Züge dürfen nicht zusammenstoßen - weder mit nachfolgenden Zügen noch mit Gegenzügen noch mit seitlich in ihre Fahrstraße einfahrenden Zügen. (Am besten auch nicht mit Autos.) Wie das in Deutschland üblicherweise so gewährleistet wird, habe ich in früheren Beiträgen besprochen (vgl. Prellblog 52, Prellblog 53, Prellblog 58, Prellblog 61 und Prellblog 80); im Großen und Ganzen ist die Idee dabei, dass Züge, sofern für sie die Signale auf Fahrt stehen, selbstständig fahren und halten können, wie es der Fahrplan vorsieht, ohne das jedes Mal eigens abzuklären; wann immer irgend etwas dem Zug im Wege stehen könnte, wird technisch sichergestellt, dass es dann eben nicht möglich ist, das betreffende Signal zu ziehen. Der Aufwand ist dabei erheblich.
Da Eisenbahnen schon unter Spardruck stehen, seit es sie gibt, hat man auch der Alternative zu diesem System Beachtung geschenkt. Wie wäre es denn, wenn ein Zug einfach nur mit besonderer Erlaubnis losfahren dürfte und irgendwo zentral Buch darüber geführt würde, wo Züge gerade sind? Dann könnte man doch Strecken betreiben ohne all die Technik? Für eingleisige Nebenstrecken, die nicht besonders schnell befahren werden, potenziell also über den Daumen gepeilt vierzig Prozent des deutschen Eisenbahnnetzes, taugt das Prinzip tatsächlich. Es hört auf den Namen Zugleitbetrieb und beruht darauf, dass über systematische, streng formatierte Meldungen eine Zentralstelle mit den Zügen kommuniziert, diesen mitteilt, wann sie wohin fahren dürfen, und von ihnen erfährt, wann sie wo angekommen sind. Eine Low-Tech-Lösung, die erstaunlich flexibel ist, wenn man den Strecken keine allzu hohe Kapazität abverlangt: Weichen für Zugkreuzungen (es geht hier schließlich nur um eingleisige Strecken) stellt das Personal des ersten eingefahrenen Zuges für den zweiten, der danach mit der Hupe des ersten Zuges in den Bahnhof hineingerufen wird; etwas eleganter sind spezielle sogenannte Rückfallweichen (Bild), die dauerhaft in ihrer Grundstellung verbleiben und es im Gegensatz zu normalen Weichen verkraften, ohne Schäden und ohne Umspringen von Zügen aus dem Gleiszweig befahren zu werden, der nicht eingestellt ist.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass alles an den Menschen hängt, die da telefonieren und die Hefte führen. Nach diversen Unglücken ist die Konsequenz gewesen, dass rein manueller Zugleitbetrieb nicht mehr neu eingerichtet wird. Das heißt nicht, dass das Konzept gestorben wäre, ganz im Gegenteil; aber man bohrt es auf, indem man technische Sicherungseinrichtungen hinzufügt. Von einfachen Gleisschwingkreisen, die mit Achszählern kommunizieren und damit einen Zug zwangsweise anhalten, wenn er in einen besetzten Abschnitt hinein anfahren möchte (alles ohne sichtbare Signale!) bis hin zu kompletten Leit- und Sicherungssystemen mit computerisierter Zentrale, die für den Laien kaum von einer »normal« geführten Strecke mit elektronischem Zentralstellwerk zu unterscheiden sind, gibt es eine enorme Bandbreite an möglicher technischer Unterstützung. Die Kurhessenbahn hat beispielsweise vor knapp drei Wochen in Kassel eine Zugleitzentrale eröffnet, in der die Zugleiter vor siebzehn Flachbildschirmen sitzen und ganz ähnlich arbeiten wie Fahrdienstleiter in einer Betriebszentrale; Unterschiede gibt es beispielsweise darin, wie im Störungsfall vorgegangen wird, da die Verbindungen zu den Signalen und Weichen nicht sicher sind und daher besondere Mitwirkung des Zugpersonals benötigt wird.
In letzter Zeit geht die Entwicklung daher von den verschieden technisch unterfangenen Formen des Zugleitbetriebs wieder hin zu einfach gehaltenen, günstigen elektronischen Zentralstellwerken herkömmlicher Manier. In jedem Fall geht es darum, auf Nebenstrecken bezahlbare und wenig personalintensive Betriebstechnik zu installieren; die typische Folge ist, dass Strecken, die bis dahin aus Kostengründen ausgedehnte Betriebsruhen hatten (wer will schon für zwei zusätzliche Abendzüge eine zusätzliche Schicht Bahnhofspersonal in zehn Dörfern bezahlen?), rund um die Uhr und sieben Tage die Woche genutzt werden können. Zwar werden bei solchen Umbauten meistens auch Weichen entfernt; aber eine Wahl zwischen einem Freilichtmuseum mit gigantischer Kapazität, aber ohne Sonntags- und Nachtverkehr, und einer 24/7 auf mäßigem Niveau nutzbarer Strecke fällt den Aufgabenträgern in Deutschland meistens nicht schwer.
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