Donnerstag, 21. Juni 2007

15: Hochstapelei

Eine Flut bunter Globalisierungskisten rauscht über das deutsche Schienennetz hinweg. Über 36% des Schienengüterverkehrs entfallen auf Halbfertig- und Fertigwaren, bald werden es wohl 41% sein, und das bei einem um fast 29% gewachsenen Gesamtmarkt. Der wichtigste Träger dieses Wachstums ist der Containerverkehr, fachsprachlich Kombinierter Verkehr genannt. Er strapaziert die Infrastruktur anders als beispielsweise ein Boom von Stahltransporten (den es derzeit nebenbei auch gibt). Container sind vergleichsweise leicht. Sie sind mit Handelswaren, sprich Pappkartons, beladen, und die wiegen leichter als Drahtspulen oder Kesselbleche. Dafür nehmen Container aber viel Raum ein; man braucht viele Züge, um sie wegzufahren.
In Nordamerika, wo bekanntlich alles anders ist, sind die Transportstrecken traditionell viel länger, weil es so groß ist und Europa sich mit dem Aufbau eines kontinentalen Binnenmarktes länger Zeit gelassen hat. Fernfracht kann auch nur beschränkt auf die Seeschifffahrt ausweichen, weil Amerika weniger zerklüftet ist und nicht alles einen Steinwurf weit von der nächsten Küste liegt. Daher werden dort seit Jahrzehnten Kisten in einem Ausmaß geschoben, das Europa erst jetzt kennenlernt. Und da man auch in Amerika Züge nicht unbegrenzt lang machen kann, ist man 1985 auf die Idee gekommen, Container einfach zwei Lagen hoch zu stapeln. Dadurch halbieren sich die Transportkosten nahezu, und faktisch hat dieses sogenannte »Doublestacking« den amerikanischen Eisenbahn-Güterverkehr vor der Pleite gerettet. In China fahren die Container-Doppeldecker auch schon seit 2004.

Warum also nicht bei uns das Gleiche machen? Da spielen nun zunächst die nationalen Eigenheiten, was das Lichtraumprofil angeht, also den Raum über und neben den Schienen, der für die Fahrzeuge freigehalten wird, hinein. Dieses Profil ist in Nordamerika größer als in Europa. Trotzdem war es nötig, Tunnel aufzuweiten, um die neuen, höheren Züge hindurch zu kriegen, und das, obwohl die Spezialwagen niederflurig gebaut sind: Man sieht auf dem Foto, wie weit die unteren Container darin verschwinden. Anderswo wurden auch die Oberleitungen abgebaut, da der elektrische Bahnbetrieb ohnehin nur auf einigen wenigen Fernstrecken eine relevante Rolle spielt. Um in Europa doppelt hohe Containerzüge zu fahren, müsste man nicht nur immense Arbeiten zum Freimachen des zusätzlichen Lichtraums leisten, sondern auch die Oberleitungen höher legen. Am Rande bräuchten auch die Loks andere, höher reichende Stromabnehmer und die Ladebrücken in den Containerbahnhöfen müssten vielleicht höher gebaut werden, aber das ist reinste Portokasse verglichen mit den Kosten, auf der Strecke alle Tunnel aufzubohren und faktisch alle Überführungen über die Strecke und die gesamte Oberleitungsanlage neu zu errichten.
Was in Europa wohl zuerst kommen wird, sind längere Züge, 1500 Meter Maximallänge statt des derzeitigen deutschen Grenzwertes von 700 Metern sind für die Rheinstrecken im Gespräch, weil die Schweizer in ihren neuen Alpentunnels auch mit dieser Länge arbeiten wollen. Wegen der bekannten Probleme mit den schwachen europäischen Kupplungen wird man sich aber irgendwann auch nach anderen Lösungen umsehen müssen, das Wachstum des Güterverkehrs scheint nicht zu bremsen, und wer weiß, vielleicht fahren irgendwann auch durchs Rheintal kilometerlange, doppelt hoch beladene Containerzüge. Bleibt nur zu hoffen, dass man bis dahin ein paar gute Ideen für den Lärmschutz haben wird. (Zum Ausbau der Rheinschiene siehe auch Prellblog 34.)

