Donnerstag, 22. November 2007

36: Der große Graben

Gräben können verbinden oder trennen. Wenn sie verbinden, dann, was an den Enden des Grabens ist, wenn sie trennen, dann das, was links und rechts davon liegt. Zumindest meistens ist das so. Übermorgen wird allerdings ein Graben eingeweiht, der auch seine linke und rechte Seite enger zusammenbringt.
In vier Jahren Bauzeit wurde die durch Neu-Ulm verlaufende Fernstrecke viergleisig gemacht -wie übrigens auch die Ulmer Donaubrücke- und in einen teilweise überdeckelten Betontrog verlegt. Der alte, 16gleisige Bahnhof ist Geschichte, seine Funktion im Containerverkehr hat ein neues Umschlagterminal in Ulm-Dornstadt übernommen. Die Schrumpfung der Bahnflächen und die dauerhafte Verbindung durch den Deckel und neue Überführungen haben die Zerschneidung der Stadt durch die Gleise stark reduziert und große Flächen für den Städtebau freigemacht. Die Durchfahrtsgeschwindigkeit ist erheblich gesteigert, Regional- und Fernverkehr werden getrennt abgewickelt. Nebenbei ist eine Tieferlegung so ziemlich die effektivste Art, Lärmschutz zu betreiben.
Das 160 Millionen Euro teure Projekt, das auf den Namen »Neu-Ulm 21« hört und damit nebenbei das erste der berühmt-berüchtigten »21er-Projekte« ist, das fertig wird, hat aber noch andere, interessante Facetten. Das Empfangsgebäude beispielsweise ist eine Gruppe rundlicher, orangefarbener Pavillons unter einem Stahldach, von denen einer kanzelartig über die Deckelkante kragt und so geschickt alte Stellwerksgebäude zitiert. Auf dem Deckel wird eine zentrale Umsteigestation eingerichtet, so dass Bus und Bahn nur eine Treppe entfernt voneinander halten. Der Trog selber kann im Falle eines extremen Donauhochwassers kontrolliert geflutet werden, damit an der Wanne kein schürmannbaumäßiger Totalschaden durch Aufschwimmen entsteht.


Ein Trogbau ist nicht nur in Neu-Ulm das Mittel der Wahl, Bahninfrastruktur stadtkompatibel zu machen. Durch Los Angeles beispielsweise verläuft ein sechzehn Kilometer langer, dreigleisiger Betongraben, überspannt von dreißig Brücken. Dieser ist Teil des »Alameda Corridor«, erbaut von 1996 bis 2002 für etwa zwei Milliarden Euro, und nimmt den Hinterlandverkehr der Häfen von Los Angeles und Long Beach auf. Hier greift der Lärmschutzaspekt besonders, da nicht nur der infernalische Lärm mehrerer amerikanischer Lokomotiven pro Zug im Graben bleibt, sondern auch das nebelhornmäßige Tuten an Bahnübergängen wegfällt. Auch kann aus dem Graben der Dieselqualm problemlos abziehen, was beispielsweise bei einem Tunnel nicht der Fall wäre; Dieselbetrieb in Tunneln oder gar Tiefbahnhöfen ist eine nur schwer zur Zufriedenheit aller lösbare Aufgabe. Im Stuttgarter Hauptbahnhof werden beispielsweise nach der Tieferlegung im Projekt »Stuttgart 21« (siehe Prellblog 19) keine Dieselzüge mehr halten dürfen.
Ohnehin sind Tunnel erheblich teurer als Tröge, nicht zuletzt der Sicherheitsvorkehrungen wegen.

Andere verhältnismäßig neue Gleiströge finden sich unter anderem auf der AKN-Stammstrecke im Hamburger Norden, beispielsweise in Kaltenkirchen oder Eidelstedt; dort war die Tieferlegung aus dem Straßenverkehr heraus ausschlaggebend. Auch im Zusammenhang mit der Anbindung des neuen Berliner Großflughafens entstehen mehrere Kilometer Trogbauwerke.

Bild: Alexander Schneider (»Alexander@Ulm«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Keine Kommentare: