Montag, 25. Januar 2010

121: Radlos glücklich

An modernen elektrischen Schienenfahrzeugen bewegt sich nicht viel. Wenn so ein achtzig Tonnen schweres Ungetüm an- oder vorbeifährt, hört man nur das Rauschen der Ventilatoren, die die Fahrmotoren kühlen, aber außen tut sich nichts. Das macht für mich die Faszination dieser Glattblechkisten aus: Die Energie kommt elegant und ohne großes Getue aus dem Draht an die Räder. Zwischendrin ein Trafo und etwas Leistungselektronik und ein paar Motoren.
Ein bisschen unschön ist nur das, was zwischen Motoren und Radsätzen steht.

Da das Drehmoment der heute im Allgemeinen verwendeten Drehstrom-Asynchronmotoren nicht ausreicht, um ohne Untersetzung die Räder anzutreiben, benötigt man ein Zahnradgetriebe zwischen Motorwelle und Achswelle. Unter anderem deswegen ist es notwendig, den Antriebsstrang in gewissem Maße flexibel zu machen, denn ein starr im Fahrwerksrahmen montierter Motor kann schlecht präzise eine Welle antreiben, die auf dem nie ganz ebenen Gleis auf und ab holpert. Bei einfachen Konstruktionen »reitet« dazu der Motor auf der Welle (so genannter Tatzlager-Antrieb wegen der Tatzen, die sich auf die Welle stützen), bei komplizierteren wirkt das Getriebe auf eine Hohlwelle um die eigentliche Achswelle herum, die über Gummifedern an den Radsätzen angreift. In Technikmuseen findet man noch verwegenere Bauarten.
Die Getriebe müssen geschmiert werden, die Federn können brechen - alles Abschaffungskandidaten also, rein im Sinne der technischen Eleganz gesehen.

Und man ist tatsächlich dabei. Unter dem Namen »Syntegra« baut Siemens ein Triebdrehgestell, das die relativ dünnen, rohrförmigen Motorwicklungen unmittelbar auf der Radsatzwelle aufsetzt. Motorlager und Radsatzlager sind dasselbe, die ganze Geschichte ist staubdicht gekapselt und wird in einen relativ einfach gebauten Drehgestellrahmen paarweise einhängt. Keine Zahnräder mehr, keine Ölbäder mehr, keine Gummifedern mehr.
Machbar ist das unter anderem, weil die Rotorpole dieser Motoren als Dauermagneten in speziellen High-Tech-Materialien statt als Elektromagneten ausgeführt sind. Das Ganze nennt sich »Permasyn«-Motor, für permanentmagneterregte Synchronmaschine, und ist meines Wissens ein Technologietransfer aus dem U-Boot-Bau. Durch eine besonders gefinkelte Auswertung der Motorspannung lässt sich bei diesen Motoren auch die Winkelstellung der Achswelle messen, ohne eigene Sensoren vorsehen zu müssen, womit Schleuderschutz (quasi ASR) und Gleitschutz (quasi ABS) rein softwaremäßig implementiert werden können.

Besonders leicht und energieeffizient soll dieser Antrieb auch noch sein, und durch das hohe erreichbare Drehmoment wird eine konventionelle Reibungsbremse nur noch als Feststell- und Sicherheitsbremse benötigt. Implementiert wird diese übrigens als elektronisch gesteuerte Keilbremse, eine Technik, die bald auch im Automobilbau Einzug halten soll; hierbei werden keine Bremsbeläge mehr mit großer Kraft quer angepresst, sondern durch seitliches Verschieben von wellenförmigen Elementen gegeneinander wird eine selbstverstärkende Klemmung erzeugt, die durch elektronische Regelung genau beherrschbar ist.
Viel Neues also. Das Syntegra-Fahrwerk wird derzeit in einem Münchner U-Bahn-Zug getestet und scheint auch den Metro-Markt als erste Zielgruppe anzupeilen. Sofern nicht der Teufel in irgend einem Detail stecken sollte, ist damit zu rechnen, dass sich diese Technik ziemlich schnell durchsetzt, und zwar nicht nur bei Siemens.

Bild: »pheanix300« bei Flickr (Details und Lizenz)

4 Kommentare:

Jo hat gesagt…

Klingt interessant, bleibt jedoch die Frage, wie sich die dann wohl recht hohe ungefederte Masse auf den Verschleiß von Fahrzeug und gleiskörper auswirkt...

mawa hat gesagt…

Das ist in der Tat ganz spannend. Eine Siemens-Präsentation zu Syntegra enthält ein Vergleichsbild, das zu implizieren scheint, dass man mit Syntegra generell kleinere Raddurchmesser anstrebt als im konventionellen Vergleichsfall. Die geringere Masse der Radscheiben würde dann die durch die Motoren hinzukommende ungefederte Masse zumindest teilweise ausgleichen.

Mr. Captcha hat gesagt…

erst mal was grundsätzliches:

Das Drehmoment bildet sich aus dem Produkt aus dem Magnetfeld und dem dazu senkrecht fließenden momentbildenden Strom (Kreuzprodukt). Nun ist die Höhe der magnetischen Flussdichte durch die Sättigung im Eisen begrenzt. Für ein hohes Drehmoment benötigt man also einen großen Strom, der wieder viel Stromwärmeverluste erzeugt. (Es sei denn, man hat Supraleitung) Außerdem ist das Produkt aus Drehzahl und Drehmoment die mechanische Leistung. Ein Motor für hohes Drehmoment und kleine Drehzahl ist ein Torque-Motor, gibts also schon, z.B. für Druckmaschinen.

So ist z.B. der Motor der Variobahn ein Asynchron-Außenläufermotor der den Radreifen gleich um sein Gehäuse trägt. Mangels Federung ist das aber ganz schön holprig, bringt aber gute Niederflur. Permanenterregte Synchronmotoren gibt es bei den Stellantrieben ja auch schon ne ganze Weile, besonders da sie im Stillstand ohne extra Geber ein Haltemoment aufbringen können.

In einer der von mir besuchten Vorlesung wurde auch schon vor ein paar Jahren von so einem Direktmotor für die Radsatzwelle berichtet, vielleicht finde ich ja noch was.

Mr. Captcha hat gesagt…

Bitte mal bei meinem Kommentar ersetzen: Das Drehmoment ist proportional zum Produkt...

Natürlich spielt auch noch die Anzahl der Windungen auf der Wicklung eine Rolle. Allerdings ist für zu viele Windungen meist kein Platz, auch wenn diese dann dünner ausfallen können, da dann weniger Strom gebraucht wird.