Donnerstag, 31. Januar 2008

46: Kartenstudium

Ein Blick in den Eisenbahnatlas ist ganz allgemein interessant - wer hat heute denn schon noch mit Kartenmaterial zu tun, auf dem Bahnstrecken detailliert eingezeichnet und nicht nur die Hauptbahnen als dünne schwarze Linien eingetragen sind? Die Karten verdeutlichen aber auch einiges über das System Eisenbahn, was man sonst umständlich erklären müsste. Ich will hier trotzdem den Versuch machen, die wichtigsten Beobachtungen zu formulieren.


Da ist einmal die Tatsache, dass die allermeisten älteren Hauptstrecken, sofern wir uns nicht gerade in der norddeutschen Tiefebene bewegen, ganz oder teilweise in Flusstälern verlaufen. In den Mittelgebirgen schmiegen sich die Trassen oft an einen Fluss, springen dann mit relativ großen Steigungen über einen Hügelzug und laufen in einem anderen Flusstal weiter. Die Neubaustrecken dagegen sind von der Topografie einigermaßen losgelöst, schmiegen sich dafür aber abschnittsweise an Altstrecken und vor allem an Autobahnen an, um den Flächenverbrauch nieder zu halten.

Die Neubaustrecken sind auch einer, aber nicht der einzige, der Gründe dafür, dass Bahnstrecken oft im Rudel auftreten. (Andere sind beispielsweise, dass zu Privatbahnzeiten gerne mehrere Gesellschaften unterschiedliche Trassen zwischen denselben Endpunkten bauen wollten und dass natürlich vor der Reichsgründung die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der deutschen Staaten diese motivierten, beiderseits von Grenzen Bahnen zu bauen.) Gut sind solche Parallelführungen im Ruhrgebiet zu sehen oder in dem Korridor zwischen Frankfurt am Main und Karlsruhe, in dem eine Art Strickleiternervensystem mit drei Hauptsträngen verläuft. 

Sehr gut auf den Karten nachvollziehen lässt sich natürlich auch der Rückzug der Eisenbahn aus der Fläche, den viele für den Fall eines DB-Börsengangs am Horizont sehen, der aber faktisch bereits seit vielen Jahrzehnten stattfindet. Fläche ist dabei allerdings nicht gleich Fläche.
Schaut man beispielsweise in die Altmark, kann es einem kalt den Rücken herunterlaufen, weil da mehr grau eingezeichnete unbefahrbare Strecken sind als betriebene. Um München oder Karlsruhe herum muss man nach einer grauen Strecke schon ein bisschen suchen. Die Eisenbahn hat sich in Ballungsräumen besser behauptet als in der Provinz - nicht, dass das irgend etwas anderes wäre als logisch.
Die vielen, vielen stillgelegten Strecken zeigen aber andererseits auch eine etwas unerwartete Charakteristik. Man würde ja erwarten, dass hauptsächlich schlecht genutzte Endstücke und nur aufwändig zu bedienende Stichbahnen stillgelegt worden seien; de facto sind es aber ganze Netze inklusive durchgehender Verbindungen zwischen Hauptbahnen, und darüber wird man sich, wenn der Güterverkehr weiter zunimmt, noch mehr ärgern als es jetzt schon der Fall ist. Eine Bahn durchs dünn besiedelte Land, die keinen Ballungsraum anbindet, rentabel im Personenverkehr zu betreiben war vermutlich nie wirtschaftlich; der Güterverkehr war früher immer das Hauptgeschäft der Bahnen. Nun hat man aber, wenn eine Strecke auf Grund mangelnder Nachfrage im Personenverkehr eingestellt ist, ein Henne-Ei-Problem, sie für -zwangsläufig zunächst sporadischen- Güterverkehr wieder fit zu bekommen.
Die Anzahl der Strecken, die als stillgelegt, aber noch befahrbar, markiert sind, ist ohnehin frustrierend niedrig. Da es aber kaum Reaktivierungen ohne großangelegte Sanierungsmaßnahmen gibt, mag das täuschen.

