Montag, 8. März 2010

124: Öffnet die Herzen

Es ist im Prellblog schon öfters von Weichen, Signalen, Achszählern, Gleissperren und anderen Bestandteilen der Leit- und Sicherungstechnik der Eisenbahn die Rede gewesen, und auch davon, dass die Steuerung des Ganzen auf dem heutigen Stand an Computerarbeitsplätzen erledigt wird. Personal muss nicht mehr zwingend vor Ort sein, um Betriebsabläufe zu kontrollieren. Die Abgrenzung, was denn nun ein »Stellwerk« genau ist, wird schwammig zwischen all den »Unterzentralen«, »abgesetzten Stellrechnern« und sonstigen vernetzten Rechnern auf unterschiedlichen Ebenen. Im Prinzip kann man von überall her Streckennetze steuern, und da vieles automatisch läuft, kann vielleicht sogar eine Person statt früher nur einen Bahnhof oder eine Blockstelle gleich ein riesiges Teilnetz steuern.
Denkt man diese Überlegungen zu Ende, landet man dabei, die Steuerung aller Strecken an einem Punkt zusammenzuziehen. Keine Tausende von Fahrdienstleitern mehr überall im Lande verteilt, sondern nur noch ein paar Dutzend, die in zentral in einem schwer bewachten, halbdunklen Gebäude vor Bildschirmwänden sitzen.
Alle Bahnstrecken und -knoten überhaupt von einem Punkt aus zu steuern, kann natürlich schon deswegen nicht funktionieren, weil es viele verschiedene Betreiber gibt, aber der Löwenanteil des Vollbahnnetzes gehört der DB Netz AG, und die hat tatsächlich ein solches Zentralisierungskonzept beschlossen. Dabei gibt es jedoch immer noch sieben Zentralen und nicht nur eine. Die Standorte sind Berlin, Duisburg, Frankfurt am Main, Hannover, Karlsruhe, Leipzig und München. Natürlich ist der Aufbauprozess noch nicht abgeschlossen, weil es immer noch viele Strecken gibt, die mit alter Technik, die nicht zentral ferngesteuert werden kann, arbeiten. Aber der Wille ist da, und all die vielen Umrüstungen von Strecken und Bahnhöfen auf elektronische Stellwerkstechnik in den letzten Jahren sind einher gegangen mit dem Anschluss dieser Abschnitte an die Betriebszentralen (so nennt sie die DB).

Nun ist in diesen Zentralen aber nicht nur der Betrieb zu Hause, sondern auch der Verkehr (zur Abgrenzung siehe Prellblog 123). Nicht nur Weichen und Signale werden aus den Betriebszentralen gestellt, sondern dort wird auch disponiert: Es wird entschieden, wann Züge außerplanmäßig enden oder sich überholen oder welche Anschlusszüge warten und welche nicht. Während die verkehrlichen Aufgaben der Betriebszentrale relativ unbedenklich sind, bergen die betrieblichen Diskriminierungspotenzial: Prinzipiell soll zwischen dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen DB Netz und den verschiedenen DB-Eisenbahnverkehrsunternehmen eine »chinesische Mauer« sein, die sichert, dass das Netz die DB-Nutzer nicht besser behandelt als andere Nutzer. Aber wie will man das sicherstellen, wenn Netz und Nutzer im selben Gebäude an Nachbartischen sitzen?
Auch Eisenbahnbundesamt und Bundesnetzagentur sehen das skeptisch, und haben daher am 26. Februar die DB Netz AG verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten Arbeitsplätze für Disponentinnen DB-fremder Eisenbahnverkehrsunternehmen in ihren Betriebszentralen zu schaffen. Darüber hinaus sollen offene Internet-Schnittstellen für Betriebsinformationen gewährleisten, dass interessierte Eisenbahnen nachvollziehen können, was in den Zentralen eigentlich passiert.

Dies stellt zweifellos einen Meilenstein auf dem Wege zu einer weiteren Neutralisierung der DB Netz AG dar, und liegt auch im Interesse von Fahrgästen im ganzen Land: Je mehr Verkehre von Nicht-DB-Bahnen gefahren werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine DB-zentrierte Disposition wie die bisherige das Gesamtergebnis an Fahrgastpünktlichkeit eher verschlechtert als bessert.
Eine nächste Konsequenz müsste es meines Erachtens sein, dass auch DB-fremden Infrastrukturbetreibern in irgend einer Weise Zugang zu den Betriebszentralen gewährt wird, die Zentralen mithin neutrale Dienstleistungszentren werden, wo man die kostengünstige stellwerkstechnische Abwicklung des Betriebs auf einem Netz genauso einkaufen kann wie die faire Disposition der Verkehre.

Bild: »Signalhead« bei Wikimedia Commons (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

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