Montag, 15. Februar 2010

122: Einer geht (noch)

Alkohol in der Eisenbahn ist eine Landplage. Das wissen wir alle. Bereits die nur einige Phon zu laut redenden und ansonsten völlig unauffälligen Neunzehnjährigen sorgen für Erleichterung, wenn sie aussteigen und mehrere leere 0,33er-Fläschchen »Beck's Green Lemon« im Netz an den Sitzlehnen vor ihnen zurücklassen. Der peinlich kostümierte, Asti Cinzano aus Plastikbechern konsumierende Junggesellinnenabschied ist kaum noch zu tolerieren. Die zwanzigköpfige Delegation eines Kegelclubs sorgt bereits für steigende Anteile Angst und Schrecken, spätestens, wenn die Gruppe nicht geschlossen sitzen kann und der Kontakt zwischen den versprengten Abteilungen durch lauthalses Johlen und Hin- und Herwerfen von Fläschchen mit »Kleiner Feigling« aufrechterhalten wird. Bei betrunkenen Fußballfans in Kompaniestärke traut sich ohnehin kein »normaler« Fahrgast mehr, irgendwie sichtbar zu werden, und hofft zwischen Böhse-Onkelz-Beschallung aus dem Ghettoblaster, gewaltbereiten Säuferdialogen und Kümmerling-Wetttrinken darauf, dass entweder der Zielbahnhof erreicht oder die Polizei aktiv werde. So weit, so gut.
Andererseits leben wir in Mitteleuropa nun auch in etwas, was man einmal »durchalkoholisierte Gesellschaft« genannt hat; die erdrückende Mehrheit von uns trinkt regelmäßig zumindest kleinere Mengen Alkohol, hat in einem für die Gepflogenheiten anderer Weltteile unerhört jungen Alter einen einigermaßen verantwortungsvollen Umgang damit erlernt und fährt zuweilen auch und gerade deswegen Eisenbahn, um in Ruhe ein Feierabendpils oder ein Glas Wein im Speisewagen zu trinken, oder um An- und Abfahrt zu zivilisierten, aber dennoch mit Alkoholkonsum einhergehenden Veranstaltungen ohne Verkehrsgefährdung zu bewältigen.

Kein Wunder, dass die Diskussion darüber, ob es erlaubt sein soll, alkoholisiert Bahn zu fahren beziehungsweise in Zügen selbst Alkohol zu konsumieren, hohe Wellen schlägt. Die Nulltoleranzstrategie, die beispielsweise Greyhound, der amerikanische Quasimonopolist im Fernbusverkehr, an den Tag legt (kein Alkohol, keine Drogen, keine Waffen, kein Fluchen, kein Unfug), wäre hierzulande schwer umzusetzen, möchte man meinen. Nicht anders verhält es sich mit der Politk des amerikanischen Monopolisten im Eisenbahnfernverkehr: bei Amtrak ist es zumindest auf dem Papier verboten, eigenen Alkohol an Bord zu konsumieren; man ist auf das teure und beschränkte Angebot im Barwagen angewiesen.
»Moderate« Verhaltensregeln sind nicht einfacher umzusetzen. Nicht nur, dass man schlecht kontrollieren kann, wie alkoholisiert Fahrgäste sein dürfen, da der Blutalkoholpegel weniger eine Rolle spielt als das potenzielle störende Verhalten; es bringt auch nichts, irgendwelche Beschränkungen auf mitgebrachte Getränke zu legen, denn wie jeder weiß, der einmal irgend ein größeres Rockfestival besucht hat, fühlen sich Spirituosen und lauwarme Mixgetränke in der Anonymität undurchsichtiger Getränkekartons durchaus wohl. Jedes Mitbringen von Flüssigkeiten zu verbieten kann sich vielleicht die Stadt New York bei ihren staubtrockenen Silvesterfeierlichkeiten auf dem Times Square erlauben, aber sonst auch niemand.