Auf der anderen Seite gibt es ganz erstaunlich viele Nebenstrecken, die ausschließlich im touristischen Verkehr oder im Güterverkehr betrieben werden, letzteres meistens, um einen einzigen Anschließer zu bedienen. Den Verkehr dort erledigen praktisch immer Privatbahnen, oft betreiben diese auch die Infrastruktur, und man gewinnt ein intuitives Verständnis, warum seit der Marktliberalisierung Museumsbahnervereine und verschnarchte Kreisbahnen zu schlagkräftigen Eisenbahnunternehmen gewachsen sind - weil sie es zu einem Wettbewerbsvorteil machen konnten, sich keine Kunde-droht-mit-Auftrag-Mentalität leisten zu können.

Vor zwanzig oder auch noch vor zehn Jahren hätte wahrscheinlich niemand gedacht, dass hier hinter dem Haus, im Marburger Hauptbahnhof, wieder fast täglich Güterzüge rangiert werden und man an guten Tagen bunte Lokomotiven fünf verschiedener Eisenbahnbetreiber in den Nebengleisen herumstehen sehen kann; ganz zu schweigen davon, dass man überall in Deutschland nagelneue Großlokomotiven herumfahren sehen kann, die einer Ausgründung eines Schmalspur-Museumsbahnvereins gehören. Die Geschichte nimmt manchmal seltsame Wendungen, und lange nicht immer zum Schlechten.

Bild: Selbst abfotografiert aus: Eisenbahnen in Deutschland. Köln: Schweers+Wall 2007, S. 84.

Donnerstag, 24. Januar 2008

45: Strom oder Selters

Alle Züge, die nicht elektrisch fahren, sind dieselgetrieben. Verschwindend wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

In einer Lokomotive oder einem Triebwagen ohne Dachbügel gibt es also einen Motor, Tank, Kühler, Turbolader und solche Dinge, ähnlich wie auch bei großen Straßenfahrzeugen. Die Abweichungen liegen dabei eher im Detail - Dieseltriebwagen haben oft einen eigenen Heizöltank für die Warmwasserheizung, mehr als einen Motor, und die Kühlluft wird nicht an der Nase, sondern an der Seite oder auf dem Dach angesaugt.
Der große Unterschied kommt dort, wo die Kraft vom Motor auf die Radsätze übertragen wird. Mit einem mechanischen Zahnradgetriebe mit Schaltknüppel oder auch einem Automatikgetriebe kommt man nicht sehr weit - größere Automatiken wie bei Stadtbussen können zwar kleinere Nahverkehrstriebwagen noch antreiben, aber darüber wird die Luft auch schon dünn.
Ab einer bestimmten Leistungsklasse wird daher bei Dieseltriebfahrzeugen nicht mehr mit direkter Kraftübertragung gearbeitet.
Die weltweit populärste Lösung ist es, den Dieselmotor einen Generator antreiben zu lassen und diesen an elektrische Fahrmotoren anzuschließen. Man nennt das dieselelektrischen Antrieb. Das ist zwar nicht unbedingt gewichtssparend und auch der Wirkungsgrad ist verbesserungsfähig, aber, insbesondere mit moderner Leistungselektronik, alles in allem ziemlich akzeptabel. Insbesondere kann man bei intelligenter Planung so auf einer und derselben Plattform sowohl elektrische als auch Diesellokomotiven bauen, und so gibt es von den drei großen europäischen Lokomotivfamilien Alstom PRIMA, Bombardier TRAXX und Siemens EuroSprinter mittlerweile Dieselversionen, die sich auch einigermaßen gut verkaufen. In Nordamerika ist schon immer so ziemlich alles dieselelektrisch, aber dort gelten für den Lokomotivbau ohnehin andere Gesetze.
Das Konkurrenzkonzept basiert nicht auf elektrischem Strom, sondern auf strömender Flüssigkeit, und ist etwas schwieriger zu umschreiben. Letztlich hat es schon damit zu tun, dass ein »Generator« (also eine Pumpe) und ein »Motor« (also eine Turbine) durch einen »Stromkreis« verbunden sind, aber einfach nur ein Pumprad und ein Turbinenrad in einem Ölbad rotieren zu lassen ergibt eine Kupplung und kein Getriebe. Da muss noch ein Leitrad dazwischen, das Ganze wird in mehreren Stufen hintereinandergeschaltet und elektronisch gesteuert, am Ende hat man in der Mitte der Lok einen großen, typischerweise in Heidenheim an der Brenz hergestellten Kasten, in den auf der einen Seite eine schnelldrehende Antriebswelle vom Dieselmotor hineingeht und unten zwei stufenlos und gegebenenfalls getrennt geregelte Gelenkwellen zu den Triebdrehgestellen herauskommen.
Man nennt das dieselhydraulischen Antrieb, der Wirkungsgrad ist etwas besser, man spart sich eine Menge Extragewicht, ist aber durch die strömungsdynamischen Getriebe in der Leistung etwas eingeschränkt.
Trotzdem tobt der Kampf ungehindert weiter: Mit dem Bau der Voith Maxima ist mittlerweile der angedeutete Heidenheimer Getriebehersteller unter die Lokproduzenten gegangen und bringt 3600 kW per Hydrodynamik an die Schiene. Die mit dieselhydraulischen Lokomotiven im Bereich bis 2700 kW erfolgreiche Kieler Firma Vossloh dagegen hat ein Werk in Spanien gekauft und sich mit der nordamerikanischen EMD zusammengetan, um für größere Leistungen auf Elektroübertragung zu setzen.
Bei Triebzügen konkurrieren ebenfalls beide Bauarten. Es wird so schnell nicht langweilig werden.

