126: Der Tiger im Tank
Als vor zehn Tagen der europäische Luftverkehr auf Grund einer Vulkanaschewolke zusammenbrach und sich Reisende in Deutschland massenweise in die Fernzüge der Deutschen Bahn stürzten, deren Betrieb auf Grund der andauernden Achswellenprobleme ohnehin seit Langem in einer Art Ausnahmezustand stattfindet; als dann auch noch ein ICE 3 zwischen Köln und Frankfurt eine Tür verlor und das Schreckgespenst noch weiterer Einschränkungen vor Augen stand; in dieser Situation also war wieder die Stunde für ein Thema gekommen, das zu den Dauerbrennern im Diskurs um Eisenbahn in Deutschland gehört.
Es geht um die Frage nach den Reserven.
Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen immer etwas mehr Fahrzeuge braucht, als gerade fahrplanmäßig umlaufen oder gewartet werden, um unerwartete Ausfälle von Zügen irgendwie kompensieren zu können. Weitgehende Einigkeit besteht auch darin, dass Infrastrukturbetreiber ebenfalls Reserven brauchen - seien dies nun Bahnhöfe, deren Nebengleise nicht alle im regulären Betrieb ausgelastet sind, so dass man sie für außerplanmäßige Überholungen oder Kreuzungen nutzen kann, Strecken, die für Umleitungen genutzt werden können (am heutigen Tag fahren an meinem Fenster wieder zahlreiche wegen Bauarbeiten zwischen Wächtersbach und Salmünster umgeleitete ICE vorbei, die sonst den Weg über Fulda nähmen) oder sonstige Kapazitäten für Trassen, die über die Fahrplanvorgaben hinausgehen.
Über die angemessenen Ausmaße solcher Reserven bei Rollmaterial und Netz scheiden sich jedoch die Geister.
Im Zusammenhang mit der genannten Aschewolke konnte man tatsächlich Beschwerden des Tenors lesen, die Bahn (damit ist in diesem Falle wie so oft ausschließlich die DB gemeint) habe doch eigentlich genügend Rollmaterial vorzuhalten, um in solchen Fällen (wie sie womöglich weniger als einmal im Jahrhundert vorkommen) das gesamte Verkehrsaufkommen der innerdeutschen Luftfahrt aufnehmen zu können, ohne dass es zu größeren Unannehmlichkeiten kommt. Hierzu müsste über den Daumen gepeilt eine Überkapazität von 15 bis 30 % an Rollmaterial vorgehalten werden, und selbstverständlich müsste entweder durch zusätzliche MitarbeiterInnen oder durch sehr flexiblen Umgang mit Überzeit das entsprechende Personal, um dieses zu fahren, da sein, von den Trassen für die ganzen Zusatzzüge ganz zu schweigen. Bei den ohnehin schmalen Margen im eigenwirtschaftlichen Eisenbahnverkehr wäre das alles nicht gerade einfach.
Weniger befremdlich erscheint die regelmäßig gehörte Klage darüber, dass an Spitzenverkehrstagen Züge nicht verlängert beziehungsweise keine Zusatzzüge eingelegt würden. Warum man nicht einfach einen zusätzlichen Wagen anhängen oder einen Verstärkerzug kurz vor oder nach dem Regelzug fahren lassen kann, erschließt sich häufig nicht. Die verschiedenen Gründe haben zwar alle ihr Gewicht: Jeder Zusatzwagen muss einrangiert werden, was bei lokbespannten Zügen heutzutage das Abhängen der Lok oder des Steuerwagens erfordert, denn die allermeisten Züge sind Wendezüge; zusätzliche Triebzüge lassen sich zwar ohne solche Mühen ankuppeln, dafür sind die möglichen Abstufungen in der Fahrgastkapazität gröber; ein Personenzug kann in der Regel nicht länger sein als der kürzeste Bahnsteig, an dem er halten muss, und länger als 400 Meter darf er in Deutschland gar nicht werden; und jedes Zusatzfahrzeug muss am Ende seiner Einsatzstrecke ja auch wieder dahin zurück, wo es herkommt.
