Es gibt unter technikaffinen Männern (bei Frauen ist mir die Einstellung noch nicht begegnet) etwas, was ein Freund, der wie ich Geisteswissenschaftler mit EDV-Hintergrund ist, das »Informatikerweltbild« nennt (eine zugegeben nicht ganz passende Bezeichnung, da es zwischen Informatik als erlerntem oder ausgeübtem Beruf oder Fach und dem Vorhandensein dieses Weltbilds längst keine zwingende Kausalität gibt; aber irgend einen Namen muss das Kind nun einmal haben). Der aktuelle Diskurs über Datenschutz und Überwachung wird in der »Netzgemeinde«, wie mir scheint, zumindest lautstärkemäßig von Leuten mit dieser in ihren extremen Ausläufern technokratischen und letzten Endes kulturfeindlichen Einstellung dominiert - Leuten, die fest davon überzeugt scheinen, dass alle Juristen und alle Politikerinnen (außer Jörg Tauss und den Piraten natürlich) minderwertige Menschen sind, dass Wolfgang Schäuble der Wiedergänger Mielkes oder gleich Hitlers ist; oder, scheinbar harmloser, dass Science-Fiction-Autoren und »Techies« oder andere Angehörige der Geek-Elite, zu der sie sich selbst rechnen, die einzig relevanten gesellschaftlichen Gruppen sind.
Für mich ist es schwierig, über ein Überwachungsthema zu schreiben, weil ich mit den genannten Leuten auf keinen Fall in einer Schublade landen, aber auch nicht ihren Buhmann abgeben will - immerhin ist das grundlegende Anliegen ja ein völlig gerechtfertigtes. Ich fühle mich aber allmählich dazu verpflichtet (einen Anlass findet die aufmerksame LeserIn ganz unten), das Thema Überwachung im öffentlichen Verkehr hier zumindest ansatzweise anzugehen; ich möchte dabei aber vorsichtig sein und nicht in fünfhundert Wörtern mit dem ganzen Thema abrechnen, also wird hierzu bestimmt noch einiges nachkommen. Eine Reminiszenz an Projekt Eiertanz sozusagen.
Heute soll es um Videoüberwachung gehen. Es wird heutzutage in Bahnen und auf Bahnhöfen überwacht, was das Zeug hält, und es wird jeden Tag mehr, unter anderem, weil Ausschreibungen häufig videoüberwachte Fahrzeuge vorschreiben. Die Kameras sind zumindest in den Fahrzeugen mittlerweile fast ausschließlich sogenannte Dome-Kameras, glänzend schwarze Halbkugeln, die einigermaßen vandalensicher sind und nicht erkennen lassen, in welche Richtung das Objektiv zeigt oder ob überhaupt eines eingebaut ist. Da das erklärte Ziel der Überwachung zumeist die Bekämpfung von Sachbeschädigungen ist, konnte man zumindest bisher davon ausgehen, dass die vorderste Kamera in vielen Fahrzeugen Attrappe ist; manche Verkehrsbetriebe überwachen ganz offen nur die hinteren Fahrzeugteile, andere Betriebe montieren überall Gehäuse bzw. Attrappen und installieren nur auf besonders problematischen Linienläufen wirklich Kameras. Die Kosten für die Überwachungstechnik sinken jedoch, und vermutlich sind die Tage von Kameraattrappen über kurz oder lang gezählt - andererseits: In Wien brüstet man sich mit dem Einbau von bis zu 24 Kameras pro Fahrzeug, die sich angeblich teilweise gegenseitig überwachen, um Vandalismus an der Technik zu verhindern; da fragt man sich, ob wirklich in allen Fahrzeugen alle Gehäuse belegt sind.
Üblicherweise werden die Videodaten im Fahrzeug selber in einer Schleife aufgezeichnet, so dass beispielsweise bloß die Daten der letzten 48 Stunden erhalten bleiben.
Es gibt Verkehrsbetriebe, wo tatsächlich nur diese 24- oder 48-Stunden-Schleifen existieren. (Eventuell kann bei einem beobachteten Vorfall der Fahrer die Löschung eines gewissen Zeitraums um diesen herum durch Knopfdruck verhindern.) Die Aufzeichnungsfestplatte kann teilweise wirklich nur durch physischen Ausbau mit Hilfe zweier verschiedener Schlüssel, die nicht an dieselbe Person ausgegeben werden, ausgewertet werden. Gegen diese Praxis hat, sofern Schilder auf die Überwachung hinweisen, auch der institutionalisierte Datenschutz nichts einzuwenden. Sie findet auch bei der Bahnhofsüberwachung ihren Einsatz.
Andererseits existieren mittlerweile diverse Techniken, mit denen Fahrzeugüberwachungsdaten kontinuierlich oder diskontinuierlich an Zentralstellen weitergereicht werden können, um auch in Fahrzeugen Echtzeitüberwachung zu ermöglichen. Dies liegt auf der Hand für automatische Züge wie in der Nürnberger U-Bahn, ansonsten steht wohl ebenfalls die Einsparung von Begleitpersonal bzw. die Entlastung des Lokführers im Vordergrund, also ähnliche Motivationen wie bei der Bahnhofsüberwachung.
Diese mittlerweile enorm verstärkte Videoüberwachung auf Bahnhöfen ist zumindest im Bereich der DB der Strategie geschuldet, Sauberkeit, Sicherheit und Service in sogenannten »3S-Zentralen« für ganze Regionen zusammenzuziehen. Die Videoübertragung an große, dauernd besetzte Leitstellen mit zahlreichen Bildschirmen ersetzt dabei, zusammen mit Informationsanzeigen und Gegensprechanlagen (die bekannten halb roten, halb blauen Stelen) die persönliche Anwesenheit von Aufsichtspersonal - oder soll es zumindest. Da bei der 3S-Zentrale eventuell auch der direkte Einsatz von Sicherheitspersonal beim Beobachten einer Tat ausgelöst werden kann, ist die Rechtfertigung für eine Echtzeit-Überwachung nach gängiger Ansicht deutscher Datenschutzbeauftragter gegeben. Fragwürdig ist, dass es teilweise kooperierte Sicherheitszentralen von DB-Konzernunternehmen sowie Landes- und Bundespolizei gibt; auch ist nicht immer klar, in welchem Maße aufgezeichnet wird.
Das Spektrum zwischen Vandalismusbekämpfung sowie »Terrorprävention« und Ähnlichem ist dabei natürlich fließend. Als im Mainzer Hauptbahnhof eine Echtzeit-Gesichtererkennung (erfolglos) getestet wurde, ging es sicherlich nicht nur darum, damit irgendwann einmal Sprayer, Scratcher und Polsterschlitzer zu ertappen. Man würde sich eine Übersicht über die Video-Überwachungspraxen und eingesetzten Techniken aller deutschen Verkehrsbetriebe wünschen (in welchem Ausmaß es z.B. Funkstrecken gibt, über die dauernd oder bei bestimmten Halten Videodaten aus Bussen und Bahnen an ortsfeste Relaisstationen weitergereicht werden, und ob diese Übertragungen sicher sind, fände ich interessant); so etwas scheint es aber derzeit nicht zu geben.
- Dass mir im früher vielfach vandalisierten und generell urinstinkenden Aufzug zum Ortenbergsteg am Marburger Hauptbahnhof neulich eine frisch eingebaute Dome-Kamera entgegenblinkte, erfüllt mich nicht unbedingt mit Furcht, insbesondere, da der Aufzug im Vergleich zu früher erstaunlich intakt schien und nach Frühlingsblumen duftete. Aber warum kann es nicht neben der Kamera ein Schild geben, das mir verbindlich mitteilt, was mit der Aufzeichnung passiert? Ich glaube nicht an die große Verschwörung der »Internetausdrucker« gegen »uns da unten«, wie sie im Informatikerweltbild oft vorgesehen scheint. Aber mehr Problembewusstsein seitens der Kamerabetreiber wäre schon nicht schlecht, Gesetzeslage hin oder her.
2 Kommentare:
Die Frage ist, was ein solches Schild nutzt. Derjenige, der davon ausgeht, daß mit den erhobenen Bilddaten angemessen sorgsam umgegangen wird, braucht dafür nicht unbedingt ein Schild - und wer von "Stasi 2.0" faselt, hat nun wirklich keinen, nicht den allergeringsten Grund, zu glauben, daß auf diesem Schild die Wahrheit stünde.
Das lautstark thematisierte Problem im Datenschutzbereich ist ja weniger die gesetzeskonforme und ordnungsgemäße Datenerhebung und -verwendung, sondern vielmehr die Annahme, daß bei jeder Datenerhebung der Missbrauch immanent oder gar vorausgeplant ist. Dagegen helfen aber keine Schilder ...
Da stimme ich dir hundertprozentig zu, ich glaube aber, dass solche Schilder durchaus als vertrauensbildende Maßnahmen wirken können. Wer im breiten Publikum weiß denn zum Beispiel, dass es solche Dinge wie die auf eine 24-Stunden-Schleife begrenzte Videoaufnahme, die nur in begründeten Fällen im Vier-Augen-Prinzip eingesehen werden kann, überhaupt gibt? Wenn man Glück hat, erfährt man so etwas aus der Lokalpresse.
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