Bild: Brandon Jon Morley (»BRail RailFreight Ltd«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 17. Januar 2008

44: Ordentliche Packung

In ihrer zu Recht hochgeschätzten Rubrik »Briefe an die Leser« schreibt die Titanic im Dezember letzten Jahres:

Und, Deutsche Bahn!
Seit wir an einer Deiner Gleisbaustellen ein Reparaturfahrzeug namens »Dynamic Stopfexpress« gesehen haben, wundern wir uns endgültig über gar nichts mehr.
Deine desillusionierten Dynamisten von immer wieder Deiner
Titanic
Nun ist der Name dieses »Reparaturfahrzeuges« in der Tat bizarr und auch mir schon des öfteren aufgefallen - neulich stand übrigens so ein Dynamic Stopfexpress hier hinter dem Haus, da ich direkt neben der Abstellanlage des Marburger Bahnhofs wohne. Mit der Deutschen Bahn hat er allerdings nichts zu tun. Es handelt sich um die Produktbezeichnung des österreichischen Unternehmens Plasser & Theurer, des weltweiten Marktführers im Gleisbau- und damit auch Stopfmaschinengeschäft.
Was macht so eine Stopfmaschine, sei sie nun ein dynamischer Express oder nicht?
Sie stopft.
Das Stopfen ist eine der meiner Meinung nach mystischeren Tätigkeiten im Bereich des Gleisbaus. Beim Neuverlegen von Gleisen verwandelt es den bis zur Oberkante vollgeschotterten und nicht sonderlich vertrauenerweckend hoch in der Bettung liegenden Schienenstrang in etwas, was den Namen Gleis auch verdient; bei der Instandhaltung von Schienenwegen kann man damit zu tief liegende Stellen so unterstopfen, dass danach wieder alles schön gerade ist.
Um dies zu bewerkstelligen, steckt die Stopfmaschine mehrere meißelartige Stahlwerkzeuge (Stopfpickel) seitlich, knapp unter den Schwellensohlen, in den Schotter und rüttelt diesen damit auf. Die lockere Schüttung verwandelt sich dabei in eine verdichtete Packung, und die österreichischen und sonstigen Spezialisten haben diesen Vorgang, der früher ganz profan von haufenweise halbnackten Männern mit Hacken ausgeführt wurde, mit wahrer Besessenheit in ein physikalisch modelliertes und computergesteuert vollautomatisiertes Herstellen definierter Parameter verwandelt.
Das oberste Ziel der Gleisbauer ist es, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit und in möglichst wenig Durchgängen zu machen, um Streckensperrungen zu vermeiden. Daher werden die Stopfmaschinen immer schneller und besser: Der Stopfexpress schafft maximal 1,2 Kilometer pro Stunde. Aber auch die Geschwindigkeiten, mit denen ein Gleis direkt nach dem Durchstopfen befahren werden darf, werden mit zunehmendem technischen Fortschritt immer höher. Nach wie vor ist es so, dass über ein frisch durchgestopftes Gleis immer erst eine definierte Summe an Achslast mit einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit gefahren sein muss, bevor es für höhere Geschwindigkeiten freigegeben werden kann.
Ein Verfahren namens »dynamische Gleisstabilisierung«, das damit zu tun hat, die Schienen über Rollenwerkzeuge gezielt in Vibration zu versetzen, kann sogar dies überflüssig machen. Ihm verdankt die lustige Maschine das »Dynamic« im Namen.