Auch wenn gerne behauptet wird, die DB hielte keinerlei Reserven gleich welcher Art vor, gibt es in größeren Eisenbahnknoten so genannte Knotenpunktreserven, die aus Loks und Fernverkehrswagen etwas älteren Datums bestehen. Das ist aber auch schon nahezu alles. Bei anderen Eisenbahnen ist die Lage wohl eher noch prekärer, da die DB das einzige deutsche Unternehmen seiner Branche ist, das nennenswerte Überbestände an Fahrzeugen hat. Ob und wie man darüber hinaus mehr Flexibilität in das Angebot der Bahnen bringen kann, ohne die Kosten unvertretbar zu steigern, ist fraglich. Dass viele Vertreter radikaler Meinungen in diesem Punkt auch fordern, Eisenbahn dürfe sich grundsätzlich nicht als Wirtschaftsunternehmen verstehen, sondern müsse den erheblichen Zuschussbedarf akzeptieren, der mit der Vorhaltung »todsicherer« Reserven einher geht, ist allerdings bezeichnend.
Wenn man fordert, dass Bahnen große Reserven vorhalten müssen, dann sollte man sich auch überlegen, wie das nachhaltig zu finanzieren ist, sonst gibt es irgendwann eben nicht nur keine Reserven, sondern keine Eisenbahn mehr. Und eine nachhaltige Finanzierung kommt in Deutschland unter den gegenwärtigen Verhältnissen eben nicht aus dem Staatshaushalt, wie die Kapriolen bei der Infrastrukturbezuschussung in den letzten Jahren deutlich gezeigt haben sollten.
Bild: Jeramey Jannene (»compujeramey«) bei Flickr (Details und Lizenz)
Es geht um die Frage nach den Reserven.
Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen immer etwas mehr Fahrzeuge braucht, als gerade fahrplanmäßig umlaufen oder gewartet werden, um unerwartete Ausfälle von Zügen irgendwie kompensieren zu können. Weitgehende Einigkeit besteht auch darin, dass Infrastrukturbetreiber ebenfalls Reserven brauchen - seien dies nun Bahnhöfe, deren Nebengleise nicht alle im regulären Betrieb ausgelastet sind, so dass man sie für außerplanmäßige Überholungen oder Kreuzungen nutzen kann, Strecken, die für Umleitungen genutzt werden können (am heutigen Tag fahren an meinem Fenster wieder zahlreiche wegen Bauarbeiten zwischen Wächtersbach und Salmünster umgeleitete ICE vorbei, die sonst den Weg über Fulda nähmen) oder sonstige Kapazitäten für Trassen, die über die Fahrplanvorgaben hinausgehen.
Über die angemessenen Ausmaße solcher Reserven bei Rollmaterial und Netz scheiden sich jedoch die Geister.
Im Zusammenhang mit der genannten Aschewolke konnte man tatsächlich Beschwerden des Tenors lesen, die Bahn (damit ist in diesem Falle wie so oft ausschließlich die DB gemeint) habe doch eigentlich genügend Rollmaterial vorzuhalten, um in solchen Fällen (wie sie womöglich weniger als einmal im Jahrhundert vorkommen) das gesamte Verkehrsaufkommen der innerdeutschen Luftfahrt aufnehmen zu können, ohne dass es zu größeren Unannehmlichkeiten kommt. Hierzu müsste über den Daumen gepeilt eine Überkapazität von 15 bis 30 % an Rollmaterial vorgehalten werden, und selbstverständlich müsste entweder durch zusätzliche MitarbeiterInnen oder durch sehr flexiblen Umgang mit Überzeit das entsprechende Personal, um dieses zu fahren, da sein, von den Trassen für die ganzen Zusatzzüge ganz zu schweigen. Bei den ohnehin schmalen Margen im eigenwirtschaftlichen Eisenbahnverkehr wäre das alles nicht gerade einfach.