Insofern war es einerseits eine Überraschung, dass überhaupt ein deutscher Eisenbahnbetreiber Regeln für Alkoholgenuss an Bord einführte und auch noch gedachte, diese umzusetzen; dass diese Regeln dann aber die Gestalt einer Nulltoleranzstrategie annahmen, war keine Überraschung mehr. In den bekanntlich bemerkenswert gepflegten Zügen des allseits als vorbildlich anerkannten niedersächsischen Regionalexpress-Betreibers Metronom darf gar nicht mehr getrunken werden. Die Nutzung in alkoholisiertem Zustand ist wohlgemerkt immer noch erlaubt.
Metronom hat es nicht dabei bewenden lassen, sondern offensiv versucht, eine Generaldebatte über Alkohol im ÖPNV und in der sonstigen Öffentlichkeit anzustoßen. Da es meines Wissens trotz aller Medienaufmerksamkeit für das Thema keine Belege dafür gibt, dass heutzutage signifikant mehr öffentlich getrunken wird als früher, aber es dennoch unbestreitbar bleibt, dass alkoholbedingte Belästigungen, Vandalismus und Türstörungen im Bahnverkehr ein größeres Thema sind als früher, zeigt dies vor allem eines: Eisenbahn fahren rückt wieder mehr in die Mitte der Gesellschaft - eben auch der durchalkoholisierten.

Bild: Clare Wilkinson (»Between a Rock«) bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

12 Kommentare:

Alki hat gesagt…

Ehrlich gesagt verstehe ich die Diskussion nicht. Es soll doch jeder so viel trinken, wie er selbst für richtig hält, im Zug oder zuvor. Solange er sich zu benehmen weiß, interessiert mich sein Blutalkoholpegel ungefähr so brennend wie die Farbe seiner Unterhose.

Wenn sich jemand nicht zu benehmen weiß, würde ich es aber doch gerne sehen, wenn das Bahnpersonal eingreifen würde - entweder, falls Deeskalation noch möglich erscheint, eben direkt, oder, falls nicht, durch Hinzuziehen der Bundespolizei(?) am nächsten Halt.

Interessante Frage: Zumindest der Prüfdienst im VVS ist wohl mit Pfefferspray ausgerüstet, habe ich mir sagen lassen - wie ist das denn bei DB Fernverkehr?

mawa hat gesagt…

DB Fernverkehr setzt meines Wissens keine Prüfdienste ein, sondern begleitet alle Züge mit eigenem Personal. "Bewaffnet" sind bei der DB nur manche Leute der eigenen Sicherheitsgesellschaft BSG, die Prüfdienste z.B. bei der S-Bahn Rhein-Main erledigen.

Anonym hat gesagt…

Man sollte das auch nicht überbewerten. Fußballfans bringen doch wenigstens mal Stimmung in die Bahn, wo doch sonst immer nur rumgeschwiegen wird...

Ganz im Ernst: Das dauert meistens nicht lange, da es nur Regionalzüge sind. Da sollte man sowas auch tolerieren können, Verbote sind da viel zu krass und würden die Attraktivität der Bahn auch stark schmälern.

Wir wollen doch Zug fahren und nicht Flugzeug, wo man weder trinken noch sonst kaum was eigenständig machen kann. Die Restaurants und Bistros der DB stellen ja zudem sowohl weder qualitativ noch preislich eine nennenswerte Möglichkeit dar.

Wenn es allerdings zu Drohungen, Nötigungen usw. kommt, liegen Straftatbestände vor, die dann geahndet werden können.

Ein Alkohol-Verbot hat damit aber nichts zu tun, das ist nur Überregelierung und Einschränkung.

Also ich will keine nivellierte, repressive Konformismus-Politik wie in den USA, wo es übrigens trotz dieser Hardliner-Kultur die prozentual die meisten Gefangenen in der Gesellschaft gibt.

mawa hat gesagt…

Die Gefährdung und Störung, die durch gewisse alkoholisierte Personen angeht, braucht gar nicht lange anzudauern, um unangenehm zu sein. Zehn Minuten zwischen gewaltbereit herumbrüllenden Fußballfans sind zehn Minuten zuviel. Dass Alkoholverbote welcher Art auch immer hier nicht direkt Abhilfe schaffen können, ist allerdings klar, auch Metronom geht es bei ihrem Alkoholverbot ja unter anderem darum, die Fans mehr in Sonderzüge zu verlagern. Das kann man sicher auch auf anderem Wege erreichen.
Deine Aussagen zum Luftverkehr, zur DB-Bordgastronomie und zur amerikanischen Gesellschaft halte ich alle drei für falsch.

