119: Mit Kind und Krempel
Wer viel mit unterschiedlichen Zügen unterwegs ist, weiß es schon lange, aber es gibt auch empirische Studien, die es belegen: Die Kapazität eines Zuges nimmt nicht proportional mit der Anzahl der Sitze, die man hineinbaut, zu. Irgendwann nimmt sie sogar wieder ab. Das liegt hauptsächlich am Gepäck.
Die in Deutschland gängigen Bombardier-Doppelstockwagen, wie sie für die Regionalverkehrssparte der DB, aber auch für Metronom und Arriva fahren, demonstrieren dies in glänzender Weise, da sie mehr oder minder das Schlechteste zweier Welten verbinden. Einerseits ist durch die niedrige Deckenhöhe der Raum in den Gepäckablagen sehr beschränkt; auch wenn er bei den neueren Modellen (Bombardier entwickelt die Doppelstockwagen fortlaufend weiter) größer geworden ist, passen höchstens Aktentaschen hinein, keine Taschen oder gar Koffer. Der Stellraum zwischen gegeneinander gelehnten Sitzgruppen ist recht knapp, da anders als in der Schweiz deutsche Züge nicht komplett in Vierern bestuhlt sind (Prellblog 73). Gepäckregale an den Wagenenden gibt es aber auch nicht. Folglich steht das Gepäck entweder im Gang oder auf den Sitzen, was beides eventuell nicht einmal erlaubt ist, auf keinen Fall jedoch höflich.
Dies bewirkt nun, zumindest in meinem Erklärungsmodell, eine Art Broken-Window-Effekt: Das sichtlich auf den Sitzen drapierte Gepäck lässt andere Fahrgäste jeden Gedanken vergessen, ihre eigenen Sachen dort unterzubringen, wo Platz ist (zum Beispiel unter den Sitzen) oder sich, wenn mit besonders grotesken Gepäckmengen ausgerüstet (der Klassiker ist die Kombination aus Trekkingrucksack und Großtrolley), lieber in den Mehrzweckraum mit den Klappsitzen zu begegeben. Dazu kommt die Tendenz vieler, ihre Taschen auf den Nachbarsitz zu stellen oder sich bei frei bleibendem Fensterplatz an den Gang zu setzen in der Hoffnung, dass sich niemand neben einen setzen möge. Viele nutzen auch einen zweiten Sitzplatz zur Fußablage oder legen ihre Kinder quer über zwei Plätze schlafen. Dass in der Tat einfach Gedankenlosigkeit und nicht etwa, wie Kulturpessimisten denken könnten, allgemeine aggressive Rücksichtslosigkeit der Grund ist, sieht man daran, dass viele, die nur mit einem einzigen kleinen Rucksack unterwegs sind, diesen, selbst wenn es unbequem ist, lieber auf dem eigenen Schoß behalten statt sie in die Ablage zu legen. Für Handtaschen, Einkaufstüten und Jacken gilt dasselbe (die Garderobenhaken werden ohnehin ganz selten genutzt).
Im Endeffekt sieht es so aus, dass in einem anscheinend rappelvollen Regionalexpress aus Doppelstockwagen, bei dem erhebliche Zahlen Fahrgäste auf den Treppen sitzen oder in den Eingangsbereichen stehen und es sehr schwer ist, sich durch den Zug fortzubewegen, regelmäßig nur etwa 50 bis 60 Prozent der Sitzplätze überhaupt durch Fahrgäste belegt sind und man durch etwas zuvorkommenderes Ausnutzen des Raumes diesen Satz etwa halbieren könnte.
Dass auch im Fernverkehr oder in einstöckigen Nahverkehrszügen, wo meist mehr als genug Gepäckraum da ist, Trekkingrucksäcke auf Sitze und Rollenkoffer in den Mittelgang gestellt werden, ist möglicherweise zumindest teilweise eine Folge der als generell lax erlebten Gepäckdisziplin in den Doppelstockwagen. Andererseits hat die Eisenbahn mit der Entwicklung des Reisegepäcks hin zu wuchtigen, der Würfelform im Vergleich zu altmodischen Koffern wesentlich näher kommenden Trolleys einfach nicht Schritt gehalten, und da die Dinger ja auch irgendwie praktisch sind, möchte ich nicht den Stab über all den vielen Trolleynutzenden brechen.
Was lässt sich da machen? Repression ist nicht alles, auch wenn ich mir zuweilen wünschen würde, dass das Personal stärker durchsetzt, dass der Mittelgang möglichst frei gehalten wird, dass jeder höchstens einen Sitzplatz besetzt und vor allem auch, dass alle Hunde, die nicht in einem Transportbehälter mitgeführt werden, der Maulkorbpflicht genügen (daran hält sich leider kaum jemand). Gepäckbeförderung in gesonderten Wagen ist bei den heutigen Haltezeiten nur schwer ohne eigenes Personal zu realisieren, und wäre selbst dann weder einfach noch günstig; im Nahverkehr kommt sie ohnehin nicht in Frage. Gepäckregale in Doppelstockzügen würden die Kapazität zumindest auf stark frequentierten, langen Linien deutlich vergrößern. Man könnte auch über (sofern statisch machbar) freitragende Sitze (das Bild zeigt einen Triebwagen der Firma Stadler) nachdenken, die es einfacher machen würden, Gepäck unter sie zu schieben. Vielleicht ist es auch tatsächlich möglich, das bahnfahrende Publikum irgendwie zu erziehen, allein, es fragt sich, wie.
