Donnerstag, 23. August 2007

24: Volle Deckung?

Wenn Züge fahren, kostet das. Bautenabschreibungen, Fahrzeuge, Löhne, Energie, Ersatzteile, Gleisbau und so weiter. Dabei gibt es verschiedenste Kostenarten: Fahrzeuge kann man kaufen, leasen oder staatlich gestellt bekommen, Infrastruktur kann man selber betreiben oder gegen Gebühren nutzen. Investitionen zahlt häufig der Staat, selbst wenn es sich eher um Sanierung als um Ausbau handelt. Fahrzeuginstandhaltung kann man selber machen, machen lassen, oder gleich beim Hersteller mitkaufen.

Auf der Einnahmenseite ist es noch unübersichtlicher, vor allem im Nahverkehr, wo die Aufgabenträger Verkehrsleistungen bestellen. Und da gibt es verschiedene Modelle - der Träger kann alle Kosten übernehmen und die Einnahmen behalten; er kann aber auch die Fahrgelder an den Betreiber durchreichen und das Defizit zuschießen; Bonus- und Malussysteme sollen dabei für Einnahmesteigerungen und Qualitätsverbesserungen sorgen. Fahrgeldern sind dabei wieder eine Wissenschaft für sich, weil es Verkehrsverbünde gibt und Fahrkarten, die für Züge mehrerer Betreiber gelten; die Einnahmen werden nach regelmäßigen Fahrgastzählungen in langwierigen Verhandlungen aufgeteilt. Praktisch alle Vergaben von Streckenpaketen im Nahverkehr sind außerdem mischkalkuliert, da die Träger kein Interesse haben, profitable Strecken einzeln zu vergeben, so dass es am Ende sehr teuer würde, noch jemanden zu finden, der die defizitären Reststrecken fährt; die Betreiber wiederum wollen Gewinn und nicht nur eine schwarze Null.
Insofern ist es schwierig zu sagen, wie rentabel eine Bahn arbeitet. Am einfachsten ist es noch bei klassischen städtischen Verkehrsbetrieben, die eigene Infrastruktur betreiben und deren Defizit aus dem Stadthaushalt gedeckt wird. Und man kommt auf überraschende Ergebnisse. Die Hamburger Hochbahn trägt sich zu 85 % selber; die Berliner BVG immerhin noch zu 59 %. Der äußerst gute und erfolgreiche Karlsruher Nahverkehr ist angeblich bei Einzelfahrten rentabel, bei Dauerkarten nicht; allerdings ist das eine Milchmädchenrechnung, da die Fixkosten sehr hoch sind - würde man diesen Rabatt auf Dauerkarten streichen, könnte dies die Fahrgastzahlen so stark senken, dass auch Einzelfahrten defizitär würden. Man nimmt generell an, dass große Teile des Nahverkehrs rentabel sein könnten, wären die Betreiber nicht verpflichtet, Schüler, Soldaten, Zivildienstleistende, Senioren, behinderte Menschen und so weiter ermäßigt oder kostenfrei zu befördern.
Alle Verkehrsbetreiber und -träger, die einigermaßen auf Zack sind, arbeiten an der Verbesserung ihrer Kostendeckung, was am ehesten über Angebotsexpansion funktioniert: Investitionskosten für Streckenbauten, Werkstätten und Fahrzeuge werden stark staatlich bezuschusst; Mehreinnahmen durch neue Fahrgäste kommen dem Betreiber und letztlich dem Träger zu Gute. Auf der Kostenseite lässt es sich hauptsächlich bei der Fahrzeuginstandhaltung sparen - der Kernunterschied zwischen verschiedenen Angeboten bei Ausschreibungen sind meistens die Konzepte dafür, wer die Fahrzeuge wo und wie wartet. Entgegen vieler Propaganda wird kaum an der Lohnschraube gedreht, da es nicht gerade ein Überangebot an qualifiziertem Personal gibt.
Zumindest ist klar: Das beliebte Gerücht, die Fahrgeldeinnahmen im ÖPNV reichten gerade einmal dafür, die Kosten für Fahrscheinverkauf und Kontrolleure zu tragen, ist Unsinn. Insofern muss man auch Forderungen nach kostenlosem, voll über Pflichtbeiträge finanziertem ÖPNV (»Semesterticket für alle«) skeptisch sehen: Es wäre nicht nur unüberschaubar, wie sich diese Lasten mit der zu erwartenden Fahrgaststeigerung entwickeln; vor allem fiele die Motivation, das Angebot attraktiver zu machen, weg. Wozu Fahrgäste gewinnen, wenn sich dies nicht auf die Bilanz auswirkt und die Investitionen dafür doch nur den Beitragszahler belasten? 
Sinnvoll erscheint mir das französische Modell, Industrie- und Gewerbebetriebe über eine Umlage an der Verkehrsfinanzierung zu beteiligen, da der volkswirtschaftliche Nutzen eines verbesserten Nahverkehrs letztlich großenteils bei ihnen anfällt. Vom Ziel eines rentablen öffentlichen Verkehrs sollte man aber nicht abgehen, denn so weit weg ist man davon gar nicht.

