Montag, 12. Oktober 2009

111: Wer fährt, der zahlt

Nach dem Regierungswechsel wird sich in der Verkehrs- und Technikpolitik allgemein sowie in der Bahnpolitik speziell wohl einiges tun in Deutschland. Das Negativszenario ist wohl dieses: An der Struktur des DB-Konzerns, seiner Finanzierungswege und der Eisenbahnaufsicht ändert sich nichts, die Mittel für die Bahn werden rundum drastisch gekürzt, für die Straße gibt es massenweise frisches Geld, überlange Lkw werden deutschlandweit zugelassen, die Lkw-Maut wird nicht erhöht, dafür vollständig in den Straßenbau umgeleitet, es werden weder Tempolimit noch Pkw-Maut eingeführt, und es tut sich auch nichts auf dem Gebiet einer dringend nötigen Neuregelung der Bezuschussung kommunaler Verkehrsbauten.
Wer weiß, ob es so kommt. Möglich ist es sicher.

So oder so ist die FDP in die laufenden Koalitionsverhandlungen wohl mit der Position gegangen, dass sich die einzelnen Verkehrsinfrastrukturen weitergehend selber tragen sollten als derzeit, und das sei auch der Aufhänger für diesen Beitrag. Wie der Straßenverkehr durch den Staatshaushalt herangezogen wird, um Ausbau und Unterhaltung seiner Infrastruktur zu finanzieren, ist allgemein bekannt: Kfz-Steuer, Energiesteuer (die Ex-Mineralölsteuer), Lkw-Maut, auf kommunaler Ebene Parkgebühren und Anwohnerbeiträge. Wie wird nun aber das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das Züge fahren lässt, zu Ausbau und Unterhalt der genutzten Infrastruktur herangezogen? Der Staat kassiert zwar, trotz seit Jahren anhaltender energischer Forderungen, dies zu ändern, Energiesteuer auf Bahndiesel und Stromsteuer auf Bahnstrom und er bezuschusst Ausbau- und Instandsetzungmaßnahmen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (in erster Linie natürlich der Quasimonopolist DB Netz). Das ist aber längst nicht alles. Die Haupteinnahmen erzielen die Infrastrukturbetreiber durch Nutzungsentgelte.
Die Grundeinheit der Netznutzung (und auch der Fahrplankonstruktion) heißt bei der Eisenbahn Trasse. Eine Trasse ist das Recht, zum Zeitpunkt T von A nach B zu fahren. Für Trassen erheben die Infrastrukturunternehmen bei Eisenbahnunternehmen Trassenpreise. Deren Gestaltung ist gar nicht so unkomplex.


DB Netz erhebt zum Beispiel je nach Bedeutung und Maximalgeschwindigkeit der Strecke einen Grundpreis von 1,59 bis 8,09 Euro pro Trassenkilometer. Der niedrigste Preis wird dabei nicht für einfachste Nebenstrecken (die sind sogar relativ teuer), sondern für überwiegend durch S-Bahnen genutzte Strecken vergeben, was auf Grund der DB-Dominanz der deutschen S-Bahn-Netze bereits ein Geschmäckle hat. Der Grundpreis wird bei DB Netz dann je nach Nutzungsart (Personen oder Güter, langsam oder schnell, Einbindung in ein Taktsystem oder nicht) mit einem Faktor zwischen 0,5 und 1,8 multipliziert. Die billigsten, die Güterverkehrs-Zubringer-Trassen, lassen sich allerdings nur zwischen Güterverkehrsstellen und Rangierbahnhöfen der DB bestellen, wenn Anschluss an eine sonstige Güterverkehrstrasse besteht. Auch das riecht danach, dass hier konzernintern bevorteilt werden soll. Insgesamt öffnet sich jedenfalls eine Schere zwischen einem theoretischen Minimalpreis von 0,80 Euro und einem theoretischen Maximalpreis von 14,56 Euro pro Trassenkilometer.
Da hört der Spaß aber noch längst nicht auf. Der Grundpreis kann durch verschiedene Zusatzfaktoren oder pauschale Zusatzentgelte weiter steigen: Faktor 1,2 für besonders stark ausgelastete Strecken; Faktor 1,5 bei einem Zug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h oder weniger; Regionalfaktoren zwischen 1,05 und 1,78 in besonders personalintensiven Nebenstreckennetzen; 92 Cent pro Trassenkilometer Zuschlag für Züge über dreitausend Tonnen. Auf der anderen Seite gibt es Mengenrabatte von bis zu 5 % für die Gesamtlaufzeit eines Rahmenvertrages, zeitlich beschränkte Sonderangebote für wenig ausgelastete Strecken und 10 % Neukundenrabatt! Ein kompliziertes Anreizsystem mit »Minutenkonten« plant irgendwie ein, dass Verspätungen auftreten, aber von verschiedener Seite verschuldet sein können, es gibt Entschädigungen, wenn die Trasse nicht im vereinbarten Zustand befahrbar ist oder eine Umleitung besteht, Angebots- und Stornierungsentgelte.

Das klingt, wenn man sich wegdenkt, dass immer noch ca. 70 % der Trassen DB-konzernintern vermarktet werden und die Tarifstruktur darauf hin optimiert ist (wo nicht rechtlich anderes erzwungen wurde), eigentlich gar nicht so schlecht. Der Haken ist nur, dass selbst die höchsten Trassenpreise alles andere als kostendeckend sind, mithin erhebliche staatliche Instandsetzungs- und Ausbauzuschüsse bereits einkalkuliert sind.
Zum Negativszenario gehört daher noch eine Klausel: Eventuell wird Schwarz-Gelb ganz im Sinne von Wettbewerbsneutralität und Liberalität die DB rechtlich oder durch Kürzungsdruck dazu zwingen, ihre Trassenpreise näher an die Kostendeckungsgrenze zu bringen - ohne dagegen irgend etwas dafür zu tun, dass auch alle Straßenverkehrsteilnehmer entsprechend stärker belastet werden.

Der Idealfall wäre es meiner Meinung nach, wenn sowohl Straßen- als auch Schieneninfrastruktur jeweils vollständig über Mauten bzw. Trassenpreise finanziert würden. Zur Gegenfinanzierung könnte man dann gerne auch die Energiesteuer wieder senken - mich stört es nicht, wenn die Luxemburger in Trier tanken.

Bild: Marcin Wichary bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

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