mawa hat gesagt…

Ich präzisiere: Die Teilaussage, die den USA eine "nivellierte, repressive Konformismus-Politik" und "Hardliner-Kultur" unterstellt, halte ich für falsch, Vergleichsstatistiken zur Anzahl der Strafgefangenen kenne ich nicht.

bladewing678 hat gesagt…

Zum Thema nur Regionalverkehr, ich habe schon im ICE nach München die eine oder andere Stockdrunkene Fandelegation erlebt, teilweise schön auf alle 2.Klasse Wagen des Zuges verteilt, so dass an Arbeiten nicht zu denken war (ich sitz nicht im Ruhebereich um mich mit Schalalalala beschallen zu lassen, vom Biergestank zu schweigen), die einzige Lösung war es sich ein Upgrade in die Erste zu holen und zu beobachten wie bei meinem Ausstieg in Nürnberg ca. 20 Bundespolizeiler eingestiegen sind um für Ruhe zu sorgen.
Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass wegen ein paar Deppen die restlichen Reisenden daran gehindert werden produktiv zu werden bzw. sich zu entspannen oder zu einer (ziemlich teuren) Flucht in die 1. Klasse genötigt werden.

Christoph Moder hat gesagt…

Alkoholkonsum verschärft das Problem, ist aber nicht die Ursache; diese ist, dass Menschen sich nicht benehmen können. Durch Verbote kann man das Problem vielleicht lindern, aber nicht beheben, und schränkt damit die Mehrheit der Reisenden, die rücksichtsvoll sind, unnötig ein.

Kürzlich hatte ich so ein Erlebnis: Ich saß früh morgens im Zug, und wollte noch etwas dösen - aber in der Sitzgruppe nebenan war eine Gruppe Italiener, sehr laut und fröhlich. Die haben nix getrunken, waren aber trotzdem sehr anstrengend zu ertragen. Andererseits ist es ja gerade das Schöne an der Bahn, dass man als Gruppe verreisen und Spaß haben kann, ohne wie Sardinen in der Büchse an Sitze gegurtet zu sein.

Mich erinnert diese Diskussion an das Auftauchen der privaten Security-Dienste bei der Bahn: Zu Bundesbahn-Zeiten erschien einem die Bahn vollkommen desinteressiert an allem, die reinste Service-Wüste; dann kamen diese Sheriffs, und machten Probleme, wo es keine gab - statt den Fahrgästen das Gefühl zu geben, man möchte ihnen das Reisen angenehm machen, machten diese Korinthenkacker es einem eher schwer.

Kurz gesagt: Gesunder Menschenverstand ist durch nichts zu ersetzen. Wie überall.

mawa hat gesagt…

Letztlich ist ja die Ursache aller Schwierigkeiten, die keine Emergenzphänomene sind und nicht durch spontane Naturereignisse ausgelöst werden, dass sich Menschen nicht korrekt oder nicht überlegt genug verhalten haben. Mit der Forderung nach besserem Benehmen und mehr gesundem Menschenverstand kann man im Prinzip jeden Vorschlag zur Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens zurückweisen, ich halte das daher für eine Nullforderung, solange kein weiteres Argument dazukommt.
Ich sage aber gleich, dass mir kein solches einfällt: Ich bin mir nicht sicher, ob man Nutzen (Gefahrenabwehr, geminderte Belästigung, Arbeitsersparnis) und Schaden (Freiheitsbeschränkung, Glücksminderung) eines Alkoholverbots in Zügen wirklich quantifizieren und verrechnen kann und darf, und aus dem Stand fällt mir auch nicht ein, ob man aus dem kategorischen Imperativ für oder gegen ein Alkoholverbot argumentieren kann. Das klingt also alles nach einem Fall für eine politische Entscheidung, wie beim Rauchverbot auch, und ich vermute, dass wir diese Debatte bald haben werden, spätestens, wenn Metronom Nachahmer finden.

Anonym hat gesagt…

http://deutsche.wordpress.com/2007/12/14/usa-weiterhin-das-land-mit-den-meisten-strafgefangenen-spitzenreiter-usa/

Diese Quelle belegt meine Aussage bezüglich der Strafgefangenen. Diese hohen Zahlen rühren auch daher, dass man teilweise in manchen Bundesstaaten schon bei drei Vergehen egal welcher Schwere in den Knast wandert, auch von der tollen Idee, Gefängnisse zu privatisieren und damit kommerzielle Interessen zu verbinden.

Fußballfans sind also immer "gewaltbereit" - wie begründen sie dieses Vorurteil? Aus irgendwelchen plakativen Fernsehberichten oder dem Wehklagen der Polizeigewerkschaft?

Von gewissen, vornehmlich ostdeutschen Problemvereinen mal abgesehen, ist der Großteil der Fußballfans absolut nicht gewaltbereit. Und wenn sie es wären, wenn sie Hooligans meinen, die fahren sicherlich nicht mit dem ICE zum SPiel sondern treffen sich irgendwo im Wald und prügeln sich, auf jeden Fall nicht im Zug.

Vielleicht sollten die Kommentierer hier mal selber ein Fußballspiel besuchen, schön Stehkurve unter den Fans. Dann würden sie bemerken, dass diese Leute fast immer friedlich feiern und gröhlen.

Die meisten hier sind sowas anscheinend nicht gewohnt, mal friedlich aus dem Alltag auszubrechen und sich mal etwas unkonventionell zu verhalten, anders lässt sich diese vorurteilbehaftete Pauschalverurteilung nicht erklären.

Ich war schon oft mit Fans in Zügen und natürlich wird da auch mal was gegröhlt, aber da werden nie andere Gäste angemacht. Wer ein Problem damit hat sollte sich mal überlegen, ob er wirklich in einer Welt leben will, wo jede kleinste Abweichung von der Norm direkt repressiv geahndet wird.

Ich kann schon verstehen, dass sie hier keinen Bock haben, im Zug angemacht zu werden, aber hier dieses Vorurteil "alle Fußballfans sind scheiße und ihr müsst immer schweigen" zu bedienen und dann auch noch ein generelles Alkoholverbot zu fordern, dass geht zu weit.

mawa hat gesagt…

Ich habe nirgendwo behauptet, Fußballfans seien grundsätzlich gewaltbereit, ich habe auch nirgendwo ein "generelles Alkoholverbot" gefordert, ich halte es für unhöflich, im Netz ungebeten gesiezt zu werden und verbitte mir auch jedwede Unterstellungen mein Privatleben betreffend.
Ansonsten halte ich Herumgrölen in Zügen nicht für ein Verhalten, das zu tolerieren ist, auch nicht als friedlicher Ausbruch aus dem Alltag. Das Wort "gewaltbereit" habe ich bewusst als Adverb verwendet, um damit das Bedrohungspotenzial im Tonfall, in dem sich bestimmte Leute unterhalten, deutlich zu machen. Was hilft es mir, zu wissen, dass die allermeisten Fußballfans friedlich sind, wenn die zwei, die links und rechts von mir sitzen, sich über mich hinweg in einem Ton unterhalten, der mich fürchten lässt, dass sie gleich tätlich werden?

Anonym hat gesagt…

Naja, absolute Sicherheit kann es nicht geben. Ein gewisses Risiko macht das Leben doch aus?

Unter diesen Gesichtspunkten laufen alle Menschen jede Sekunde Gefahr, tätlich angegriffen zu werden, egal wo. Wen das stört und unabhängig davon ob er kein Vertrauen in die Sicherheitskräfte hat, sollte sich in die Lage bringen, sich selbst verteidigen zu können, sei es verbal oder physisch, dass es dann der einzige Schluss den man ziehen kann.

Denn in öffentlichen Verkehrsmitteln muss man immer damit rechnen, angegriffen werden zu können.

mawa hat gesagt…

Inwiefern erhöht dieses Risiko denn meine Lebensqualität? Welche Gründe gibt es, zu tolerieren, dass sich Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln aggressiv, raumgreifend und einschüchternd gerieren? Das betrifft ja längst nicht nur Fußballfans.