Natürlich bauen auch noch andere Hersteller wie Matisa und Robel Stopfmaschinen - ich möchte hier keine Schleichwerbung betreiben.

Bild: Chris McKenna (»Thryduulf«) bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

Samstag, 12. Januar 2008

Anzeigeprobleme

Normalerweise zeigt das Prellblog absichtlich immer nur ein Posting auf der Hauptseite. Wenn eine Notiz in eigener Sache hinzukommt, schalte ich diese Zahl hoch, damit der Wochenbeitrag nicht verschwindet. Mit der folgenden Woche schalte ich die Zahl wieder zurück auf 1.

Anscheinend kann diese Vorgehensweise dazu führen, dass Beiträge beim Zurückklicken über den Link »Ältere Posts« nicht mehr angezeigt werden, so geschehen mit Prellblog 42. Ich werde das als Fehler an Blogger melden.
Vorläufig bleiben die Einstellungen so, dass alle Postings durch Zurückklicken erreichbar bleiben.

Donnerstag, 10. Januar 2008

43: Schön griffig

Heute gibt es keinen thematisch fokussierten Beitrag, sondern spaßeshalber einfach mal ein paar Zahlen. 
Alle Angaben, sofern nicht anders angegeben, beziehen sich auf Deutschland, schließen die Straßenbahn ein, stammen aus den jüngsten verfügbaren Quellen, wurden auf zwei gültige Ziffern gerundet und gegebenenfalls gemittelt.
  • 3 700 000 000 Fahrgäste fahren jährlich je 25 Kilometer weit
  • 350 000 000 Tonnen Güter fahren jährlich je 310 Kilometer weit
  • 54 000 000 Schwellen hat das DB-Netz
  • 20 000 000 Euro kostet der Bau eines Kilometers Hochgeschwindigkeitsstrecke
  • 540 000 Kilometer ist die jährliche Soll-Laufleistung eines ICE 1 (bei 13 Einsatzstunden pro Tag)
  • 140 000 Schienenfahrzeuge sind registriert (je ca. 100 000 Güterwagen, 15 000 Lokomotiven und Triebwagen, 12 000 Personenzugwagen, 7500 Straßenbahnfahrzeuge)
  • 41 000 Kilometer lang ist das Schienennetz (Streckenlänge, nicht Gleislänge)
  • 15 000 Volt Wechselstrom führen Eisenbahnoberleitungen
  • 10 000 Liter fassen die Tanks einer modernen Diesellok für Langstrecken (Voith Maxima 30 CC)
  • 6900 Verkehrsstationen im Güter- und Personenverkehr gibt es (nur DB)
  • 6000 Tonnen brutto wiegen die schwersten Güterzüge in Deutschland (und Europa)
  • 3400 Züge verkehren pro Tag am Hauptbahnhof Frankfurt/Main
  • 2200 Euro brutto ist das Maximalgehalt eines Triebfahrzeugführers bei der DB
  • 1100 Kilometer Strecke sind mit 250 km/h oder mehr befahrbar
  • 700 Meter lang sind die längsten Güterzüge in Deutschland
  • 420 Unternehmen betreiben Schienenverkehr
  • 230 Unternehmen betreiben Schieneninfrastruktur
  • 160 Bremsscheiben hat ein ICE (dritte Generation, Doppeleinheit)
  • 94 Cent nimmt ein Nahverkehrsbetrieb pro Bahn- oder Busfahrgast ein
  • 89mal im Jahr geht ein sanierter oder neueröffneter Bahnhof oder Haltepunkt in Betrieb (nur DB-Netze)
  • 9 Zentimeter kleiner wird der Durchmesser eines ICE-Rades im Laufe seiner Lebensdauer
  • 6,9 Weichen verschwinden jeden Tag aus dem DB-Netz
  • 4,1 Bahnübergänge werden jeden Tag geschlossen oder ersetzt (nur DB)
Bild: Randen Pederson alias »chefranden« bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 3. Januar 2008

