Donnerstag, 14. Februar 2008

48: Freitag nach eins macht jeder seins

Als Nachfolger der Eisenbahn sind in den nun ungefähr 200 Jahren ihrer Existenz viele, viele Systeme vorgeschlagen worden. Der Klassiker darunter ist dabei die Einschienenbahn in ihrer aufgeständerten Form: Fiktive Städteansichten aus Science Fiction und Futurologie zwischen zirka 1950 und 1970 sind ohne Hochbahnen genausowenig denkbar wie ohne Hochstraßen.

Gerne verkehren auf den kühn geschwungenen Schienen in solchen Illustrationen keine vereinzelten Züge, sondern unzählige kleine Gondeln, und das deutet auf eine technische Revolution jenseits der Trag- und Führtechnik hin: Auf den Ersatz von fahrplanmäßig verkehrenden, manuell geführten Fahrzeugen, die Hunderte von Fahrgästen aufnehmen, durch viele kleine Fahrzeuge, nicht viel größer als ein Auto, die automatisch von Punkt zu Punkt verkehren. Die Idee hört fachsprachlich auf den Namen »Spurgeführter Individualverkehr« oder, am gängigsten, »Personal Rapid Transit« (PRT).
PRT reiht sich mit der Kernfusion, dem fliegenden Auto, Unterwasserstädten, riesigen Frachtluftschiffen und dem papierlosen Büro ein in den Kanon der technischen Innovationen, die uns seit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für die Zukunft versprochen werden, ohne bisher einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Man fragt sich, warum. Das Konzept klingt einleuchtend und die technische Realisierung kann ja nicht so schwer sein.

Um es kurz zu machen: Wahrscheinlich hat PRT deswegen bis heute kein ernstzunehmendes Referenzsystem hinbekommen, weil es in den propagierten Anwendungen schlicht nicht funktionieren kann. Die Grundanforderungen lassen sich dabei natürlich lösen: Automatische Fahrzeuge auf irgendwelchen Schienensystemen herumfahren zu lassen, können wir heutzutage ganz gut, auch wenn es Vorteile hat, wenn das Ganze unterirdisch passiert, wo nichts auf die Trasse fallen, springen oder geschleudert werden kann. Die vorgeschlagenen Höchstgeschwindigkeiten sind beherrschbar, Trasse und Fahrzeuge wohl auch preiswert zu bauen.
Schwieriger wird es, die nötigen Kapazitäten hinzukriegen.
Durch den Münchner S-Bahn-Stammstreckentunnel passen 30 Züge pro Stunde und Richtung, die minimal knapp 6000 und im theoretischen Maximum über 40 000 Fahrgäste aufnehmen können. Wenn man optimistisch davon ausgeht, dass jedes PRT-Fahrzeug mit zwei Fahrgästen besetzt ist, müssten sich allein für die minimale Kapazität die Gondeln mit weniger als zwei Sekunden Abstand folgen. Das ist wahrscheinlich sicherungstechnisch irgendwie realisierbar, aber ernsthaft gemacht hat es noch niemand. Der Straßenverkehr löst die durch die sehr enge Fahrzeugfolge und die geringe Kapazität der Einzelfahrzeuge entstehenden Probleme dadurch, dass man relativ viele Unfälle hinnimmt und die Straßen vielspurig ausbaut. Mit so einer Gondelbahntrasse kann man das nicht ohne weiteres machen, und selbst wenn, gäbe es den großen Vorteil spurgeführter Verkehrssysteme Preis, bei zunehmendem Durchsatz nicht in die Breite zu wuchern (siehe auch Prellblog 39). Daher braucht man verzweigte Netzwerke, wo es zwischen zwei Punkten mehrere Alternativrouten gibt, aber es gibt nun einmal Engpässe und Punkte, wo sich zu gewissen Zeiten die Nachfrage ballt. Das Kapazitätsproblem ist also bis heute nur halb gelöst.

