118: Hübsch gemacht
Bei einer meiner letzten Fahrten auf der Nahestrecke sah ich bei einem Korrespondenzhalt auf dem Nachbargleis einen Zugführer und seinen Lokführer miteinander ein Raucherpäuschen an der Spitze ihres Triebzugs machen. Beide trugen Dienstbekleidung der Deutschen Bahn AG und doch hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Der Lokführer trug Jacke und Jeans wie einen x-beliebigen Blaumann und wirkte auch sonst eher unauffällig; der Zugführer hatte dafür unter dem Uniformjackett mit den drei roten Ärmelstreifen nicht nur Hemd und Krawatte, sondern eine Weste mit Taschenuhr an der Kette, dazu sorgfältig mit Gel gescheitelte Haare, und machte bis zu den Zehenspitzen den Eindruck, als sei ihm sein Aussehen äußerst wichtig.
Die beiden Männer kann man geradezu als Sinnbild dafür nehmen, dass in der Brust der Eisenbahn (wie immer ist damit nicht nur die DB gemeint!), was Äußerlichkeiten angeht, zwei Herzen schlagen.
Zum einen ist Bahn eine Domäne der Vernachlässigung der Form gegenüber der Funktion: Da sind völlig schmucklose Oberleitungsmasten, grobschlächtige Gehäuse für Geräte aller Art, genormte Funktionsgebäude aus Betonfertigteilen, zerbeulte Güterwagen, die klotzige Technik auf den Dächern moderner Elektrofahrzeuge, nackte Tunnelwände und grob von den Böschungen der Einschnitte heruntergesägtes Gehölz. »Eisenbahn ist das Gegenteil von Design«, habe ich einmal geschrieben.
Zum anderen wird dann, teils von den beteiligten Institutionen, teils von beteiligten oder außenstehenden Individuen, auf Kleinigkeiten in einem Maße geachtet, das nicht immer selbstverständlich ist. Dazu gehört, wie beschrieben, die Sorgfalt, mit der das Personal häufig sein Äußeres gestaltet, und der beispielsweise bei der Deutschen Bahn eine alles andere als gewöhnliche Toleranz für »alternative« Erscheinungsbilder entgegenkommt. (Es ist andernorts schon mehrfach angemerkt worden, dass die Piercingdichte beim DB-Zugbegleitpersonal weit höher ist als in vielen Dienstleistungsberufen akzeptiert. Für Frisuren gilt Ähnliches.) Das ist aber längst nicht alles. Auf die Gestaltung von Fahrzeugköpfen wird seitens der Industrie natürlich Wert gelegt, die Betreiber lackieren die Fahrzeuge dann in häufig recht kühnen Farbschemen. Was das sonstige Ausfeilen von Designs angeht, ist die DB mit ihren Michele-de-Lucci-Fahrkartenschaltern, den gmp-Bahnsteigdächern und der Schwartz-Spiekermann-Hausschrift natürlich Spitzenreiterin, aber der Aufwand, den zum Beispiel private Nahverkehrsbetreiber beziehungsweise Aufgabenträger in Logos und Außengestaltung ihrer Züge investieren, ist auch nicht zu verachten.
Dieses eigentümliche Gegenüberstehen von Vernachlässigung und Pflege der Optik hat in der Gesellschaft kaum ein Pendant, weil bei keinem anderen Großsystem die technischen Innereien derart auf Zehntausenden von Kilometern offen liegen, die Betreiber aber gleichzeitig flächendeckend in Kontakt mit der Bevölkerung stehen und den Anspruch auf einheitliches Erscheinen vertreten. Es bietet auch ein gewaltiges Einfallstor für Kritik, weil sich auf der einen Seite immer irgendwo eine Nachlässigkeit zum Bemäkeln findet (die hässlichen Klimaanlagen auf dem hübschen Zug! keine Rundpuffer mit sorgsam aufgemalten weißen Ringen mehr!), auf der anderen Seite aber auch überall der Gestaltungswille Anstoß erregen kann (die Bahnhöfe aus Glas und Stahl! die Sitzbezüge...!).
Da das deutsche Schienenverkehrssystem auf die Dauer weder bis ins letzte Detail die Poliertheit eines asiatischen Großflughafens bekommen noch auf der anderen Seite in knuffige Butzenscheiben-Idylle zurückfallen wird, wird man mit dem Widerspruch ebenso leben müssen wie mit der Kritik.
