Montag, 29. Juni 2009

99: Kompostieren bitte!

Ein Klang, der zur charakteristischen Geräuschkulisse vieler Nahverkehrssysteme gehört, ist das nachdrückliche, oft mit einem Piepsen verbundene »Klong« eines Fahrscheinentwerters. Das Prinzip hinter dem Entwerter ist einfach: Man steckt einen Fahrschein hinein, und durch (meist) Aufdruck von Datum und Uhrzeit beginnt dessen Gültigkeitszeitraum.

Aber da fangen schon die Probleme an.

Welche Fahrkarten entwertet werden müssen, variiert stark damit, wo und mit welcher Karte man unterwegs ist. Einzelfahrscheine werden heute vom Automaten, Schalter oder Handdrucker meistens schon mit Uhrzeitangabe verkauft und brauchen dann keine Entwertung. Das ist aber längst nicht überall so. In manchen Gegenden gibt es keine Mehrfahrtenkarten (»Streifenkarten«); diese müssen prinzipbedingt immer entwertet werden. Im RNN gibt es ausschließlich hierfür Entwerter, und dann auch nur auf den Bahnsteigen, nicht in den Fahrzeugen. Ich habe einmal eine RNN-Tageskarte bekommen, die ursprünglich wohl mal bei einem Preisausschreiben gewonnen worden war; die musste man zum Entwerten dann auch noch längs auf die Hälfte falten. Im RMV gibt es gar keine Entwerter. In Berlin/Brandenburg scheint generell alles in den Entwerter zu müssen, egal wie es gekauft wurde. Eine einheitliche Methodik ist also nirgendwo zu erkennen.
Verschlimmernd kommt hinzu, dass Entwerter durchaus auch einmal defekt sein können (gerade neulich wieder erlebt) und dann oft nicht ganz klar ist, ob der Fahrgast seinen Fahrschein gegebenenfalls selbst entwerten darf oder gar muss. Mit der Situation »Fahrgast mit unentwertetem Fahrschein« wird zudem häufig wenig kulant umgegangen, weil dies eine beliebte Form des »Graufahrens« darstellt: Die Graufahrerin führt einen Fahrschein unentwertet mit sich und hüpft erst dann flugs zum Entwerter, wenn Kontrollpersonal zusteigt. Neuere Straßenbahn- und Stadtbahnfahrzeuge haben daher gegebenenfalls einen mit »Razzia« beschrifteten Knopf im Führerstand, mit dem sämtliche Entwerter bei einer Kontrolle auf einen Schlag abgeschaltet werden können (so gesehen 2004 bei einem Alstom Regio Citadis).
In anderen Ländern ist die Verwirrung eventuell kleiner, weil dort im Eisenbahnfernverkehr alles gestempelt werden muss, und zwar bereits vor dem Betreten des Zuges. Beispiele sind Frankreich und Italien. Dies gilt dann sogar bei Fahrkarten für reservierungspflichtige Züge, die also ohnehin nur für eine bestimmte Verbindung gelten. (In Deutschland werden Fahrkarten im Fernverkehr der DB bekanntlich durch das Zugbegleitpersonal kontrolliert, gelocht und gestempelt; Graufahren im eigentlichen Sinne geht nicht, weil auf jeder Fahrkarte vermerkt ist, an welchen Tagen sie benutzt werden kann. Nach dem ersten Geltungstag kann man eine Fahrkarte auch nur gegen Abzug einer Stornogebühr zurückgeben.)

Ob und wie Fahrkarten entwertet werden müssen, gehört zu den kulturellen Unterschieden, die für Lokalkolorit, aber vor allem für Verwirrung und Frustration bei »heimatfernen« Fahrgästen sorgen. Es würde sicher nicht schaden, hier mehr Einheitlichkeit einzuführen - aber die Zeit spielt ohnehin gegen Papierfahrscheine. Am Freitag habe ich zum ersten Mal bewusst bemerkt, dass neben dem »Touch&Travel«-Pilotprojekt der DB auch der RMV jetzt NFC-Technik für Handy-Tickets einführt (das Prellblog wird sich damit irgendwann im Detail befassen). Der VDV versucht, die kommende E-Ticketing-Technik einigermaßen einheitlich zu halten. Wir dürfen gespannt sein.

Bild: Christophe Jacquet bei Wikimedia Commons (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

5 Kommentare:

Bernd hat gesagt…

Die Verwirrung fängt aber schon mit dem saublöden Begriff des "Entwertens" an, der eigentlich genau das Gegenteil dessen beschreibt, was er eigentlich bedeuten soll. Das hab' ich Selten-ÖPNV-Fahrgästen schon wirklich oft erklären müssen.

In Frankreich wird übrigens zunehmend "valider" statt des ähnlich doofen "composter" verwendet, was eine deutliche Verbesserung ist.

frubi hat gesagt…

Hallo,

beim VRN gibt es auch beim Entwerten von Einzelfahrscheinen unterschiede. Kauft man die älteren Automaten mit einer mechanischen Tastatur, müssen diese im Zug/Bus noch entwertet werden. Kauft man die Fahrscheine allerdings an einem DB-Automat oder einem Automat mit Touchscreen, sind diese bereits entwertet.

Die Funktion zum Sperren der Entwerter kann in Straßenbahnen auch über das IBIS "nachgerüstet" werden. In Dresden wurde das auch so umgesetzt.

Viele Grüße
frubi

-thh hat gesagt…

Der "Razzia"-Knopf gefällt mir, eine nette Idee. :-)

@frubi: Einen älteren Automaten zu kaufen, den man dann in den Bus schleppt, erscheint mir aber sehr anstrengend. ;) SCNR.

Anonym hat gesagt…

In Karlsruhe gibts auch noch sehr viele ältere Automaten mit mechanischer Tastatur und dort kommen die Fahrscheine meistens bereits entwertet raus. Aber halt leider nicht bei allen. Das Verhalten des Automaten steht zwar drauf, aber nicht besonders prominent.

Da bin ich schonmal böse reingefallen: Ich wollte nach Baden-Baden, für die Hinfahrt hatte ich bereits was vom Vortag und für die Rückfahrt wollte ich mir gleich in Karlsruhe einen Fahrschein holen, weil ich die Rückfahrt in einem Bus beginne an einer Haltestelle, an der kein Automat steht, und weil Busfahrer keine Einzelfahrscheine mit Bahncard-Rabatt verkaufen. Nur ohne. (Was für ein Hickhack...)

Natürlich habe ich in der Hektik vergessen, das Entwertungsverhalten des Automaten zu studieren und habe gemäß Murphy einen erwischt, der entwertete Fahrscheine ausspuckt. Vier Euro in den Sand gesetzt.

Lars König hat gesagt…

Wie man doch die Schweiz lieben muss ;-)

Hier gibt es für alle 286 Transportunternehmungen inkl. SBB nur ein einziges Design. Das Verhalten der Automaten ist absolut berechenbar: Kein Entwerten notwendig.

Nur Mehrfahrten- und Tageskarten müssen entwertet werden… und das erkennt man ganz klar an der Form des Fahrausweises.