Donnerstag, 28. Juni 2007

16: Unserer, eurer, ihrer

Der ICE ist der deutsche Hochgeschwindigkeitszug. Der TGV der französische. Der Shinkansen der japanische. Der KTX der koreanische. Der AVE der spanische. Und so weiter und so fort.
Alles sehr einfach. Und vor allem falsch.

Erstens: »Den ICE« gibt es nicht. Unter dieser Marke fahren mittlerweile sieben verschiedene Typen von Zügen mit teils noch verschiedenen Unterbaureihen. Bei »dem Shinkansen« ist es noch schlimmer, da gibt es vergleichsweise Unmengen von Typen. In Taiwan fahren Züge, die der Laie als modifizierte Shinkansen, in Korea solche, die er als modifizierte TGV bezeichnen würde. In Spanien fahren »ICE« als AVE.

Zweitens: »Den deutschen Hochgeschwindigkeitszug« gibt es auch nicht, zumindest keinen staatlichen deutschen Hochgeschwindigkeitszug. Deutsche Eisenbahnen sind am Betrieb von mindestens drei Hochgeschwindigkeitsprodukten beteiligt (ICE, TGV, Thalys) und auf dem deutschen Eisenbahnnetz fahren mindestens vier (neben den genannten noch der Cisalpino).

Drittens: Es gibt ICE-Züge, die den niederländischen Staatsbahnen und den österreichischen Bundesbahnen gehören.

Viertens: Es gibt ICE-Linien, die zusammen mit ausländischen Eisenbahnen (DSB, NS, ÖBB, SBB/CFF/FFS, NMBS/SNCB, SNCF) betrieben werden.

Warum aber das geradezu verbohrte Festhalten vieler Leute und auch vieler Literatur an der nationalen Zuordnung bestimmter Züge? Das liegt an der Geschichte.
Früher einmal hatte jeder Staat seine eigene Staatsbahn, und so eine Staatsbahn war oft nicht nur Betreiber von Eisenbahninfrastruktur und -fahrzeugen, sondern meistens auch ihre eigene Genehmigungsbehörde und ihr eigener Fahrzeugentwickler. So entwickelte die Deutsche Bundesbahn den ersten ICE, genau wie die meisten Lokomotiven vorher, in Zusammenarbeit mit der Industrie, in diesem Falle mit einem Konsortium quasi der gesamten deutschen Fahrzeugindustrie. Genauso machte das die SNCF mit dem TGV 001 und so weiter. Die von der Staatsbahn entwickelten und von der nationalen Industrie gebauten Züge fuhren dann wieder für die Staatsbahn, alles war quasi in einer Hand.

Heutzutage, in Zeiten der Liberalisierung, beginnt das aufzuweichen. Kaum eine Eisenbahn entwickelt noch selber Rollmaterial; die Schienenfahrzeugindustrie hat sich zu einer Handvoll großer internationaler Konzerne konsolidiert (Bombardier, Alstom, Siemens TS, Talgo, Stadler, Ansaldo und das war's dann auch schon quasi), die sich um die Angebote der Bahnen zanken. Und vor allem haben die Produktbezeichnungen für Hochgeschwindigkeitszüge mit dem Material selber nicht mehr so viel zu tun. Es könnte sein, dass bald ein Alstom-Produkt, was man landläufig als TGV bezeichnen würde, in ICE-Farben für die Deutsche Bahn fährt. (Die Produktbezeichnung für den ICE ist übrigens mittlerweile »Siemens Velaro« bzw. »Siemens Venturio«, je nach Baureihe.) Züge überqueren Grenzen, Unternehmen in französischem Besitz fahren Züge in Deutschland und umgekehrt. Die Welt ist nicht mehr so geordnet wie sie einmal war.


Bild: David Reid bei Flickr (Details und Lizenz)

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