Bild: Sean Lamb bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Warum müssen eigentlich immer Strecken neugebaut oder erweitert werden, wenn es um Kapazitätserweiterungen geht?
Mit Technik sollte sich doch einiges billiger erreichen lassen, als mit Baumaßnahmen.
Könntest Du Dich mal in einer Kolumne damit beschäftigen, was Güterzüge von Personenzüge sosehr unterscheidet, dass die einen höchst selten in den Fahrplan der anderen passen? Wären die Höchstgeschwindigkeits-, Beschleunigungs- und Verzögerungswerte aller Zugarten homogener, würde sich dann nicht auch die Durchlassfähigkeit der Strecken und damit die Kapazität des Gesamtnetzes erhöhen?

mawa hat gesagt…

Also generell ist das schon so, dass eine Strecke die meisten Züge verträgt, wenn die alle das gleiche Geschwindigkeitsprofil haben. Nur ist es heute so, dass auf Hauptstrecken selbst die popligsten Nahverkehrszüge mit 140-160 km/h deutlich schneller sind, als es für Güterzüge praktikabel (und wirtschaftlich) ist, und die Güterzüge fast nie halten, die Regionalzüge dagegen eher oft.
Wenn du Güterzügen mit Hochleistungsloks und -bremsen das Fahrverhalten einer S-Bahn angewöhnen könntest, würden sich der Energieverbrauch und die Gleise bedanken. Das Grundproblem, dass ausgerechnet die langsameren Züge die sind, die am wenigsten halten, wirst du aus dem System nicht rauskriegen.

Die Sache mit "Fahrzeugtechnik statt bauen" war bei der Neigetechnik schon ein halber Trugschluss. Ich wäre da vorsichtig. Ich wüsste nicht, mit welcher Fahrzeugtechnik man eine Steigerung der Containerkapazität einer Strecke auf das Doppelte ähnlich günstig hinkriegen könnte wie mit dem hier besprochenen Ausbau auf Doublestacking.

Anonym hat gesagt…

Teilweise wird Regional- und Güterverkehr mit denselben Loks gefahren. Die Bremsen sind technisch ebenfalls identisch, nur werden sie bei langen Zügen auf geringere Bremskraft eingestellt(Die Einstellung heisst demnach auch G für Güterzug), als bei kurzen(P für Personenzug). Bei längeren Zügen ist das Risiko des stauchens oder dehnens grösser, weil es seine Zeit braucht, bis die Druckluftbremse überall wirkt. Dieses technische Manko wird durch Bremskrafteinschränkung abgemildert. Der Bremsweg verlängert sich, die Höchstgeschwindigkeit von Güterzügen wird daher auf 120 km/h begrenzt. Die teure Antriebstechnik ist bereits für höhere Geschwindigkeiten ausgelegt, die primitive Bremstechnik verhindert Geschwindigkeiten, die jeder Bummelzug inzwischen erreicht. Es geht nicht um Parameter von S-Bahnen(meist eigene Gleise) oder Hochleistung(obwohl es bspw. einen Post-TGV gibt). Regionalbahnen stellen die meisten Züge auf dem Netz. Mit Bremsen, die einen Halt binnen eines Signalabstands auch bei 160 km/h ermöglichen und Beschleunigungsparametern, deren eventuelle Unterdurchschnittlichkeit durch weniger Halte ausgeglichen wird, sollten Güterzüge doch im Plan von Regionalzügen fahren können. Die Probleme, Regional- und Fernzüge auf demselben Gleis fahren zu lassen, beziehen sich ja auch nicht auf jeden Regionalbahnhalt, sondern auf die Fahrzeiten zwischen den Fernbahnhalten. Schnellere Güterzüge würden sich auch positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene auswirken.
Wenn man nicht mehr hauptsächlich nachts fahren muss, sondern es rund um die Uhr kann, steigert das die Containerkapazität deutlich. Mal davon abgesehen, dass Züge, die einen Signalabstand schneller als bisher hinter sich bringen, die Streckenkapazität erhöhen und mehr Güter im Jahr befördern können.

mawa hat gesagt…

Was du da zum Thema Bremsen schreibst, ist nicht ganz richtig. Aber so oder so gilt, wie bereits gesagt: Auch wenn Güterzüge noch schneller beschleunigen und bremsen könnten, könnten sie immer noch nicht zwischen Nahverkehrszügen mitschwimmen, weil diese einfach viel öfter halten - es sei denn um den Preis sehr vieler Überholungen und/oder andauernder Signalhalte.
Streckenkapazität wird am stärksten durch die Bahnhöfe bestimmt, nicht durch die freie Strecke.