Weniger befremdlich erscheint die regelmäßig gehörte Klage darüber, dass an Spitzenverkehrstagen Züge nicht verlängert beziehungsweise keine Zusatzzüge eingelegt würden. Warum man nicht einfach einen zusätzlichen Wagen anhängen oder einen Verstärkerzug kurz vor oder nach dem Regelzug fahren lassen kann, erschließt sich häufig nicht. Die verschiedenen Gründe haben zwar alle ihr Gewicht: Jeder Zusatzwagen muss einrangiert werden, was bei lokbespannten Zügen heutzutage das Abhängen der Lok oder des Steuerwagens erfordert, denn die allermeisten Züge sind Wendezüge; zusätzliche Triebzüge lassen sich zwar ohne solche Mühen ankuppeln, dafür sind die möglichen Abstufungen in der Fahrgastkapazität gröber; ein Personenzug kann in der Regel nicht länger sein als der kürzeste Bahnsteig, an dem er halten muss, und länger als 400 Meter darf er in Deutschland gar nicht werden; und jedes Zusatzfahrzeug muss am Ende seiner Einsatzstrecke ja auch wieder dahin zurück, wo es herkommt.
Auch wenn gerne behauptet wird, die DB hielte keinerlei Reserven gleich welcher Art vor, gibt es in größeren Eisenbahnknoten so genannte Knotenpunktreserven, die aus Loks und Fernverkehrswagen etwas älteren Datums bestehen. Das ist aber auch schon nahezu alles. Bei anderen Eisenbahnen ist die Lage wohl eher noch prekärer, da die DB das einzige deutsche Unternehmen seiner Branche ist, das nennenswerte Überbestände an Fahrzeugen hat. Ob und wie man darüber hinaus mehr Flexibilität in das Angebot der Bahnen bringen kann, ohne die Kosten unvertretbar zu steigern, ist fraglich. Dass viele Vertreter radikaler Meinungen in diesem Punkt auch fordern, Eisenbahn dürfe sich grundsätzlich nicht als Wirtschaftsunternehmen verstehen, sondern müsse den erheblichen Zuschussbedarf akzeptieren, der mit der Vorhaltung »todsicherer« Reserven einher geht, ist allerdings bezeichnend.
Wenn man fordert, dass Bahnen große Reserven vorhalten müssen, dann sollte man sich auch überlegen, wie das nachhaltig zu finanzieren ist, sonst gibt es irgendwann eben nicht nur keine Reserven, sondern keine Eisenbahn mehr. Und eine nachhaltige Finanzierung kommt in Deutschland unter den gegenwärtigen Verhältnissen eben nicht aus dem Staatshaushalt, wie die Kapriolen bei der Infrastrukturbezuschussung in den letzten Jahren deutlich gezeigt haben sollten.
Bild: Jeramey Jannene (»compujeramey«) bei Flickr (Details und Lizenz)
4 Kommentare:
Effizienz und hohe Sicherheitsreserven widersprechen sich nunmal. Aber ich denke, der entscheidende Punkt ist ein anderer: Die meisten Leute haben Verständnis dafür, wenn einzelne Züge aus technischen oder wetterbedingten Gründen ausfallen. Aber dass es bei der Bahn so weit kommen kann, dass mehrmals ganze Zugflotten für Monate halb still gelegt werden müssen, das ist unzumutbar. Besonders drastisch ist das in Monokultur-Netzen wie die S-Bahn in Berlin, wo man bereits bei der Ausschreibung einem Anbieter quasi ausgeliefert ist.
