Der Kanal ist, wenn nicht der Großvater der Eisenbahn, doch zumindest ihr Großonkel. Die Gemeinsamkeiten zwischen künstlichen Wasserstraßen und Bahnstrecken sind enorm: Längsneigung ist möglichst zu vermeiden; gerade in der Frühzeit der Bahn und der Kanäle wurden sowohl Züge als auch Boote mit »Schiefen Ebenen« über größere Höhenunterschiede befördert; Kanalbrücken und -tunnel nehmen die Ingenieurbauwerke der Bahn vorweg; das Wort »Weiche« gab es schon vor dem ersten stählernen Gleis; und im Englischen nennt man Gleisbauer immer noch »navvies« nach den Arbeitern, die die »navigations«, die alten schmalen Schiffahrtskanäle des 18. Jahrhunderts, das erste Adernetz der industriellen Revolution, bauten. Bahnstrecken schmiegen sich an die natürlichen Flussläufe (siehe auch Prellblog 46), und viele verlaufen parallel zu künstlichen Wasserstraßen.
Es ist kein Zufall, dass sich Eisenbahn und Binnenschiff seit jeher Konkurrenz machen. Die Güter, die auf beiden vorwiegend transportiert werden (Schüttgüter, Gefahrgüter, Mineralölprodukte, Container, Metalle), sind recht ähnlich. In einem Artikel über einer Leiter der Montanabteilung der DB-Frachtsparte durfte ich einmal lesen, dass man dort jedes vorbeifahrende Binnenschiff ärgerlich betrachtet, stellt es doch entgangenes Geschäft im Volumen von ungefähr zwei Zügen dar.
Der interessierte Laie mag sich durchaus fragen, warum Eisenbahn und Binnenschiff sich nicht irgendwie zusammentun, um gemeinsam der Straße mehr Marktanteile abzunehmen. Auf Grund der sehr ähnlichen Vorteile und Streckenlagen ergänzen sich Bahn und Schiff auf den Hauptstrecken jedoch nicht unbedingt.
Wofür beide Bedarf haben, sind jedoch Ladeanlagen, denn die »letzte Meile« legen die meisten Güter dann doch auf der Straße zurück. Und in der Tat entwickeln sich die deutschen Binnenhäfen immer mehr zu trimodalen Terminals, wo Binnenschiff, Zug und Lkw untereinander umschlagen. Die Vorteile liegen auf der Hand - im Hafen sind die Flächen und oft auch schon die benötigten Umschlageinrichtungen wie Kräne, Containerstapler, Waagen etc. schon da.
So lebt der Duisburger Hafen längst nicht mehr vom Schiff allein, sondern auch von hunderten nationaler und internationaler Güterzugverbindungen wöchentlich, Ähnliches gilt für praktisch jeden größeren Binnenhafen. In manchen Häfen wird mittlerweile mehr Bahn- als Schiffsfracht abgewickelt. Dementsprechend verzahnen sich Hafenbetrieb und Eisenbahn immer weiter, diverse Hafenbahnen haben sich zu in großem Maßstab operierenden Gütertransporteuren entwickelt. Die Kölner HGK fährt Züge von der niederländisch-belgischen bis an die deutsch-polnische Grenze und von der Schweiz bis nach Dithmarschen.
Neue Containerterminals schießen in den Binnenhäfen wie Pilze aus dem Boden, und die meisten haben sowohl Straßen- als auch Bahnanschluss. Dies hat auch damit zu tun, dass die Anbindungen und Flächen der Seehäfen nicht so schnell wachsen können wie ihre Verkehre; damit verlagern sich Umladevorgänge und andere logistische Arbeiten zunehmend ins Hinterland. Wenn ein Importeur keine Halle mehr in Rotterdam findet, tut's vielleicht auch eine in Riesa oder Karlsruhe.
Dabei schließt sich durch die zunehmende Containerisierung der Kreis - die Globalisierungskisten stehen dem Untersatz, der sie durch die Lande befördert, ja einigermaßen gleichgültig gegenüber, und so kann ein Versender für seine Transporte je nach Dringlichkeit, Kapazitäten und Kassenlage zwischen Bahn, Wasserstraße, Asphalt und eventuell sogar See und Luft wählen. Im Kleinen passiert also das, was sich im Großen auch allmählich ankündigt, dass Container zum Beispiel aus der Türkei oder sogar aus China je nach Situation aufs Schiff oder auf den Zug gepackt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die zunehmenden Transportweiten in einer immer weiter integrierten eurasiatischen Wirtschaft in Zukunft für ähnlich traumhafte Marktanteile der Bahn sorgen werden wie in Nordamerika, der Heimat der Tausend-Meilen-Laufwege. Vielleicht werden hier in Marburg irgendwann chinesische und malaysische Lokomotiven vorbeifahren wie heute die aus der Schweiz und der Lüneburger Heide, wer weiß?
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