Genausowenig ist es klar, wie es gehen soll, an allen Stationen zu jeder Zeit genügend Leergondeln zur Verfügung zu haben. Sie hintereinander aufreihen oder parallel stellen frisst Platz, automatisierte Gondelparkhäuser oder -tiefgaragen wären teuer. Neuere Konzepte lassen die Leergondeln einfach im Netz umlaufen, aber das ist weder für die Wartungskosten noch für die Energiebilanz gut. Wenn Leute nach einem Fußballspiel anderthalb Stunden auf eine freie Gondel warten müssen, wird es auch der Inneneinrichtung nicht sonderlich bekommen.
Daneben müssen ungeheuer leistungsfähige und wartungsarme Weichensysteme, die im Ernstfall in der Lage sind, mehrere tausend Fahrzeuge pro Stunde nach links und rechts zu sortieren, zum Einsatz kommen. Stationen müssen in Nebengleisen liegen, da sonst jeder längere Einstiegs- und Ausstiegsvorgang (und davon gibt es notgedrungen Tausende) den durchgehenden Verkehr auf Kilometerlänge stauen könnte, und deswegen verhältnismäßig groß ausfallen, was wiederum dem Anspruch, viele, viele Orte im Punkt-zu-Punkt-Verkehr zu vernetzen, zuwiderläuft.

Was hat das alles nun in einer Kolumne über die Eisenbahn zu suchen?
Nun, es gibt neben den Ideen einiger mehr oder minder durchgeknallter selbsternannter Erfinder auch ernsthafte Projekte, auf dem bestehenden Eisenbahnnetz PRT zu realisieren. (Das in Deutschland bekannteste ist wahrscheinlich die sogenannte Neue Bahntechnik Paderborn NBP.) Die Verlockung ist groß, den konventionellen Bahnverkehr abschaffen und durch ein Netzwerk ersetzen zu wollen, das Reisen ohne Zwischenstopp von Haus zu Haus ermöglicht. Es gibt jedoch große Bedenken, ob das wirklich zu machen ist, und selbst wenn, bleibt die Frage, wo der Nutzwert gegenüber dem liegt, was man mit den notwendigen Rieseninvestitionen - die NBP würde ein Nachrüsten aller Nutzstrecken mit Linearmotorantrieben erfordern - im konventionellen Bahnverkehr machen könnte.
Das heißt nicht, dass es keine Zukunft für selbstfahrende Schienenfahrzeuge im Bedarfsverkehr gibt. Wahrscheinlich wird sie sich aber auf Nischenanwendungen wie Campus- und Flughafenerschließung beschränken, und in den Stoßzeiten nach wie vor fahrplangebunden sein. Genau das gibt es zum Beispiel in Form der Dortmunder H-Bahn heute schon. Die Vorstellung, dank PRT nicht mehr mit Fremden ein Verkehrsmittel teilen zu brauchen, was besonders in den USA, wo ÖPNV-Nutzung stark schichtspezifisch ist, ein Verkaufsargument darstellt, wird man so oder so aufgeben müssen.
Wenn wirklicher PRT kommen wird, dann in Form selbstfahrender Autos. Aber die verspricht man uns nun auch schon seit fünfzig Jahren.

Bild: Hans Kylberg (»visulogik«) bei Flickr (Details und Lizenz)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Schon allein für eine dem heutigen Individualverkehr vergleichbare Flächenerschließung bräuchte man ein ähnlich dichtes Netz, was höhere Kapazitäten (bezogen auf die mögliche Zahl autonomer Einheiten pro Stunde) und mehr Alternativrouten ermöglicht, als bei allen heutigen Schienennetzen zusammen.
Automatisierung müsste erst einmal Zugabstände ermöglichen, die die beim Fahren auf Sicht, Beispiel Strassenbahn, unterbieten.
Traktions- bzw. Flügelfähigkeit während der Fahrt könnte das
Kapazitätsproblem lösen.
Die Frage ist, ob Bedarf und Wirtschaftlichkeit jemals ausreichen werden, das ganze zu entwickeln. Machbar und finanzierbar ist ein großer Unterschied.