81: Platz da
Bahnhöfe selbst sind in Deutschland, wenn man sich den Zahn der Zeit wegdenkt, häufig architektonisch recht gut. (Böse Zungen mögen munkeln, das liege hauptsächlich daran, dass zwischen 1965 und 1990 kaum welche gebaut wurden.) Umso schlimmer sind viele Bahnhofsvorplätze - vom legendären Bonner Loch über die, wenn man sich den Dom wegdenkt, vollkommen trostlose Vorder- und Rückseite des Kölner Hauptbahnhofs und die zahllosen missratenen Busbahnhöfe (im Jargon »ZOBs«) bis hin zum mies geteerten Nichts vieler Kleinstädte fallen einem da viele Beispiele ein. Ganz neu im Rennen sind die vorläufig noch völlig ungestalteten Vorplätze des Berliner Hauptbahnhofs.
Der durchschnittliche Bahnhofsvorplatz hierzulande ist häufig eigentlich gar kein Platz, sondern eine Hauptverkehrsstraße. Dort, wo man es geschafft hat, den Durchgangsverkehr irgendwie auf Abstand zu halten, muss man sich immer noch mit dem Problem herumschlagen, dass Zubringer und Abbringer (Jargon: »Kiss and Ride«), Kurzparker, Taxischlange, Busse und Straßenbahnen irgendwie sortiert werden müssen, und das, ohne den Bahnhof für Fußgänger von seinem hoffentlich einigermaßen wirtlichen städtischen Umfeld abzuschneiden. Gerne gibt es auch eine oder sogar mehrere getrennt liegende unterirdische S-, U- oder Stadtbahnhaltestellen, die man irgendwie (Jargon: mit »Zuwegungen«) anbinden muss.
Alles nicht so einfach also.
Ein beliebtes Rezept, um das Vorplatzproblem in den Griff zu bekommen, ist die Verlegung von Verknüpfungspunkten in, an oder unter den Bahnhof selber. In den Bahnhof kann man zum Beispiel die Straßenbahn verlegen und sie dabei gleichzeitig zu einer Regionalstadtbahn ausbauen (siehe auch Prellblog 25); die Kasseler Lösung dafür hat für ihre Überdachung übrigens neulich einen Holzbaupreis gewonnen, das nächste größere Projekt dieser Sorte wird wohl in Chemnitz stattfinden. An den Bahnhof verlegen kann man Bus- und Straßenbahnhaltestellen mittels Kombibahnsteigen, das heißt, Bahnsteigen, die an einer Kante die Eisenbahn und an der anderen die Straßenbahn und/oder den Bus halten lassen. Man findet das zum Beispiel in Ingelheim. (Busse in denselben Haltestellen wie Straßenbahnen halten zu lassen, ist noch so eine Kompressionsstrategie; gesehen zum Beispiel vor dem Mainzer Hauptbahnhof.) Und unter den Bahnhof bauen ist die teuerste, aber auch klassischste Lösung; man muss dann aber auch ungefähr senkrecht darunter kommen, sonst hat man Probleme mit oft keimigen und fußkalten Verteilerbauwerken (Jargon »B-Ebene«). In letzter Zeit eher verpönt, ist derzeit für Augsburg eine neue Untertunnelungslösung in Planung. Außergewöhnlicherweise liegen dabei die Straßenbahngleise, wenn ich mich recht erinnere, zwar mitten unter dem Bahnhof, aber im rechten Winkel zu den Eisenbahngleisen, was Probleme ganz eigener Art und eine (hoffentlich eben nicht keimige und fußkalte) B-Ebene bringt.
Bei Vorplätzen jedweder Couleur können sich Stadt- und Verkehrsplanerinnen also so richtig austoben; dazu aber auch die Verwaltungsfachleute und Juristen, denn die Zuständigkeiten zwischen DB, Nahverkehrsbetrieben, Stadt, Land, Bund, Verkehrsverbünden, Servicegesellschaften und sonstigen Interessenten abzustimmen, ist aufwändig. Manchmal geht es gut, manchmal nicht. In den letzten Jahren zeigt sich jedenfalls der Wille, selbst schwer verbaute und verkommene Plätze auch mit großem Mitteleinsatz zu sanieren und dabei die Übergänge zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zukunftsweisend zu lösen, ohne jedoch die nötige Stellfläche für Brezelstände zu opfern (Jargon: »in Wegfall kommen« zu lassen).
Auch in Marburg soll uns das laufende Jahr den Baubeginn eines Großprojektes bringen, bei dem ein neuer Bahnhofsvorplatz entstehen und der derzeitige, düstere und abseitige Busbahnhof unter der aufgeständerten Stadtautobahn abgeschafft werden soll. Man munkelt von großen Änderungen der Verkehrsführung. Ich bin gespannt, nicht nur, was Marburg und Frankfurt, sondern alle Bahnhofsvorplätze angeht.
Bild: »azerpouak« bei Flickr (Details und Lizenz)
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