Donnerstag, 15. Januar 2009

78: Draußen ist's kalt

An vielen Stellen im deutschen Schienennetz liegen weiß und rot gestreifte Metallfässer neben den Strecken, die ganz entfernt an Rettungsinselbehälter aus der christlichen Seefahrt erinnern.
Wenn man in diesen Tagen die Neue Kasseler Straße entlanggeht und über den Parkplatz auf das nördliche Gleisfeld des Marburger Hauptbahnhofs schaut, kann man bei ausreichenden Minusgraden und klarer Witterung eine kleine Nebelspirale sehen, die aus scheinbar unerfindlichem Grunde von einem Punkt irgendwo in den Schienen in die Höhe steigt.
Unweit davon sitzt ein kleiner Transformator auf einem Oberleitungsmast.
An einem ganz besonders kalten Tag konnte man sehen, dass an der beschriebenen Stelle ein Kleinwagen neben den Gleisen parkte, ein DB-Mitarbeiter ausstieg, eine orange Warnjacke anzog und mit einem kleinen Besen zu hantieren begann.

Was hat das alles miteinander zu tun?
Die Stahltonnen, der aufsteigende Dampf, der Masttrafo und der Besenmann sind Aspekte der Lösung eines Dauerproblems der Eisenbahn im Winter: der Weichenvereisung. Möglichst enges Aneinanderlegen beweglicher und fester Schienenteile ist ja fester Bestandteil des Konzepts Eisenbahnweiche (siehe auch Prellblog 29), und so kann konstruktionsbedingt auch einmal das eine oder andere bewegliche Teil festfrieren. Dass die Weiche sich nicht mehr umstellen lässt, wird zwar im Stellwerk bemerkt und birgt somit kein Sicherheitsrisiko, aber den Verkehr behindern kann so etwas in ganz erheblicher Weise.
Die einfachste Abhilfe schafft der vom beschriebenen Warnjackenmann geschwungene Weichenbesen, ein schmales und langborstiges Gerät, mit dem man Flugschnee und von Zügen herabgefallene Eisbrocken entfernen kann. Zumeist geht es aber ohne Besen ab, denn moderne Weichen werden geheizt.
Das kann schnell und heiß mit Gas geschehen (das Brenngas kommt aus den beschriebenen Stahltanks) oder langsamer und etwas weniger heiß mit Strom, der entweder aus dem Ortsnetz oder über eigene Transformatoren aus dem Bahnstromnetz bezogen wird. Und wie gesagt, es kann dann durchaus vorkommen, dass so eine geheizte Weiche ein wenig dampft.

Die Technik ist zwar eigentlich nicht die komplizierteste, aber trotzdem sind moderne Weichenheizungsanlagen, wie sie meistens zusammen mit der Umstellung von Strecken oder Teilnetzen auf elektronische Stellwerkstechnik eingebaut werden, schon recht beeindruckende Systeme, die Dutzende von Weichen teilweise durch automatische Wetterstationen geregelt eisfrei halten (oder es zumindest versuchen). Der Besenmann hat trotzdem weiterhin seine Existenzberechtigung - als er neulich auftauchte, war vorher ein Holzzug, wie sie in Marburg seit einiger Zeit rangiert werden (siehe auch Prellblog 46) einmal vorwärts und einmal rückwärts durch den nördlichen Bahnhofskopf gefahren, vermutlich im vergeblichen Bestreben, in ein Nebengleis hineinzukommen, dessen Weiche nicht mehr tat. Auch die stärkste Heizung kann plötzlich in eine Weiche gefallene Schnee- und Eisbrocken nicht in Minutenschnelle entfernen.

In letzter Zeit wird übrigens wieder vermehrt über den Einsatz geothermischer Weichenheizungen geredet. Immerhin sind alleine an elektrischen Heizungen im DB-Netz mehr als fünfhundert Megawatt installiert, und abgesehen vom Energiesparen ist es wohl auch so, dass technisch bedingt der Heizstrom zu besonders ungünstigen Tarifen bezogen werden muss. Die Alternative besteht darin, Tiefbohrungen niederzubringen und mit Wärmerohren, deren Trägermedium unter Vordruck steht, das »warme« Erdreich mit den Schienen zu verbinden, alles ohne zusätzliche bewegliche Teile. Prototypen funktionieren, aber ob man dort, wo die Wärme gebraucht wird, wirklich auch so viele Löcher bohren kann und will, muss sich erst noch zeigen.

Bild: Sergei Vavinov (»svv«) bei Flickr (Details und Lizenz)

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