Dienstag, 5. Oktober 2010

140: Messeneuheiten 2/2

Heute also der versprochene zweite Teil der InnoTrans-Berichterstattung mit weiteren Messetrends:

Nasenstüber: Die Enden (fachsprachlich Köpfe) europäischer Eisenbahnfahrzeuge sind schon lange -wahrscheinlich seit dem Anlauf auf die fehlgeschlagene Einführung einer automatischen Einheitskupplung (siehe Prellblog 8)- nicht mehr durch irgend eine Regelung so tiefgreifend verändert worden wie durch die EU-Norm 15 227, die vergleichbar wie bei Straßenfahrzeugen fordert, wie Lokomotiven und Triebzüge bestimmte Kollisionsszenarien wegzustecken haben. Meistens werden hierzu sogenannte Crashpuffer und hinter ihnen energieverzehrende Elemente (auf Autodeutsch »Crashboxen«) vorgesehen, was bei vielen neuen Fahrzeugmodellen im Vergleich zu ihren Vorgängern auffällig aufträgt (z.B. Bombardier Talent 2 oder ganz drastischer bei der GM PowerHaul). Bei Neukonstruktionen werden die verschiedenen passiven Sicherheitselemente oft elegant versteckt - so verbirgt sich in der augenscheinlich glatten Front der Voith Maxima (Bild) unsichtbar hinter einem dünnen aufgeklebten Aluminiumblech ein Block aus Lamellen, deren Aufgabe es ist, sich bei einem Aufprall in den Kollisionspartner zu krallen und das gefürchtete »Aufklettern«, das dazu führen könnte, dass Puffer und Crashboxen übereinander vorbeigreifen statt sich wechselseitig beim Energieabsorbieren zu unterstützen, zu verhindern.

Vorne oben zehn, hinten oben fünfzehn: In der für Vorortzüge in Montréal und New Jersey vorgesehenen Lokomotive Bombardier ALP-45DP (hergestellt in Kassel) drängen sich auf engstem Raum zwei (!) Dieselmotoren und die notwendige Elektrik, um gegebenenfalls auch mit Strom aus einer Oberleitung zu fahren. Siemens präsentierte neben dem Desiro ML, seinem Triebzug für Hauptstrecken, ein Dieselaggregat, das aufs Dach passt, und vermutlich wird es über kurz oder lang auch dieses Fahrzeug in einer Variante geben, die mit Öl genauso fahren kann wie mit Strom aus der Leitung. Alstom hat mit seinem Citadis ja bereits seit über fünf Jahren ein Hybridfahrzeug dieser Art im Programm, das in Kassel zumal schon fährt (siehe Prellblog 25). Die Möglichkeit, unter günstigen Bedingungen sozusagen »einfach« noch ein Netzteil einzubauen, stellt einen Wettbewerbsvorteil für die dieselelektrische Kraftübertragung dar, den dieselhydraulische Lokomotiven nie werden einholen können. Umso mehr Mühe werden sich Voith und Konsorten geben, ihre eigenen Vorteile, nämlich die höherer Wirkungsgrade und größerer Tanks, auszubauen. Dass es, wie berichtet (siehe Prellblog 96), Bemühungen gibt, mit kleinen Expansionsdampfmaschinen oder pressluftbasierten Konstruktionen die Abwärme von Dieselmotor und Leistungsbremse (Retarder) speicherbar zu machen, passt ins Bild.

Immer mehr, immer mehr: Die InnoTrans 2010 hat sich wieder in sämtlichen Werten (Besuchszahlen, Ausstellungsfläche, Ausstellendenzahl, Anzahl Weltneuheiten etc.) erheblich gegenüber dem letzten Mal gesteigert, und das spiegelt nichts anderes wider als den langfristigen Trend der Eisenbahnbranche. Ein Spaziergang über das InnoTrans-Außengelände vermag binnen einer Viertelstunde zu demonstrieren, dass die gerade hierzulande immer noch beliebte Assoziation von Eisenbahn mit Malaise und langfristiger Überflüssigkeit völlig absurd ist. In jedem Sektor des Güter- und des Personenverkehrs gibt es nahezu überall auf der Welt Wachstums- und Erfolgsgeschichten. Die bahntechnische Industrie, die in Berlin übrigens einen Cluster bildet, was auch erklärt, warum die InnoTrans nicht in Hannover abgehalten wird, brummt und ließe sich in absehbarer Zeit alleine damit auslasten, dass Schwellenländer ihre Infrastruktur ausbauen - alleine der Investitionsbedarf für S-, U-, Stadt- und Straßenbahnen in indischen Großstädten dürfte im mittleren dreistelligen Milliardenbereich liegen, dass China in dieser Hinsicht schon seit Jahr und Tag astronomische Summen investiert, ist bekannt. In den USA werden die Rufe nach Hochgeschwindigkeitszügen ebenso lauter wie die nach mehr Nahverkehr. Und auch in Europa bleiben Investitionen in die Eisenbahn Schrittmacher der Stadtentwicklung - wer das bezweifelt, braucht nur einmal nach Lüttich zu fahren oder nach Wien: Die Mutter der industriellen Revolution hat ihre Kinder nicht verlassen.

Bild: eigene Aufnahme

3 Kommentare:

Christoph Moder hat gesagt…

Hallo, gibt's eigentlich dieses Jahr auch wieder ein Innotrans-Special?

Ich bin selber am überlegen, hinzufahren ... reicht als Laie der Publikumstag, oder lohnt sich der Eintritt für die Fachbesuchertage, auch wenn man nicht vorhat, einen Zug zu kaufen?
Danke!

Christoph

mawa hat gesagt…

Ich würde ganz gerne hinfahren, bin aber leider nicht so gut bei Kasse und muss diesen Monat ohnehin schon nach Bochum, nach Ingolstadt und nach Salzburg... :/ Bisher war ich beide Male nur bei den Publikumstagen. Mir war gar nicht klar, dass man als »Normalsterblicher« auch zu den Fachbesuchertagen reinkommt?

Christoph Moder hat gesagt…

Die Webseite macht den Eindruck, dass man dort ein Ticket bestellen kann, ohne seinen Fachbesucher-Status nachweisen zu müssen. Die scheinen die Unterscheidung eher durch den Preis zu machen; die Tickets für die Publikumstage sind einfach sehr viel billiger. (Und selbst wenn man die Firmenzugehörigkeit angeben muss, nachkontrolliert wird das wohl kaum, also Pokerface machen und rein.)

Ich glaube halt nur, dass ich zu wenig Wissen habe, um an einem Fachbesuchertag etwas Sinnvolles zu fragen.

Würde mich auf jeden Fall freuen, wenn es wieder mehr neue Beiträge auf dem Prellblog gäbe. (Und mir ist bewusst, wie viel Arbeit da drin steckt.)