Bild: Jan Pešula bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)

4 Kommentare:

ECS hat gesagt…

Sehr spannend! Vor allem die Bemerkung zum Schluss, dass man den Markt-Anreiz nicht rausnehmen kann, ohne eine Verschlechterung des Angebots mag die liberale Seele gerne lesen.

mawa hat gesagt…

Nun ja, dass sich daraus automatisch eine Verschlechterung ergäbe, habe ich nicht geschrieben und das muss auch nicht zwangsläufig so sein. Aber die Hauptmotivation für Verbesserungen wäre nicht mehr gegeben.
Der Ostblock hatte übrigens früher praktisch kostenlose Nahverkehrssysteme (in der DDR galten 1990 teilweise noch die numerischen Fahrpreise aus der unmittelbaren Nachkriegszeit), man sieht ja, was daraus geworden ist.

Anonym hat gesagt…

Völlig unabhängig von der Einnahmesituation von Betrieben in der DDR wurden Gewinne abgeschöpft und Instandhaltung und Investitionen vernachlässigt.
Die symbolischen Preise führten im Nahverkehr zu überwältigenden Marktanteilen und Angebotsqualitäten. Netzdichte und Taktfolgen werden wohl noch lange ihresgleichen suchen.
Heutzutage wird Nahverkehr aus Einnahmen und staatlichen Mitteln finanziert. Mit allen bekannten Nachteilen der Mischfinanzierung. Ausschließlich staatliche Finanzierung(als Dienstleistung für die Steuerzahler) wäre billiger und würde mehr Nachfrage und Auslastung bringen.
Das ganze wäre also effizienter, zumal wenn man die Höhe der Mittel an Zahl und Zufriedenheit der Fahrgäste orientiert, statt pauschal Angebote zu bestellen.

mawa hat gesagt…

Ich würde darum bitten, einmal aufzuzeigen, wo es in der DDR besonders bemerkenswerte Taktverkehre gegeben haben soll; denn gerade dichte Vertaktung war meines Wissens nicht unbedingt eine Stärke des mit den Schichtwechseln der Großbetriebe koordinierten DDR-Nahverkehrs. Die Marktanteile waren nicht auf Grund der Attraktivität so hoch, sondern, da es kaum Alternativen gab.
Was die "bekannten Nachteile der Mischfinanzierung" sind und wie du belegen willst, dass eine reine Steuerfinanzierung billiger wäre, musst du mir gar nicht erklären; es reicht schon, wenn du mir als Beispiel einen einzigen großen, vollständig ohne Fahrgelder funktionierenden Schienenverkehrsbetrieb nennst, der ein attraktives Angebot und einen ordentlichen Marktanteil hat.