2008

Prellblog wünscht allen Leserinnen und Lesern ein frohes und glückliches neues Jahr 2008.

42: Unteilbar

Vor vierzehn Tagen ging es hier um die verschiedenen Antriebskonzepte, die es für Züge so geben kann. Wenn man sich so umschaut, scheint der gute alte antriebslose Reisezugwagen darunter als am langweiligsten und überdies auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Das täuscht in beiderlei Hinsicht ein wenig. Ein Personenwagen ist längst nicht mehr einfach nur ein Kasten auf Rädern mit ein paar Sitzen und ein paar Klotzbremsen. Im Laufe der Jahrzehnte ist einiges hinzugekommen.
Zunächst haben sich natürlich die Drehgestelle bis zu einem Punkt entwickelt, da sie je nach Bauart bei ordentlicher Laufruhe weit über 200 km/h vertragen. Aus dem Klotzbremsen sind Scheibenbremsen geworden. Es gibt Heizung, Klimaanlage und automatische Türen, gegebenenfalls mit Hublift oder Überfahrbrücke für Rollstühle etc. So ziemlich alles ist computergesteuert. Zur Kupplung und dem Bremsschlauch ist heute eine zweite Luftleitung dazugekommen, für bestimmte Bremsfunktionen und den Druckluftbedarf der Türen etc., außerdem eine Hochspannungsleitung. Diese speist die Großgeräte (vor allem Klima und Heizung), aber mittlerweile auch das elektronische Batterieladegerät, das die alten Achsdynamos abgelöst hat, genauso wie Vakuumtoiletten (eventuell behindertengerecht mit automatischen Türen, Höhenverstellung etc.) die alten Fallrohrabtritte. Nicht zu vergessen ist die Datenleitung, die von vorne bis hinten durch den Zug läuft und nicht nur die Bremsansteuerung verbessert, sondern es erlaubt, die Lok vom anderen Ende des Zuges zu steuern, und damit Basis für den Wendezugbetrieb ist.

