Montag, 20. April 2009

92: Working on the Railroad

In San Francisco wird in den nächsten Jahren ein riesiges postmodernes mehrstöckiges Gebäude mit einem öffentlichen Park auf dem Dach entstehen, das in sich einen Bahnhof und mehrere Busbahnhöfe vereinigt, die Vorortzüge des Caltrain-Systems näher an die Innenstadt bringt und laut Projektplanung acht verschiedene Nahverkehrssysteme unter einem Dach verbinden soll. Was dieses neue Transbay Transit Center aber besonders bemerkenswert macht, ist die Bauvorleistung für einen künftigen Halt für Hochgeschwindigkeitszüge.

So etwas gibt es bisher in Nordamerika noch nicht wirklich. Der auf dem Nordostkorridor Boston-Washington verkehrende Acela Express erreicht in einigen kurzem Ausbauabschnitten zwar 240 km/h, seine Gesamtreisegeschwindigkeit bleibt jedoch eher bescheiden. Im restlichen Land fährt Amtrak Züge, bei denen mehrstündige Verspätungen an der Tagesordnung sind und die zu den im Vergleich zum allgemeinen Mobilitätsgrad der Bevölkerung am wenigsten nachgefragten Fernzügen der Welt gehören. Das ist durchaus auch nach amerikanischer Ansicht eine Schande in einem Land, das den Großraumwagen und den Pullman-Schlafwagendienst erfunden hat und lange Zeit die schnellsten und besten Reisezüge der Welt betrieb. Pläne, den Personenverkehr drastisch zu verbessern, gibt es daher seit Jahrzehnten.
Für die erwähnte und 2008 endgültig beschlossene kalifornische Hochgeschwindigkeitsstrecke, die in der ersten Ausbaustufe San Francisco, Los Angeles und Anaheim verbinden soll (im Endausbau kommen noch Äste nach Sacramento und San Diego dazu) wurden bereits 1982 erste Gelder freigegeben. Die Finanzierung hängt aber weiterhin völlig im Unklaren, nicht nur, weil Kalifornien derzeit quasi bankrott ist, sondern weil die benötigten Summen ohnehin im mittleren oder eher höheren zweistelligen Milliardenbereich liegen, was ohne Bundesgelder kaum lockerzumachen ist.

Diese Bundesgelder sind nun schlagartig in greifbare Nähe gerückt. Präsident Obama hat in einer Regierungserklärung die Vision funktionierender Hochgeschwindigkeitsnetze in den USA beschworen und gleichzeitig angekündigt, acht Milliarden Dollar sofort aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung zu bewilligen und für die nächsten Jahre weitere fünf Milliarden zu budgetieren. Damit könnte man ja schon etwas machen. Der Pferdefuß ist nun, dass diese dreizehn Milliarden nicht einfach nach Kalifornien geschoben werden, sondern dass punktuelle und korridorförmige Hochgeschwindigkeitsprojekte im ganzen Land sich darum bewerben können. Allein zehn Korridore sind dabei im Rennen; diese wurden bereits vor langer Zeit in verschiedenen Studien ausgewählt.
Sicher ist nur eins: Mit dreizehn Milliarden Dollar kann man wahrscheinlich, vor allem in einem Land, in dem die vorsintflutlichen Betriebsvorschriften, das klagefreudige Rechtsklima, die Enteignungsregeln und die Struktur der Bauindustrie die Kosten allesamt in die Höhe treiben, noch nicht einmal das kleinste und kürzeste Korridorprojekt bewältigen. Um wirklich landesweit größere Fortschritte zu machen, wäre nach meiner Daumenpeilung etwas das Zehnfache ein guter Anfang.

Christopher Beam hat bei Slate.com bereits düstere Bilder an die Wand gemalt: Nach seiner Vorstellung werden die dreizehn Milliarden nur zum moderaten Ausbau bestehender Strecken für Geschwindigkeiten im Bereich von 150 bis 200 km/h genutzt werden, wenn überhaupt; falls tatsächlich »richtige« Hochgeschwindigkeitssysteme eingerichtet werden, ist damit zu rechnen, dass diese sich über sehr hohe Fahrpreise refinanzieren müssen und daher kaum Nutzen für die breite Bevölkerung entfalten; außerdem fließen faktisch große Teile der Gelder direkt oder indirekt an die privaten Eisenbahngesellschaften, denen die Gleise gehören (Amtrak ist eine der ganz wenigen Staatseisenbahnen der Welt, die kaum eigenes Netz besitzt und in erster Linie auf fremden Privatgleisen fährt).
Schlimmstenfalls verhindern, so befürchtet Beam, die dreizehn Milliarden, mit denen die Fahrzeiten konventioneller Amtrak-Züge, die langsamer vorankommen als Fernbusse, um ein paar Minuten verkürzt werden, für weitere Jahrzehnte, dass richtig Geld für den hochschnellen Fernverkehr in die Hand genommen wird.

Es ist hier also wieder einmal die Frage, ob es lieber der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach sein soll. Japan, Europa und zuletzt China zeigen, dass die Taube zu haben ist. Auch und gerade für ein Land mit kontinentaler Ausdehnung. In China kommen Hochgeschwindigkeits-Schlaftriebzüge in den Einsatz, die 250 km/h erreichen und auf 1200 bis 1300 Kilometer langen Strecken eingesetzt werden. Auch in Europa sind Strecken vergleichbarer Länge mit einmaligem Umsteigen zu fahren; London-Marseille über Paris dauert etwa sieben Stunden. Mit genügend Geld wäre zumindest östlich des Mississippi und entlang der Westküste ein Hochgeschwindigkeitsnetz zu machen. Aber das würde wohl wirklich die fünfhundert Milliarden kosten, die Beam dafür veranschlagt.

Bild: Robert Couse-Baker bei Flickr (Details und Lizenz)

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