Mittwoch, 4. August 2010

134: Nothing Like It in the World

Heute ein Beitrag zum einem meiner Lieblingsthemen: nämlich dazu, warum es sinnlos ist, aus landläufig Bekanntem über den Straßenverkehr irgendwelche Schlussfolgerungen über die (leider landläufig eher weniger bekannten) technischen Möglichkeiten der Eisenbahn zu ziehen.

Dabei soll es zunächst nur um Fragen der Fahrtechnik gehen (eventuell bekommt dieser Beitrag eine Fortsetzung).
Dass Züge unwahrscheinlich lang sind, verglichen mit Autos, werden noch die meisten wissen.
Die Fahrphysik selbst eines verhältnismäßig kurzen Eisenbahnfahrzeuges unterscheidet sich grundlegend von der eines kraftbetriebenen Straßenfahrzeugs. Zunächst einmal ist der so genannte Haftreibungsbeiwert, der charakterisiert, wie viel Kraft das Fahrzeug in die Schienen beziehungsweise die Fahrbahn einleiten kann, bei der Eisenbahn selbst im allerbesten Fall ein Drittel geringer als beim Straßenfahrzeug, und generell arbeitet man mit Richtwerten, die nur unwesentlich über denen liegen, die ein Auto auf Glatteis erreicht. Deswegen ist es erstrebenswert, möglichst viel Gewicht auf die angetriebenen Achsen zu bringen, und so wiegt eine moderne Lokomotive in der Regel ungefähr viermal so viel wie die höchste überall zulässige Achslast auf den Strecken, wo sie eingesetzt werden soll, also ungefähr 80 Tonnen. Auf der Straße wäre das allein schon ein Schwertransport (und ist es auch, wenn Lokomotiven auf Tiefladern bewegt werden).
Reibung spielt auch in der Querrichtung eine Rolle: Während der Seitenhalt, also die Reibung zwischen Reifen und Fahrbahn in Querrichtung, bei Straßenfahrzeugen eine Schlüsselqualität ist, da er allein dafür sorgt, dass das Auto nicht aus der Kurve fliegt, hat diese Querreibung bei Schienenfahrzeugen, da sie durch konische Radreifenprofile und Spurkränze zwangsweise auf den Schienen geführt werden, hauptsächlich den Zweck, den so genannten Sinuslauf (Prellblog 23) zu dämpfen und zu regulieren, damit eben die Spurkränze möglichst wenig mit den Schienen in Berührung kommen. Da dank Betriebsprogramm und Fahrplan ziemlich klar bekannt ist, welche Züge mit welchen Geschwindigkeiten durch Kurven fahren werden, passt man die Überhöhung der Außenschiene über die Innenschiene diesen Werten recht präzise an, um die Kurvenkraft durch die Schwerkraft teilweise zu kompensieren.
Nicht zufällig sind für Bahngleise auch Querneigungen von 12,5 % zugelassen, mithin mehr als anderthalb mal so starke wie bei Straßen. Das Gefühl, in einem Fahrzeug zu sitzen, das bedrohlich schräg steht, kennt man daher nur aus in Kurven haltenden Zügen, in Bussen ist es selten. Straßen werden, wenn man von alten Autobahnen absieht, normalerweise nur zur Entwässerung quer geneigt, was wiederum bei Gleisen sinnlos wäre - die effektive Neigung ist ja nur die zwischen den beiden Schienenköpfen, und selbst wenn irgend ein Teil des Unter- oder Oberbaus quer geneigt sein sollte, kann man durch entsprechende Höhenanpassungen das Gleis völlig horizontal belassen.
Da sich Züge ihre Fahrlinie nicht aussuchen können wie ein Auto, werden auch die Übergänge, mit denen Kurven eingeleitet werden, schon seit Langem mittrassiert, was bei Straßen noch eine recht junge Idee ist; diese Übergänge sind gleichzeitig Überhöhungsrampen (also den ruckfreien Wechsel vom horizontalen zum seitlich geneigten Gleis) und Übergangsbögen (also den ebenfalls ruckfreien Wechsel vom geraden zum kreisförmig gekrümmten Gleis) und daher hochkomplizierte Kurven vierter oder fünfter Ordnung im dreidimensionalen Raum.
Die Bedeutung der Seitenneigung für den ganzen Eisenbahnbetrieb zeigt sich auch in Entwicklungen wie der Neigetechnik, die zwar in ihrer radikalen Form auf Grund ständiger technischer Schwierigkeiten in vielen Ländern und auch sonst aus einigen Gründen nicht mehr sehr populär ist (Prellblog 7), oder ihrer sanfteren Schwester, der bogenabhängigen Wanksteuerung über die Luftfedern, bei der hauptsächlich die natürliche Wankneigung der Wagenkästen aktiv kontrolliert wird, um näher an den Grenzwerten fahren zu können; das eine Prozent aktive Einwärtsneigung, das damit möglich ist, zählt eher als kleiner Bonus. (Gibt es schon in Japan, demnächst auch in der Schweiz.)

Daher der große Unterschied zwischen dem, was Autofahrwerke, und dem, was die Lauftechnik von Zügen leisten soll: Beim Auto sorgt ein gutes Fahrwerk dafür, dass man schnell und eng durch Kurven lenken kann. Ein Zug wird durch die millimetergenau trassierten Gleise durch die Kurven gelenkt und mechanisch sicher in ihnen gehalten; ein gutes Laufwerk soll dies vor allem komfortabel und ohne großen Schienenverschleiß wegstecken, und zwar bei möglichst hohen Geschwindigkeiten, ohne jedoch zu entgleisen. Ein Auto bewegt sich; ein Zug wird bewegt.

Bild: Terry Rogers (»terry1054«) bei Flickr (Details und Lizenz)

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