Bild: Maurits Vink bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)
Die in Deutschland gängigen Bombardier-Doppelstockwagen, wie sie für die Regionalverkehrssparte der DB, aber auch für Metronom und Arriva fahren, demonstrieren dies in glänzender Weise, da sie mehr oder minder das Schlechteste zweier Welten verbinden. Einerseits ist durch die niedrige Deckenhöhe der Raum in den Gepäckablagen sehr beschränkt; auch wenn er bei den neueren Modellen (Bombardier entwickelt die Doppelstockwagen fortlaufend weiter) größer geworden ist, passen höchstens Aktentaschen hinein, keine Taschen oder gar Koffer. Der Stellraum zwischen gegeneinander gelehnten Sitzgruppen ist recht knapp, da anders als in der Schweiz deutsche Züge nicht komplett in Vierern bestuhlt sind (Prellblog 73). Gepäckregale an den Wagenenden gibt es aber auch nicht. Folglich steht das Gepäck entweder im Gang oder auf den Sitzen, was beides eventuell nicht einmal erlaubt ist, auf keinen Fall jedoch höflich.
Dies bewirkt nun, zumindest in meinem Erklärungsmodell, eine Art Broken-Window-Effekt: Das sichtlich auf den Sitzen drapierte Gepäck lässt andere Fahrgäste jeden Gedanken vergessen, ihre eigenen Sachen dort unterzubringen, wo Platz ist (zum Beispiel unter den Sitzen) oder sich, wenn mit besonders grotesken Gepäckmengen ausgerüstet (der Klassiker ist die Kombination aus Trekkingrucksack und Großtrolley), lieber in den Mehrzweckraum mit den Klappsitzen zu begegeben. Dazu kommt die Tendenz vieler, ihre Taschen auf den Nachbarsitz zu stellen oder sich bei frei bleibendem Fensterplatz an den Gang zu setzen in der Hoffnung, dass sich niemand neben einen setzen möge. Viele nutzen auch einen zweiten Sitzplatz zur Fußablage oder legen ihre Kinder quer über zwei Plätze schlafen. Dass in der Tat einfach Gedankenlosigkeit und nicht etwa, wie Kulturpessimisten denken könnten, allgemeine aggressive Rücksichtslosigkeit der Grund ist, sieht man daran, dass viele, die nur mit einem einzigen kleinen Rucksack unterwegs sind, diesen, selbst wenn es unbequem ist, lieber auf dem eigenen Schoß behalten statt sie in die Ablage zu legen. Für Handtaschen, Einkaufstüten und Jacken gilt dasselbe (die Garderobenhaken werden ohnehin ganz selten genutzt).
Im Endeffekt sieht es so aus, dass in einem anscheinend rappelvollen Regionalexpress aus Doppelstockwagen, bei dem erhebliche Zahlen Fahrgäste auf den Treppen sitzen oder in den Eingangsbereichen stehen und es sehr schwer ist, sich durch den Zug fortzubewegen, regelmäßig nur etwa 50 bis 60 Prozent der Sitzplätze überhaupt durch Fahrgäste belegt sind und man durch etwas zuvorkommenderes Ausnutzen des Raumes diesen Satz etwa halbieren könnte.
Dass auch im Fernverkehr oder in einstöckigen Nahverkehrszügen, wo meist mehr als genug Gepäckraum da ist, Trekkingrucksäcke auf Sitze und Rollenkoffer in den Mittelgang gestellt werden, ist möglicherweise zumindest teilweise eine Folge der als generell lax erlebten Gepäckdisziplin in den Doppelstockwagen. Andererseits hat die Eisenbahn mit der Entwicklung des Reisegepäcks hin zu wuchtigen, der Würfelform im Vergleich zu altmodischen Koffern wesentlich näher kommenden Trolleys einfach nicht Schritt gehalten, und da die Dinger ja auch irgendwie praktisch sind, möchte ich nicht den Stab über all den vielen Trolleynutzenden brechen.
