7: Schräglage
Geht man mit schweren Schienen, Schwellen und Schotter großzügig um, kann man auf malerisch gewundenen alten Eisenbahnstrecken schneller fahren als ursprünglich vorgesehen. Nur würde das die Fahrgäste in Kurven stärker beuteln als gut ist. Der aus gutem Grund gesetzlich vorgeschriebene Fahrkomfort begrenzt das Tempo noch vor der Streckenführung.
Die Idee, trotzdem schneller zu fahren, indem man den Zug in den Kurven nach innen neigt, was die Querkräfte kompensiert, kennt man seit mindestens 1938, und es gibt unzählige technische Realisierungen. Leider ist die Geschichte der Neigetechnik weitenteils eine Geschichte von Fehlschlägen gewesen. Ausfälle und Fehlkonstruktionen begleiten sie von den 1960ern bis heute und von Großbritannien bis Neuseeland. Die Bundesbahn kämpfte mit erfolglosen Prototypen; die heute von der DB eingesetzten gut 260 Nahverkehrs-Neigezüge und die 19 neigefähigen Diesel-ICE hatten ausnahmslos alle Probleme, von kaputten Schlingerdämpfern bis zu bruchanfälligen Radsatzwellen. (Die 71 elektrischen Neige-ICE tun glücklicherweise, was sie sollen.)
Auch wenn sie laufen: Die Züge sind teuer in Erwerb und Wartung, wie auch der schwerere Oberbau und die technische Absicherung des Überschreitens der regulären Streckenhöchstgeschwindigkeit. Aber etwas muss es bringen, wenn man sich dies auf mittlerweile über 2000 Streckenkilometern leistet und kräftig weitere Ausbauten plant. In der Tat spart man sich einiges an Fahrzeit, vor allem, da man nicht nur in Kurven selber schneller fährt, sondern auch das Herunterbremsen und Beschleunigen drumherum verkürzt. Auf 390 Kilometern zwischen Nürnberg und Dresden beziffert man die Einsparung auf 40 Minuten (13%). Das ist allerdings ein Traumwert; die einstmalige Euphorie, flächendeckend 30% herausholen zu können, ist mittlerweile verklungen. Oft bringt die Neigung nur ein paar Minuten. Außerdem sind alle bisher gebauten Neigezüge aus technischen Gründen hochflurig, was die Fahrzeitkürzung durch ebenerdigen Einstieg verbaut (siehe Prellblog 5: Rein, raus, runter, rauf).
Könnte man mit mehr Neigung den Eisenbahnverkehr nun effektiver fördern als mit teuren Streckenbauten und Ähnlichem?
Neubaustrecken haben gegenüber Neigetechnik den Vorteil, dass sie neue Kapazitäten schaffen - auch für Güterzüge. Neigezüge fressen schlimmstenfalls sogar Kapazitäten auf, was weitere Ausbauten nötig macht. Außerdem sind die Geschwindigkeiten auf Neubaustrecken doch sehr viel höher (250-300 km/h statt 160-200 km/h) und die Neutrassierung macht die Fahrstrecke kürzer.
Neigetechnik hat ihre Domäne dort, wo die Strecken kurvig und verhältnismäßig wenig befahren sind. Unschlagbar ist ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis, wo sie bewirkt, dass Anschlüsse einen Takt früher sicher erreicht werden, und dadurch Netzeffekte entfaltet. Und dafür können Minuten entscheidend sein.
Dies ist der zweite Artikel einer unregelmäßigen Serie im Ressort »Hochgeschwindigkeit« zu den Rahmenbedingungen des Schnellverkehrs in Deutschland.
Bild: Photocapy bei Flickr (vollständiges Foto, Details und Lizenz)
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