147: Schleifen lassen
Ich habe hier zwar bereits vor langen Jahren über Oberleitungen geschrieben (siehe Prellblog 3), aber mir war damals schon klar, dass ich irgendwann noch einmal einen Artikel zum Thema würde schreiben müssen, einfach weil mich das Gewirr, das da über einem vorbeisaust, mit seiner scheinbar schwer zu begründenden Komplexität schon immer fasziniert hat. Erst heute bin ich soweit, dass ich dazu einen knappen, aber umfassenden technischen Überblick geben kann.
Da hängt also dieser Kupferdraht in einer definierten Lage über dem Gleis, damit der Zug von unten mit seinem Stromabnehmer daraus Strom entnehmen kann. Dazu muss es natürlich irgend eine Aufhängekonstruktion geben. Aber warum sieht die gerade so aus, wie sie aussieht (und sie sieht eher bizarr aus, siehe Bild)?
Der Fahrdraht ist einen guten Zentimeter dick und besteht aus reinem Kupfer oder einer hoch kupferhaltigen Legierung. Sein Querschnitt ist rund, aber oben seitlich eingekerbt. Er wird von kurzen, senkrechten »Strippen«, so genannten Hängern, gehalten, die unten mit Klemmen am Draht und oben an einem Tragseil befestigt sind, das in durchhängenden Bögen (einer Kettenlinie, daher auch die Bezeichnung Kettenwerk für die ganze Haltekonstruktion) von einem Oberleitungsmasten zum nächsten verläuft. Nur direkt auf Höhe des Masten führen die Hänger nicht direkt zum Tragseil, sondern zu einem sogenannten Beiseil, das zwischen zwei Punkten des Tragseils wiederum in einer Kettenlinie gespannt ist. So ergibt sich die typische Silhouette der Fahrdrahtaufhängung, die an eine stilisierte, filigrane Hängebrücke erinnert.
Dabei ist das Tragseil natürlich nicht direkt am Fahrleistungsmasten befestigt, sonst müsste der Zug ja durch die Masten fahren. Es gibt statt dessen Ausleger. Diese bestehen aus einem Metallrohr, das schräg vom Tragseil hinunter zum Mast führt; sein höchster Punkt ist außerdem noch einmal durch ein waagerechtes Seil oder Rohr (je nach Belastungsart) mit dem Mast verbunden. Beide Teile sind dabei nicht etwa einfach festgeschraubt, sondern zwischen ihnen und dem Mast gibt es einen Isolator (da sonst der Mast unter Spannung stünde) und ein Schwenkgelenk. Der ganze Auslegerapparat muss sich nämlich nach links und rechts bewegen können, wenn sich Fahrdraht oder Tragseil durch Temperaturänderungen in ihrer Länge ändern. Die Drähte und Seile sind auch nicht endlos wie die Schienen, sondern eben wegen dieser Längenänderungen in einzelnen, bis etwa 1500 Meter langen Abschnitten angeordnet, an deren Ende sich Spannvorrichtungen befinden: die Gerätschaften aus Stapeln von Betongewichten (»Keksen«) und gezahnten Umlenkrädern mit Sperrklinken. In der Mitte eines solchen »Nachspannabschnittes« sind Draht und Seil fixiert. Die Sperrklinken dienen nur dazu zu verhindern, dass bei einem Riss in der Oberleitungskonstruktion die Gewichte herunterrasseln. Der Übergang von einem Abschnitt zum anderen erfolgt, indem sich die beiden eine kurze Strecke überlappen, in der sie elektrisch miteinander verbunden sind.
Damit ist jetzt klar, wie der Fahrdraht horizontal gespannt, in der korrekten Höhe gehalten und seine Längsausdehnung kompensiert wird, aber seine seitliche Position ist noch nicht fixiert. Jetzt kommen die restlichen Metallteile an den Masten hinzu: unten am schwenkbaren Ausleger ist nämlich ein nahezu waagerechtes, auf und ab bewegliches Teil angelenkt, der Seitenhalter. Vorne ist er wieder mit einem Hänger am Ausleger (oder am Beiseil) aufgehängt. Und an diesem Seitenhalter hängt jetzt noch ein Seitenhalter, und zwar an jedem Mast ein anderer. Die Länge und die Montagerichtung sind so gewählt, dass der Fahrdraht von oben gesehen eine Zickzacklinie bildet: so schleift er keine Rille in den Stromabnehmer ein, sondern nutzt diesen gleichmäßig ab. Die vertikale Bewegungsfreiheit des Seitenhalters sorgt dafür, dass der Draht dem Anpressdruck des Stromabnehmers kontrolliert einige Zentimeter nachgeben kann, sich die sich daraus ergebenden Schwingungen aber schnell wieder beruhigen und sich keinesfalls aufschaukeln. In Kurven, über Weichen und in anderen Sondersituationen gibt es verschiedenartige Zusatzvorrichtungen, die die korrekte Lage des Fahrdrahtes sicherstellen; sie zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen.
Und so sorgen Tonnen von Kupferdraht und Bronzeseil nebst Dutzenden von Kleinteilen wie Klemmen, Schellen, Spangen und Ösen dafür, dass Züge mit 200, 300, 320, 360, ja 380 Kilometern pro Stunde fahren können und doch mit einem Kontakt immer sicher und ohne Funkenflug an einer Leitung, die Spannung im fünfstelligen Voltbereich führt, entlangschleifen. Ich weiß nicht, wie es meinen LeserInnen geht, aber ich finde den schieren technischen Aufwand schon beeindruckend, vor allem aber die Tatsache, dass sich diese Anlagen bei aller Komplexität nicht nur wirtschaftlich betreiben, sondern im Störfall auch relativ fix reparieren lassen.