Rein persönlich bin ich jedoch als Liebhaber einer etwas kühlen Ästhetik ganz zufrieden damit, dass man beispielsweise Tunnelportale oder Böschungsmauern bei Neubauten im Eisenbahnbereich selten als Orgien aus altfränkischer Buntsandsteinrustika, sondern meistens aus schlichtem hellem Beton ausführt. Da sieht man im Straßenbau bekanntlich jeden Tag anderes.
Bild: Nicolas Claude bei Flickr (Details und Lizenz)
Die beiden Männer kann man geradezu als Sinnbild dafür nehmen, dass in der Brust der Eisenbahn (wie immer ist damit nicht nur die DB gemeint!), was Äußerlichkeiten angeht, zwei Herzen schlagen.
Zum einen ist Bahn eine Domäne der Vernachlässigung der Form gegenüber der Funktion: Da sind völlig schmucklose Oberleitungsmasten, grobschlächtige Gehäuse für Geräte aller Art, genormte Funktionsgebäude aus Betonfertigteilen, zerbeulte Güterwagen, die klotzige Technik auf den Dächern moderner Elektrofahrzeuge, nackte Tunnelwände und grob von den Böschungen der Einschnitte heruntergesägtes Gehölz. »Eisenbahn ist das Gegenteil von Design«, habe ich einmal geschrieben.
Zum anderen wird dann, teils von den beteiligten Institutionen, teils von beteiligten oder außenstehenden Individuen, auf Kleinigkeiten in einem Maße geachtet, das nicht immer selbstverständlich ist. Dazu gehört, wie beschrieben, die Sorgfalt, mit der das Personal häufig sein Äußeres gestaltet, und der beispielsweise bei der Deutschen Bahn eine alles andere als gewöhnliche Toleranz für »alternative« Erscheinungsbilder entgegenkommt. (Es ist andernorts schon mehrfach angemerkt worden, dass die Piercingdichte beim DB-Zugbegleitpersonal weit höher ist als in vielen Dienstleistungsberufen akzeptiert. Für Frisuren gilt Ähnliches.) Das ist aber längst nicht alles. Auf die Gestaltung von Fahrzeugköpfen wird seitens der Industrie natürlich Wert gelegt, die Betreiber lackieren die Fahrzeuge dann in häufig recht kühnen Farbschemen. Was das sonstige Ausfeilen von Designs angeht, ist die DB mit ihren Michele-de-Lucci-Fahrkartenschaltern, den gmp-Bahnsteigdächern und der Schwartz-Spiekermann-Hausschrift natürlich Spitzenreiterin, aber der Aufwand, den zum Beispiel private Nahverkehrsbetreiber beziehungsweise Aufgabenträger in Logos und Außengestaltung ihrer Züge investieren, ist auch nicht zu verachten.
Dieses eigentümliche Gegenüberstehen von Vernachlässigung und Pflege der Optik hat in der Gesellschaft kaum ein Pendant, weil bei keinem anderen Großsystem die technischen Innereien derart auf Zehntausenden von Kilometern offen liegen, die Betreiber aber gleichzeitig flächendeckend in Kontakt mit der Bevölkerung stehen und den Anspruch auf einheitliches Erscheinen vertreten. Es bietet auch ein gewaltiges Einfallstor für Kritik, weil sich auf der einen Seite immer irgendwo eine Nachlässigkeit zum Bemäkeln findet (die hässlichen Klimaanlagen auf dem hübschen Zug! keine Rundpuffer mit sorgsam aufgemalten weißen Ringen mehr!), auf der anderen Seite aber auch überall der Gestaltungswille Anstoß erregen kann (die Bahnhöfe aus Glas und Stahl! die Sitzbezüge...!).
Da das deutsche Schienenverkehrssystem auf die Dauer weder bis ins letzte Detail die Poliertheit eines asiatischen Großflughafens bekommen noch auf der anderen Seite in knuffige Butzenscheiben-Idylle zurückfallen wird, wird man mit dem Widerspruch ebenso leben müssen wie mit der Kritik.
Rein persönlich bin ich jedoch als Liebhaber einer etwas kühlen Ästhetik ganz zufrieden damit, dass man beispielsweise Tunnelportale oder Böschungsmauern bei Neubauten im Eisenbahnbereich selten als Orgien aus altfränkischer Buntsandsteinrustika, sondern meistens aus schlichtem hellem Beton ausführt. Da sieht man im Straßenbau bekanntlich jeden Tag anderes.
Bild: Nicolas Claude bei Flickr (Details und Lizenz)
1 Kommentar:
Das mit den Piercings und außergewöhnlichen Frisuren ist mir bei der DB auch schon aufgefallen.
Gibt es dafür eigentlich eine Erklärung, hat das irgendwie Tradition? Ist das bei anderen EVU auch so?
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