Was lässt sich da machen? Repression ist nicht alles, auch wenn ich mir zuweilen wünschen würde, dass das Personal stärker durchsetzt, dass der Mittelgang möglichst frei gehalten wird, dass jeder höchstens einen Sitzplatz besetzt und vor allem auch, dass alle Hunde, die nicht in einem Transportbehälter mitgeführt werden, der Maulkorbpflicht genügen (daran hält sich leider kaum jemand). Gepäckbeförderung in gesonderten Wagen ist bei den heutigen Haltezeiten nur schwer ohne eigenes Personal zu realisieren, und wäre selbst dann weder einfach noch günstig; im Nahverkehr kommt sie ohnehin nicht in Frage. Gepäckregale in Doppelstockzügen würden die Kapazität zumindest auf stark frequentierten, langen Linien deutlich vergrößern. Man könnte auch über (sofern statisch machbar) freitragende Sitze (das Bild zeigt einen Triebwagen der Firma Stadler) nachdenken, die es einfacher machen würden, Gepäck unter sie zu schieben. Vielleicht ist es auch tatsächlich möglich, das bahnfahrende Publikum irgendwie zu erziehen, allein, es fragt sich, wie.
Bild: Maurits Vink bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)
4 Kommentare:
Ja, in den Doppelstockwagen ist das wirklich ein Problem; vielleicht auch, weil man durch die großen Türen viel Gepäck reinwuchten kann (im Unterschied zu den ex-Silberlingen mit dieser Stange zwischen den Türflügeln). Mich regt die mangelnde Disziplin vor allem in den Gepäckabteilen auf, weil ich öfters mit Fahrrad unterwegs bin. Dann sitzt dort an jedem zweiten oder dritten Platz jemand, dazwischen das Gepäck (das meist auch noch unter den Sitz passen würde), und niemand macht Anstalten, den Platz zu wechseln, damit mehrere Sitze am Stück frei sind, wo man ein paar Fahrräder hinstapeln könnte, und meist auch noch das Gepäck der anderen Reisenden daneben und obendrauf.
In einem Schweizer Doppelstockzug hatte ich vergleichsweise große Probleme mit Gepäck - ich hatte zwei kleine Rucksäcke und ein Faltrad dabei, und zumindest für Letzteres war kaum irgendwo Platz vorhanden, da der Zug ziemlich voll war und es vergleichsweise wenige Gepäckablagen gibt. (Die Schweizer Inlandszüge - zumindest Doppelstock und ICN - sind ja generell sehr auf hohe Personenkapazität ausgelegt, und weil die Entfernungen kurz sind, vermutlich eher auf Tagesreisende mit wenig Gepäck.)
Richtig viel Platz für Gepäck bieten dagegen die ICEs (wahrscheinlich auch, weil dort keine Länderticket-Fahrer, sondern viele Geschäftsreisende mit schlankem Gepäck unterwegs sind) und erst recht die gerade abgeschafften Talgo-Nachtzüge.
Aber insgesamt bin ich froh, dass man bei der Bahn (noch?) einfach mit Gepäck anrücken kann und schauen, wie man es kreativ unterbringt, statt wie im Flugzeug reglementiert zu sein und mit Uniformträgern diskutieren zu müssen. Wundert mich eigentlich, dass man diesen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verkehrsmitteln nicht mehr bewirbt.
Christoph
Ich ärgere mich auch oft über wild in den REs herumstehende Koffer oder komplett damit belegte Vierersitze, nur weil eine Kegeltruppe auf den Sitzen gegenüber Platz genommen hat.
Allerdings bin ich als Wochenendpendler auch immer mit einem Koffer unterwegs, der unter anderem meinen Laptop enthält. Selbst wenn es Gepäckablagen mit mehr Kapazität gäbe, würde ich ihn nur da unterbringen, wenn ich auch in direkter Nähe sitzen und ihn im Auge behalten könnte. Alles andere wäre mir im NRW RE1 zu unsicher, ich hab schon zuviel auf dieser Strecke erlebt.
Also kommt er, wenn möglich, unter den Sitz, und wenn nicht, muss ich halt sehen, wohin mit mir. Natürlich versuche ich, andere Reisende damit nicht zu behindern, aber den meisten wäre es wohl am liebsten, wenn ich direkt in meinem Koffer sitzend mitfahren würde.
Hätte ich eine Wahl, würde ich mir das Theater ersparen - aber ein im Studententicket enthaltener RE gewinnt eben gegen ein 30€-Ticket für den IC.
Jana
Ich kann mich als (Selten-) Reisender in diversen (Regional-) Zügen immer nur wundern, wie unterschiedlich die Raumkonzepte sind. Und zwar sowohl innerhalb eines Zuges in den diversen Waggons als auch zwischen verschieden Zugkonzepten.
Dazu kommt die fehlende Informationsmöglichkeit vorab, wo man sich am Besten mit viel Gepäck niederlassen soll.
Bei den Doppelstöckigen ist doch eben die Höhe das Problem. Da haben die großzügigen Kofferablagen über den Sitzreihen, die man in den einstöckigen gewohnt ist, nicht mehr Platz. Sonst würden die Vagons noch höher ausfallen und nicht mehr durch die Tunnels passen :-D
Gruß!
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MVV ist Scheisse! - Der Blog rund um den Münchener Verkehrsverbund
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