Wo der Strom herkommt und wie er unten wieder aus dem Zug rausfließt, ist übrigens eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Bild: Sebastian Terfloth bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)
Da hängt also dieser Kupferdraht in einer definierten Lage über dem Gleis, damit der Zug von unten mit seinem Stromabnehmer daraus Strom entnehmen kann. Dazu muss es natürlich irgend eine Aufhängekonstruktion geben. Aber warum sieht die gerade so aus, wie sie aussieht (und sie sieht eher bizarr aus, siehe Bild)?
Der Fahrdraht ist einen guten Zentimeter dick und besteht aus reinem Kupfer oder einer hoch kupferhaltigen Legierung. Sein Querschnitt ist rund, aber oben seitlich eingekerbt. Er wird von kurzen, senkrechten »Strippen«, so genannten Hängern, gehalten, die unten mit Klemmen am Draht und oben an einem Tragseil befestigt sind, das in durchhängenden Bögen (einer Kettenlinie, daher auch die Bezeichnung Kettenwerk für die ganze Haltekonstruktion) von einem Oberleitungsmasten zum nächsten verläuft. Nur direkt auf Höhe des Masten führen die Hänger nicht direkt zum Tragseil, sondern zu einem sogenannten Beiseil, das zwischen zwei Punkten des Tragseils wiederum in einer Kettenlinie gespannt ist. So ergibt sich die typische Silhouette der Fahrdrahtaufhängung, die an eine stilisierte, filigrane Hängebrücke erinnert.
Dabei ist das Tragseil natürlich nicht direkt am Fahrleistungsmasten befestigt, sonst müsste der Zug ja durch die Masten fahren. Es gibt statt dessen Ausleger. Diese bestehen aus einem Metallrohr, das schräg vom Tragseil hinunter zum Mast führt; sein höchster Punkt ist außerdem noch einmal durch ein waagerechtes Seil oder Rohr (je nach Belastungsart) mit dem Mast verbunden. Beide Teile sind dabei nicht etwa einfach festgeschraubt, sondern zwischen ihnen und dem Mast gibt es einen Isolator (da sonst der Mast unter Spannung stünde) und ein Schwenkgelenk. Der ganze Auslegerapparat muss sich nämlich nach links und rechts bewegen können, wenn sich Fahrdraht oder Tragseil durch Temperaturänderungen in ihrer Länge ändern. Die Drähte und Seile sind auch nicht endlos wie die Schienen, sondern eben wegen dieser Längenänderungen in einzelnen, bis etwa 1500 Meter langen Abschnitten angeordnet, an deren Ende sich Spannvorrichtungen befinden: die Gerätschaften aus Stapeln von Betongewichten (»Keksen«) und gezahnten Umlenkrädern mit Sperrklinken. In der Mitte eines solchen »Nachspannabschnittes« sind Draht und Seil fixiert. Die Sperrklinken dienen nur dazu zu verhindern, dass bei einem Riss in der Oberleitungskonstruktion die Gewichte herunterrasseln. Der Übergang von einem Abschnitt zum anderen erfolgt, indem sich die beiden eine kurze Strecke überlappen, in der sie elektrisch miteinander verbunden sind.
Damit ist jetzt klar, wie der Fahrdraht horizontal gespannt, in der korrekten Höhe gehalten und seine Längsausdehnung kompensiert wird, aber seine seitliche Position ist noch nicht fixiert. Jetzt kommen die restlichen Metallteile an den Masten hinzu: unten am schwenkbaren Ausleger ist nämlich ein nahezu waagerechtes, auf und ab bewegliches Teil angelenkt, der Seitenhalter. Vorne ist er wieder mit einem Hänger am Ausleger (oder am Beiseil) aufgehängt. Und an diesem Seitenhalter hängt jetzt noch ein Seitenhalter, und zwar an jedem Mast ein anderer. Die Länge und die Montagerichtung sind so gewählt, dass der Fahrdraht von oben gesehen eine Zickzacklinie bildet: so schleift er keine Rille in den Stromabnehmer ein, sondern nutzt diesen gleichmäßig ab. Die vertikale Bewegungsfreiheit des Seitenhalters sorgt dafür, dass der Draht dem Anpressdruck des Stromabnehmers kontrolliert einige Zentimeter nachgeben kann, sich die sich daraus ergebenden Schwingungen aber schnell wieder beruhigen und sich keinesfalls aufschaukeln. In Kurven, über Weichen und in anderen Sondersituationen gibt es verschiedenartige Zusatzvorrichtungen, die die korrekte Lage des Fahrdrahtes sicherstellen; sie zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen.
Und so sorgen Tonnen von Kupferdraht und Bronzeseil nebst Dutzenden von Kleinteilen wie Klemmen, Schellen, Spangen und Ösen dafür, dass Züge mit 200, 300, 320, 360, ja 380 Kilometern pro Stunde fahren können und doch mit einem Kontakt immer sicher und ohne Funkenflug an einer Leitung, die Spannung im fünfstelligen Voltbereich führt, entlangschleifen. Ich weiß nicht, wie es meinen LeserInnen geht, aber ich finde den schieren technischen Aufwand schon beeindruckend, vor allem aber die Tatsache, dass sich diese Anlagen bei aller Komplexität nicht nur wirtschaftlich betreiben, sondern im Störfall auch relativ fix reparieren lassen.
Wo der Strom herkommt und wie er unten wieder aus dem Zug rausfließt, ist übrigens eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Bild: Sebastian Terfloth bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)
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