Vielleicht würde da etwas mehr Standardisierung helfen, so dass man problemloser verschiedene Zugtypen mischen kann - ein Nahverkehrszug ersetzt zwar keinen ICE, aber vielleicht doch auf einer Verbindung, die vorwiegend über Altbaustrecken geht. Dazu noch ein europaweiter Fahrzeugpool (=> die Bahnunternehmen besitzen kein eigenes Rollmaterial mehr, sondern fahren nur noch). Im Flugverkehr ist es beispielsweise möglich, dass auf Kurzstrecken die Flugzeugtypen für verschiedene Strecken getauscht werden, wenn es die Nachfrage erfordert.
Und eigentlich zeigt dieser Artikel doch auch, dass das Preissystem der Bahn unsinnig ist - Frühbucherrabatt bringt nichts, weil die Bahn eh nicht auf Nachfrageschwankungen reagieren kann. Last-Minute-Preise für schwach ausgelastete Verbindungen sind dagegen sehr sinnvoll.
Die Formulierung "Dass es zu P kommen kann, ist unzumutbar" halte ich für schwierig. Was soll denn passieren, wenn es dann doch zu P gekommen ist?
Das "Mischen verschiedener Zugtypen" kann man getrost als gescheitertes Konzept bezeichnen, bei der DB sind diverse Baureihen als untereinander kuppelbar angeschafft worden, bei denen dies auf Grund von Softwareschwierigkeiten oder sonstigen Problemen in der Praxis doch nicht ging. Mir ist keine größere europäische Bahn bekannt, die in nennenswertem Rahmen Triebzugbaureihen gemischt kuppelt.
Von Lösungen wie einem zwingenden europaweiten Fahrzeugpool halte ich wenig - wer soll den denn einrichten, welche Fahrzeuge soll der enthalten, wer soll die EVU zwingen, ihn zu nutzen? Und wie kommt der Luftverkehr ohne einen europaweiten Flugzeugpool klar?
Den Satz "Frühbucherrabatt bringt nichts, weil die Bahn eh nicht auf Nachfrageschwankungen reagieren kann" verstehe ich nicht. Fluggesellschaften können nicht auf Nachfrageschwankungen reagieren und bestreiten ihre Preisgestaltung weitestgehend über Frühbucherrabatte; auf der anderen Seite sind voraussehbare Nachfragespitzen selbstverständlich in die Flugpläne ebenso wie in die Fahrpläne zumindest zu einem gewissen Grade eingearbeitet.
Ich bin gelegentlich mit der Bahn auf der Strecke Salzburg - Graz unterwegs und überlege mir jedes Mal, ob hier mittlerweile dauerhaft Ersatzwägen eingesetzt werden. Interessanterweise sind sie für die ÖBB unüblich lackiert und haben kein sichtbares Logo.
Der Innenraum verrät die Herkunft: Es sind deutsche nationale Fernverkehrswägen schon etwas älteren Datums (die mit der "hübschen" mint- und rosafarbenen Bezügen). Außerdem ist noch zu erkennen, dass die Wägen mit der Kennzeichnung ÖBB-DB in Regensburg beheimatet sind.
Kann es sich hier um einen Teil der mancherorts dringend benötigten Ersatzwägen handeln? Im Dauerbetrieb sind sie mittlerweile eine Zumutung, auch wenn die Fahrt nur 3-4 Stunden dauert. Und aus einem möglichen Provisorium scheint eine Dauerlösung entstanden zu sein...
Das Hauptproblem ist einfach, dass jede Reserve Geld kostet. Selbst vorhandene ältere Wagen müssen gereinigt, auf Gleisen bereitgehalten und ggf. vorgeheizt werden und eine Rangierlok muss vorgehalten werden. Die Fahrgäste, die das "Einfach noch einen Wagen dranhängen"-Argument so gern nutzen, würden niemals einen Drittwagen kaufen, weil sie ihn viermal im Jahr brauchen, oder eine 25 qm größere Wohnung beziehen, weil gelegentlich Besuch kommt.
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