All die zusätzliche Komplexität hat Wagen mittlerweile recht teuer gemacht. Man schätzt über den Daumen, dass die mittlerweile meistbeschafften Reisezugwagen Deutschlands, die allgegenwärtigen Doppelstockwagen von Bombardier, bei großen Aufträgen 1,7 Millionen Euro pro Steuerwagen und 1,3 Millionen pro Mittelwagen kosten. (Das heißt, dass ein ganz normaler Regionalexpress mit sechs Wagen einen Neupreis von etwa zehneinhalb Millionen hat. Nur nebenbei.)
Einen Versuch, die Infrastruktur der Wagen besser zu verteilen, stellt das Konzept der von eben diesen Doppelstockwagen abgeleiteten niederflurigen Reisezugwagen der Nord-Ostsee-Bahn dar (siehe Abbildung). Hier sind immer zwei Wagen zu einem betrieblich nicht trennbaren Pärchen verkuppelt, und die Ausrüstung, die normalerweise jeder Wagen hätte, verteilt sich so immer auf zwei. Ganz nebenbei sind auch die Kupplungen der Pärchen untereinander keine regulären Kupplungen mit Schraubenspindel und Zubehör, sondern Kurzkupplungen; anders geht es auch gar nicht, da die Züge ja durchgängig niederflurig sind und man schlecht den Fußboden tiefer legen kann als den Zughaken. Das erlaubt dann auch, breitere und kürzere Wagenübergänge mit Faltenbalg, wie man sie von Triebzügen kennt, zu realisieren; diese sind auch aerodynamisch günstiger.

Abgesehen davon, dass die ICE 1 und 2 eigentlich technisch auch nur lokbespannte Züge sind, deren Lokomotiven nie abgekuppelt werden, hat es Vergleichbares schon einmal gegeben: Der Metropolitan, einstmals der Versuch, mit holzgetäfelten Zügen, Ledersitzen und Premium-Service Kunden zwischen Hamburg und Köln zu gewinnen, ist auch durchgängig mit Faltenbälgen versehen, wurde aber von einer ganz normalen Lok gezogen. Heute fahren die beiden Metropolitan-Garnituren als ICE oder IC.
Das Konzept hatte in Deutschland keinen durchschlagenden Erfolg, aber in Österreich werden derzeit Dutzende Fernzüge, die solchermaßen aufgebaut sind, zusammengeschweißt: Der »railjet«, das künftige Spitzenprodukt der ÖBB, besteht aus einer betrieblich nicht trennbaren Wendezugeinheit, an die vorne eine der bereits seit langem beschafften, bis zu 230 km/h schnellen Universallokomotiven der Österreicher angekuppelt wird. Man bekommt so einen Zug, der ganz schön flott läuft, breite Wagenübergänge hat, aber man muss keine Antriebstechnik einkaufen. Was für den »railjet« alles an Einrichtung und Servicekonzepten vorgesehen ist, ist übrigens hochspannend; die Sitze in der obersten Klasse zum Beispiel erinnern mit einer eigenen Schlafposition an die Luftfahrt.

Interessant ist all dies für Deutschland deswegen, weil sich in den kommenden Jahren die Zukunft des InterCity entscheiden wird. Es waren schon einmal etwa 1000 neue IC-Wagen ausgeschrieben, die genau wie die beschriebenen Züge betrieblich nicht trennbar hätten sein sollen, mit Faltenbälgen und so weiter, aber anzuhängen an bereits vorhandene Lokomotiven. In letzter Zeit redet man wieder davon, dass es auch eine Triebzuglösung geben könnte.
So oder so scheint es, dass die Tage des frei in seine Einzelteile zerlegbaren Wagenzuges gezählt sind. Das Konzept antriebsloser Reisezugwagen an sich scheint jedoch durchaus Potenzial für einen zweiten Frühling zu haben. Ich vermute, dass die DB derzeit sehr genau nach Österreich schaut.

Letztlich ist übrigens das Aufkommen kurzgekuppelter, nicht zerlegbarer Wagenverbände nur die technische Umsetzung betrieblicher Realität. Die allermeisten, wenn nicht alle, Wagenzüge im modernen Personenverkehr werden als feste Einheiten gefahren und gewartet. Flexibel Wagen auszusetzen oder einzustellen ist unüblich geworden, weil es weder genügend flächig verteilte Wagenreserven noch die nötigen Rangierlokomotiven gibt, vom Personal ganz zu schweigen. Man kann das bedauern; meiner Ansicht nach ist die relative Starrheit der Zugkapazitäten der Preis, der für die flächendeckenden Taktfahrpläne zu zahlen war, und insofern kann ich sie verschmerzen.


Bild: »vovchychko« bei Flickr (Details und Lizenz)