Sonntag, 6. März 2011

151: Passt, wackelt und hat Luft

Im Prellblog 8 war vor mehr als dreieinhalb Jahren ausführlich die Rede von Eisenbahnkupplungen - den hierzulande üblichen handbedienten Schraubenkupplungen, und den hierzulande leider nicht üblichen einheitlichen automatischen Kupplungen, wie man sie aus anderen Ländern kennt. Es ist dieser Tage vielleicht sinnvoll, noch einmal auf das Thema einzugehen, denn es gibt einige kleinere Anzeichen dafür, dass die Kupplungssituation in Europa sich langfristig verbessern könnte.
Wir erinnern uns: Eine handelsübliche automatische Mittelpufferkupplung, wie sie in den USA, China, der ehemaligen Sowjetunion und auch sonst vielerorts verwendet wird, besteht aus einer schweren, robusten, asymmetrischen Stahltatze mit einer darin beweglichen, rastbaren Klaue auf einer Seite. Die Form der Tatze und die einseitige Anordnung der Klaue ermöglichen, dass zwei solche Kupplungen, wenn sie mit einem gewissen Schwung gegeneinander gefahren werden, ineinander greifen und einrasten. Zum Entkuppeln muss man die Klauen (gegebenenfalls nach Zusammenstauchen des Zuges) irgendwie lösen; amerikanische Güterwagen haben dazu einen Hebel an der Wagenecke, das Bild zu diesem Artikel zeigt eine recht rustikale Löseeinrichtung an einer Kupplung sowjetischen Typs (die krückenförmige Stange dient zum Ziehen an der Lösekette). Luftleitungen werden von Hand gekuppelt, ohne Eingriff von Rangierpersonal am Boden lassen sich daher Wagen weder kuppeln noch trennen. Der große Vorteil ist jedoch die Stabilität und die hohe Belastbarkeit der Kupplungen, die wesentlich längere und schwerere Güterzüge erlaubt.
Nun ist die maximale Länge von Zügen auf einem Eisenbahnnetz nicht nur durch die Kupplungen, sondern vor allem durch die Länge der Überholbahnhöfe, der Rangiergleise und so weiter begrenzt. Es muss daher noch andere Vorteile einer automatischen Kupplung geben, soll sich diese in Europa je etablieren. Als gegen 1970 zum ersten Mal die Ablösung der alten Schraubenkupplungen in Europa geplant wurde, war dazu denn auch eine gegenüber den »Ur-Automatikkupplungen« anspruchsvollere Form vorgesehen: Die Klauenvorrichtung war nach unten erheblich verlängert, um dort automatische Verbindungen für Druckluft und Elektrik vorzusehen. Nun konnte man Züge prinzipiell bilden und trennen, ohne dass Rangierpersonal die einzelnen Wagen abgehen musste. Durchgesetzt hat sich diese Kupplungsform jedoch trotz erheblicher Vorbereitungen nie; zu der nötigen quasi schlagartigen Umstellung riesiger Wagenflotten konnte man sich gerade in den (zumindest in westlichen Ländern) eher stilllegungsfreundlichen, die »Schrumpfbahn« beschwörenden 1970er Jahren nicht durchringen.

Seit 2002 ist nun ein neuer Kupplungstyp in Erprobung, der vielleicht das Unmögliche doch noch möglich macht. Luft- und Elektrikverbindungen sind hier von der »Klauenverlängerung« direkt in die Tatze der Kupplung selbst verlagert, so dass diese von Baugröße und -position her es erlaubt, weiterhin konventionelle Seitenpuffer und eine Anhängevorrichtung für Schraubenkupplungen beizubehalten. Gemischtes Kuppeln mit alten Wagen ist also möglich, eine »schleichende« Einführung der neuen Kupplung mithin denkbar. Vor einem Jahr sind denn auch Lokomotiven für überschwere Erzzüge der DB mit dieser neuen Kupplung ausgestattet worden, und wer weiß, vielleicht kommt hier gerade etwas in Bewegung. Man liest allerdings, dass es immer noch Kinderkrankheiten gibt, die unter anderem damit zu tun haben, dass die Luftanschlüsse dadurch realisiert sind, dass Rohransätze in kreuzweise geschlitzte Gummischeiben stoßen; schon das Vorgängermodell mit der »großen Tatze« hat wohl regelmäßig Dichtigkeitsprobleme. Etwas Sorgen macht mir persönlich, dass es derzeit nur einen Hersteller für diese Kupplung zu geben scheint (der Hersteller Faiveley nennt das Produkt »Transpact«, bei der DB hört es auf den Namen »C-AKv«); möchte man einen Standard einführen, sollte man keine Zulieferermonopole etablieren, das hat schon bei genügend anderen Systemen nicht geklappt.

Nicht verschweigen sollte man, dass die europäischen Interoperabilitätsbestimmungen für Hochgeschwindigkeitszüge eine standardisierte Form von elektropneumatischer automatischer Kupplung vorschreiben (so genannte Scharfenberg-Kupplung). Diesen Kupplungstypen findet man an fast allen Bauarten von Triebzügen im Personennah- und -fernverkehr. Leider ist das Funktionsprinzip ein ganz anderes als bei den genannten »Tatzen«-Kupplungen, und schwere, winterfeste Güterzüge lassen sich damit nicht realisieren.

Bild: Zoltán Bogaly bei Wikipedia (Details und Rechtefreigabe)

3 Kommentare:

Peter hat gesagt…

Hier noch meine Ergänzungen zum Thema automatische Kupplung.

mawa hat gesagt…

Vielen Dank für den ausführlichen Beitrag! Mit deiner pessimistischen Einstellung zur europaweiten Einführung einer Automatikkupplung gehe ich jedoch nicht ganz konform, aus zwei Gründen: Der Einzelwagenverkehr gerade in und durch A/CH/D, ist meines Wissens vielleicht anteilig rückläufig, aber nicht absolut, und die zunehmende Konzentration im Markt bedeutet, dass die Durchsetzungschancen für eine neue (mischbare) Standardkupplung steigen; zum andern werden Güterzüge auf den europäischen Hauptachsen tendenziell schwerer (Ausbau auf höhere Streckenklassen, Pläne zur Einführung längerer Züge, langfristig Doublestacking). Entscheidend ist m.E., dass eine neue Kupplung auch messbare Vorteile für den kombinierten Verkehr mit seinen relativ leichten Zügen haben muss. Mit C-AKv gekuppelte Züge fahren, soweit ich das überblicke, mit weniger Radsatz- und Schienenverschleiß als konventionell gekuppelte; ich weiß nicht, wie sich das beziffern lässt.

Peter hat gesagt…

>> Entscheidend ist m.E., dass eine neue Kupplung auch messbare Vorteile für den kombinierten Verkehr mit seinen relativ leichten Zügen haben muss.

Genau da liegt aus meiner Sicht die Klippe: die C-AKv ist wesentlich schwerer und teuerer als eine Standardkupplung und steigert somit das Gesamtgewicht des Zuges ohne wirklich Nutzen zu bringen. Ich denke beim kombinierten Verkehr wird es eher in Richtung längerer permanent gekuppelter Kompositionen gehen wie das in Amerika auch geschehen ist. Da kommt der Vorteil hinzu, dass auch Bremsapparate eingespart werden können. Wie die kleineren Führungskräfte mit einer Zentralkupplung erklärt werden können ist mir nicht klar. Der Betreiber kümmert sich höchstens um den Radverschleiss, die Schienen sind im egal, weil sie der Netzwerkgesellschaft gehören und die Einführung von verschleissabhängigen Trassenutzungebühren noch sehr weit entfernt ist.