Montag, 31. Mai 2010

128: Lounge Against the Machine

Reisezüge unterscheiden sich von vielen anderen Verkehrsmitteln unter anderem durch die spezielle Art von Aussicht, die man aus ihnen hat. Züge haben einen großen Anteil an Fensterfläche, wobei die Fenster auf Grund des stehhohen Innenraums meist recht hoch gezogen sind, dazu kommt eine Sitzposition, die zumindest im Fernverkehr weit über einen Meter über dem Gleisniveau liegt. Aus dem hinteren Teil eines InterCity-Großraumwagens etwa erfreut man sich eines wirklich panoramischen Blicks, und auch wenn ich nun zwischen Konstanz und Hamburg, vor allem aber zwischen Marburg und Frankfurt, wirklich schon jede Menge InterCity gefahren bin, erlebe ich immer einmal wieder, dass ich fasziniert und halb weggetreten in die hessischen Hügel pliere - umso faszinierter und weggetretener, je mehr sich das Land subtil zur Seite neigt, wenn der Zug durch überhöhte Kurven fährt. Als irgendwann in den 1990ern in einer eher zahmen deutschen Talkshow das schon damals nicht mehr ganz taufrische Thema des angeblich zu teuren Kaffees bei der DB besprochen wurde, argumentierte der Interviewpartner damit, es sei ja auch eine große Tasse guten Kaffees und man habe ja auch noch die Landschaft. Recht hatte er - zumindest mit der Landschaft, über Gebindegröße und Qualität von DB-Kaffee vor über zehn Jahren kann ich wenig sagen.
Aber eines kann man im Zug in der Regel nicht: nach vorne schauen. Dazu muss man schon in einem Triebzug ganz vorne oder in einem mit schiebender Lok fahrenden Wendezug im Steuerwagen sitzen, die Trennwand muss aus Glas und die Lokführerin so nett sein, den Vorhang davor nicht zuzuziehen bzw. die elektrische Abtönung der Wand nicht einzuschalten. Hinten aus dem Zug zu schauen ist ähnlich schwer - da sitzt zwar meistens niemand im Steuerraum, aber trotzdem ist gerne der Vorhang zu.

In den 1930er Jahren machte man sich in Deutschland bereits einige Gedanken über die Konkurrenz zwischen Eisenbahn und Autobahn. Ein etwas skurriler Aufsatz, den ich leider nicht mehr auftreiben kann, weil ich mich nur noch an den Inhalt, nicht aber an Titel oder Verfasser erinnere, hob hierzu auf den (ja auch in der Staatspropaganda sehr hochgehaltenen) Aspekt der Landschafts- und Geschwindigkeitserfahrung als emotionaler Genuss ab und empfahl, doch in Zukunft Großraum-Schnelltriebwagen zu bauen, die großzügig verglast, wo alle Sitzreihen nach vorne gerichtet seien und diese nach hinten anstiegen, so dass alle Fahrgäste das »Geschwindigkeitserlebnis« teilen könnten. Das hat sich zwar bei der Eisenbahn nie durchgesetzt, einige Reisebusse scheinen aber dadurch inspiriert zu sein. Andere Spezialkonstruktionen, die den Blick parallel zur Fahrtrichtung erlauben sollten, sind die hohen Aussichtskuppeln der »dome car«-Panoramawagen nach amerikanischer Art, wie es sie auch in den alten TEEs gab (die heute etwa bei den Schweizer Bahnen oder der S-Bahn-Berlin verkehrenden Panoramawagen haben keine Kuppel, nur besonders hoch gezogene Fenster) oder auch die Aussichtswagen (in Japan gerne mit »Yachtheck«) am Zugende japanischer Nachtzüge.
Eine Massenerfahrung wurde das (dann auch gern besonders schnelle) Bahnfahren mit Aussicht in Deutschland erst mit der Indienststellung des ICE 3 der DB, wo die Endwagen, die einen ziemlich beeindruckenden Streckenblick durch das große, flach gekrümmte Frontfenster bieten, unter dem Namen »Lounge« laufen und erstaunlicherweise keinen Aufpreis kosten - man muss nur Glück beim Reservieren haben oder früh genug am Schalter oder per Telefon gezielt in der Lounge reservieren.

Umso größer das Erstaunen, als bekannt wurde, dass die nächste ICE-Bauserie der Bahn keine Lounges mehr haben wird. Die 15 Exemplare des vom ICE 3 abgeleiteten Siemens-Produktes »Velaro D« platzieren Geräteräume hinter den Führerständen, um insgesamt mehr Sitzplätze unterbringen zu können.
Dem Minus auf der Landschaftsseite wird dagegen zumindest im Gesamtangebot der DB auf der Kaffeeseite entgegengehalten: In einem Nebensatz der Ankündigung, für über 100 Millionen Euro auch die ICE-2-Züge einem »Redesign« zu unterziehen wie die ICE 1, hat DB-Vorstandsvorsitzender Grube auch versprochen, in den InterCitys neue Kaffeemaschinen einbauen zu lassen, damit es dort mit dem Instant-Cappucino ein Ende hat. Ob der Saldo aus Landschafts- und Kaffeemaßnahmen letztlich positiv ist oder nicht, bleibt Frage des individuellen Geschmacks.

Bild: Eric Pancer (»vxla«) bei Flickr (Details und Lizenz)

1 Kommentar:

Mr. Captcha hat gesagt…

In Japan gibt es doch sogar diese Romance Cars, wo der Lokführer unter dem Dach „liegt“ damit nach vorn freie Aussicht herrscht.

http://en.wikipedia.org/wiki/Romancecar