das große Untertunnelungsprojekt Stuttgart 21 (siehe Prellblog 19) zu machen, und diverse Bauexperten sind in der erkennbaren Absicht, irgendwie die allgemeine Unverantwortlichkeit von Tunnelbauten überhaupt herauszuarbeiten, interviewt worden. Selbstverständlich fehlt es nicht an sofortigen Schuldzuweisungen, sei es an den »kölschen Klüngel« oder an eine bestimmte Baufirma.
Meine Meinung wird niemanden überraschen: Es ist etwas schief gegangen, und auch wenn Geologie schon öfter für schlimme Überraschungen gesorgt hat, wird sich eventuell ein zumindest teilverantwortlicher Mensch finden lassen. Unabhängig davon ist das Kölner Nord-Süd-Tunnelprojekt bitter nötig und auch anderswo wird es sich nicht vermeiden lassen, dass immer mehr Röhren unter die Städte der Welt getrieben werden, auch und gerade unter historische Altstädte. Es gibt nahezu keine Großstadt, die nicht an gewaltigen Schienenquerungen plant oder bereits welche realisiert hat. Und vermutlich werden auch in Zukunft irgendwelche Gebäude wegen Tunnelbauarbeiten einstürzen. Jede Technik hat ihr Restrisiko. Es liegt in der Natur des Systems Bahn, in seiner Geplantheit und seinen Maßstäben, dass Einzelunglücke wie Systemfehler wirken, während bei anderen Verkehrsträgern wie dem Kraftfahrzeug Systemfehler als Masse von Einzelunglücken erscheinen. Wir sollten so oder so nicht hysterisch werden.
Bild: Ekki Maas (»eggegg«) bei Flickr (Details und Lizenz)
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