Dienstag, 29. Dezember 2009

117: Gummibahn

Busfahren mögen die meisten Leute weniger als Bahnfahren. Da kann man sich relativ sicher sein. Woran das genau liegt, ist nicht ganz geklärt - vermutlich ist das üblicherweise etwas bessere Raumangebot, die meist ruhigere Fahrt und das häufigere Vorhandensein von Toiletten ebenso beteiligt wie das meist niedrigere Fahrgeräusch im Innenraum -, aber es ist so. Ceteris paribus werden ein Bahnangebot auf einer Strecke mehr Fahrgäste nutzen als ein von Fahrzeiten, Halten und Kapazität identisches Busangebot.


Aber diese Situation gibt es in Deutschland fast nirgendwo. Abgesehen davon, dass es keine Busse mit 920 Sitzplätzen gibt und die Kapazitätsgleichheit somit schwer zu realisieren ist, fahren nur auf ganz wenigen innerdeutschen Strecken überhaupt Busse parallel und mit vergleichbarer Geschwindigkeit zu Bahnen.
Im bestellten Nahverkehr ist das nicht weiter überraschend, da die Aufgabenträger für ihr Geld besseres bekommen können als zwei verschiedene Verkehrsmittel, die dieselbe Strecke fahren. Dort wo dasselbe Ziel sowohl mit Bus- als auch mit Bahnnahverkehr erreichbar ist, fahren die Busse meistens auf dem Weg Orte an, die keine Bahnzugangsstelle haben, und verknüpfen diese auf diese Weise an einigen Knotenpunkten mit der (in der Regel) schnelleren Eisenbahn.
Aber was ist mit dem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr? Warum versuchen außer auf einigen wenigen Strecken (zum Beispiel denen nach Berlin) keine Busunternehmer der Eisenbahn Konkurrenz zu machen?

Weil es verboten ist.
Das Personenbeförderungsgesetz bestimmt, dass die Einrichtung von Bus-, Obus- und Straßenbahnlinienverkehren genehmigungspflichtig ist (ebenso wie übrigens die Einrichtung von Taxibetrieben), und die Genehmigung wird unter anderem dann nicht erteilt, wenn die geplanten Verkehre bereits von bestehenden Verkehrsmitteln (hier ist die Eisenbahn eingeschlossen) befriedigend erledigt werden. Faktisch bedeutet dies einen Bestandsschutz für öffentliche Personenverkehrslinien und ein Verbot, der Eisenbahn Konkurrenz zu machen, solange diese Konkurrenz. Eine weitere Klausel regelt auch, dass sich Nahverkehre, auch wenn sie jemand auf eigenes Risiko betreiben mag, in einen eventuell bestehenden Nahverkehrsplan zu fügen haben. Die Fernbuslinien, die tatsächlich in Konkurrenz zur Bahn stehen, verdanken sich unter anderem den Tagen, als sie noch der Sicherstellung des öffentlichen Transitverkehrs nach West-Berlin dienten, oder aber der Anbindung von Flughäfen ohne Eisenbahnanschluss und Ähnlichem.
Wenn man den Behauptungen unserer neuen schwarz-gelben Koalition glauben schenken darf, ist die Genehmigungspflicht für öffentliche Verkehre aber schon angezählt und es wird bald freie Konkurrenz zwischen Bahnen und Bussen geben. Dieses Ziel hat die FDP zumindest im Koalitionsvertrag verankert, es hat aber auch noch andere Freunde, zum Beispiel den nicht gerade als blaugelb angemalt geltenden Verkehrsclub Deutschland.

