Dienstag, 9. Juni 2009

97: Fest gemauert in der Erden

Wenn jemand, ob Kind oder erwachsen, ein Bahngleis zeichnen soll, wird meistens (sofern nicht einfach nur zwei Linien oder die gestreifte Linie, wie man sie aus Karten kennt) eine Doppellinie mit vielen kleinen Querstrichen herauskommen - als vereinfachte Darstellung der beiden Schienenstränge, die auf Querschwellen ruhen.

Schwellen übernehmen dadurch, dass zum einen die Schienen auf ihnen festmontiert und sie zum anderen durch Stopfen (siehe Prellblog 44) in den Schotter eingetaucht sind, viele Funktionen - sie halten die Schienen auf überall gleichem Abstand und übertragen Kräfte in allen drei Raumrichtungen auf die Bettung: nach unten das Gewicht der Fahrzeuge und dynamische Fahrbelastungen; nach vorne und hinten die Beschleunigungs- und Bremskräfte sowie Längsspannungen aufgrund von Temperaturänderungen des geschweißten Schienenstrangs; nach links und rechts die Seitenkräfte aus Kurvenbeschleunigungen. Die Anzahl der Schwellen pro Kilometer variiert je nach Belastungsklasse des Gleises, in jedem Fall kann man überall gleich lange und breite Schwellen verwenden, außer in Weichen.

Das Ganze ist so genial, dass man sich fragt, warum man darauf nicht gleich gekommen ist. Ist man aber nicht; bei frühen Bahnen lagen die (meist sehr kurzen und nicht immer aus Stahl gewalzten) Schienen auf den verschiedensten Unterlagen, zum Beispiel auf paarweise gelegten Steinquadern oder Längsbalken. Der Schwellenoberbau setzte sich aber schnell durch.
Interessanterweise kommt man heutzutage wieder davon ab und baut die Schienen auf durchlaufende Streifen aus Betonplatten, Asphaltbetten oder aus Einzelrahmen gebildete Doppelbalken; man fragt sich, warum?

Das Vorurteil »kritischer Kreise« zu dem, was bereits vor 1945 als »Gleismauer« diskutiert wurde und heute als »feste Fahrbahn« firmiert, steht fest: es handelt sich um eine teure Verirrung ausschließlich deutscher Ingenieure, die zwar auf den letzten deutschen Neubaustrecken (Hannover-Berlin, Frankfurt-Köln, Nürnberg-Ingolstadt) eingesetzt wurde, sonst aber niemand verwendet und durch allmähliches Bröckeln signalisiert, dass es sich um eine keineswegs ausgereifte Technik handelt. Bereits durchgeführte Reparaturen zwischen Frankfurt und Köln und die gerade fürs übernächste Jahr frisch angemeldeten Sanierungsarbeiten an der dann gerade einmal 13 Jahre alten Strecke Hannover-Berlin scheinen das zu bestätigen.
Es stimmt aber nicht hundertprozentig. Das Heimatland der modernen festen Fahrbahn im Hochgeschwindigkeitsverkehr ist nicht Deutschland, sondern Japan, und dort werden seit Jahrzehnten Strecken mit solchem schwellenlosen Oberbau betrieben. Allmählich werden angeblich sogar die seit jeher mit ultraschwerem Schotteroberbau zufriedenen Franzosen hellhörig, was vielleicht mit den Ambitionen, dort langfristig ein mit 360 km/h befahrenes Netz aufzubauen, zu tun hat. Aber vor allem liegt feste Fahrbahn auf zahllosen Straßen- und Stadtbahnstrecken und Bahntunnels aller Art.

Warum aber nun keine Schwellen, sondern die teuren schwellenlosen Oberbausysteme?
Der freundlichste Grund: Bei Straßenbahnen lässt sich die Fläche zwischen den Schienen und um sie herum begrünen, was in letzter Zeit äußerst beliebt geworden ist. Die Bauhöhe ist etwas niedriger und man kann Tunnels so etwas kleiner ausführen als man es sonst müsste. Das Ganze hält, wenn es denn ordentlich gebaut wurde, länger als Schotteroberbau und braucht weniger Wartung - wieder vor allem in Tunnels angenehm. Wer sich einmal damit auseinandergesetzt hat, welche logistischen Kunststücke, über welch lange Zeiträume verteilt, zum Beispiel die Londoner U-Bahn-Betreiber vollbringen müssen, um den Oberbau ihrer Strecken zu warten, wird sofort unterschreiben, dass es im Sinne aller Beteiligten ist, so etwas so selten wie möglich zu veranstalten. Nebenbei spart man sich auf freier Strecke die Herbizide, mit denen normalerweise das Unkraut niedergehalten wird, und kann bei entsprechender Ausführung uneingeschränkt mit den technisch eleganten, aber leider die Schienen stark aufheizenden Wirbelstrombremsen bremsen.
Feste Fahrbahnen werden übrigens (meistens) auch auf den in schallempfindlichen Bereichen eingesetzten Masse-Feder-Systeme, bei denen eine Betonkonstruktion unter dem Gleis mit Federelementen freischwingend in einem weiteren Betontrog montiert ist. Die Kölner Stadtbahn will es mit so etwas schaffen, an der Philharmonie vorbeizukommen, ohne dass es dort rumpelt; das Prellblog drückt angesichts der zwiespältigen Ergebnisse erster Tests die Daumen und wünscht viel Erfolg!

Bild: »Jailbird« bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

1 Kommentar:

Gerry hat gesagt…

Danke für Deine so informativen Berichte! Lerne immer was dazu :-)

Gerry