Und was passiert, wenn es passiert?
Die einen frohlocken, weil sie einen Preis- und Qualitätskampf zu Gunsten der Fernverkehrskunden erhoffen, oder vielleicht eine Abwertung des ihrerseits gefühlt zu starken Standes des Bahnverkehrs im Staatshaushalt; die anderen befürchten das Eingehen von Bahnrelationen, und wie immer das »Abgehängtwerden ganzer Regionen«. Da noch niemand genau weiß, ob und wann die Liberalisierung denn kommt und was die neuen Fernbusse dann kosten werden (das Kostenniveau der wenigen heute ohne große Binnenkonkurrenz fahrenden Fernbusse wird wohl unterboten werden) und welche Spielräume der faktische Fernverkehrsmonopolist DB zur Preis- und Kostensenkung hat, kann man zum Thema Preiskampf noch nicht viel sagen. Auch die Qualität, mit der die Betreiber gegebenenfalls an den Start gehen werden, ist unklar. Klar ist hauptsächlich, dass die mögliche Gefäßgröße pro Fahrer um eine Größenordnung unter dem liegt, was bei der Bahn erreicht wird, und Linien mit großem Verkehrsaufkommen daher kaum fürchten müssen.
Eventuelle privatwirtschaftliche Fernbusse auf weniger frequentierten Strecken werden aber zwangsläufig, ganz gleich ob sie den DB-Fernverkehr (sofern noch bestehend) schädigen, gegen den bestellten Schienen- und Straßenpersonennahverkehr antreten, und da wird es dann spannend. Einmal haben Fernbusse, wenn man ihnen zum Beispiel nicht einen unrealistisch hohen minimalen Haltestellenabstand vorschreibt, das Potenzial, die Einnahmen von mischkalkulierten Verkehrsnetzen zu schwächen, indem sie lukrative Einzelrelationen mitnehmen. Welcher von Frankfurt am Main abfahrende Fernbus wird keinen Extrahalt am Flughafen einlegen? Zum anderen ist nicht ganz klar, ob die billigen Gruppen- und Einzeltickets (vor allem Ländertickets), die auf der Schiene eine hochsubventionierte Form von relativ fernem Reisen erlauben, von privaten Fernbusbetreibern ausreichend überboten werden können.

Ich persönlich bin weder Wirtschafts- noch Verkehrswissenschaftler, aber meine persönliche Prophezeihung ist die: Wenn der Fernbusverkehr liberalisiert wird und die vermutlich jahrelangen gerichtlichen Nachbeben einer solchen Entscheidung einigermaßen verebbt sind, wird es immer noch Eisenbahnfernverkehr in nahezu unverändertem Umfang geben, die Preisstruktur im öffentlich finanzierten Nahverkehr wird sich deutlich geändert haben - aber komplett geändert haben wird sich der Markt für bezahlte Mitfahrgelegenheiten. Die sind meines Erachtens die einzigen sicheren etwaigen Liberalisierungsopfer.

Bild: »roccocell« bei Flickr (Details und Lizenz)

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Interessant dazu auch: http://www.taz.de/1/zukunft/konsum/artikel/1/oeko-alternative-fernbus

- Das Gesetz stammt noch aus der Nazizeit.
- Der Bus schneidet sehr günstig ab, was die CO2-Emissionen angeht, sogar günstiger als die Bahn

Fraglich beim Bus sind vor allem Pünktlichkeit (Staus) und Sicherheit.

mawa hat gesagt…

Das Gesetz stammt nicht aus der "Nazizeit", sondern von 1931. Was die sonstigen Kommentare angeht, wird meines Wissens umgekehrt ein Schuh draus: Die Umweltbilanz von Fernbussen ist, wenn überhaupt, nur aus Auslastungsgründen besser als die der Bahn, Busse sind derzeit aber das eindeutig sicherere Verkehrsmittel.

Mr. Captcha hat gesagt…

Wenn Busse in die Autobahn-Maut mit einbezogen werden (wer kennt nicht die Straßenschäden an Haltestellen durch die Zwillingsbereifung) dann können die ruhig mit dem Bus Fernverkehr anbieten.

Anonym hat gesagt…

Eigentlich ja eine tolle Sache, ich hoffe nur, dass das nicht letztendlich zu Lasten der allgemeinen Qualität des Reisens geht (wobei die je nach Region im Regionalverkehr kaum schlechter werden kann...).
Im Fernverkehr ist die Bahn jedenfalls in punkto Geschwindigkeit und Komfort nicht zu überbieten.

Andersreisender hat gesagt…

Es gibt ja einige internationale Fernverkehrs-Verbindungen mit Bussen. Eine ist zB. Salzburg - Bukarest, die mehrmals pro Woche bedient wird. Ich sehe gelegentlich am Weg zur Arbeit den gerade abfahrenden Bus.

Ich kann mir aber nicht vorstellen, die Strecke im Autobus sitzend zu fahren. Mit der Bahn ist dies für manchen schon eine anstrengende und lange Reise. Wesentlich bequemer geht es im Schlafwagen.

Aber offensichtlich gibt es Kunden für solche "Harakiri-Bus-Reisen". Vergnügen ist das aber bestimmt keines mehr.