Donnerstag, 19. Februar 2009

84: Ausgestreckte Fühler

Letzte Woche ging es im Prellblog 83 um Spanien, eines der Länder, wo Eisenbahn ganz offensichtlich nicht gleich Eisenbahn ist, da drei Spurweiten eingeführt sind. In Deutschland sind die Unterschiede raffinierter; die in anderen Ländern so nicht bestehende juristische Trennung zwischen Straßenbahn und Vollbahn hat mit der Spur nichts zu tun, und außerhalb des Harz und der schmalspurigen Straßenbahnnetze sind nicht viele Schmalspurbahnen verblieben (zu den ganzen Systemfragen siehe auch Prellblog 65).

Selbst ohne Spurweitenverwirrung im eigenen Land bekommt man dort Schwierigkeiten, wo zwei Systeme aneinander stoßen, und das heißt, vor allem an den Grenzen zur ehemaligen Sowjetunion, zu Indien und zu Finnland. Wenn man nicht alle Fracht umladen und alle Fahrgäste zum Umsteigen zwingen will, muss man die Züge irgendwie von einer Spur auf die andere bekommen. Die herkömmliche Lösung, die ich selbst auch schon bewundern durfte, besteht darin, an der Grenze den Zug auf ein Spezialgleis (entweder Vierschienengleis oder Breitspurgleis mit Führungsflanschen) zu fahren, aufzubocken, die Drehgestelle darunter hervorzuziehen, andere darunter zu rollen und den Zug wieder darauf zu setzen (Bild). Das ist aufwändig und meist, zumal bei langen Güterzügen, nicht zu machen, ohne den Zug in zwei oder mehr Teile zu zerlegen, weil man sich nur selten eine kilometerlange Umspurhalle leisten kann.
Eleganter, aber noch teurer, ist die automatische Umspurung: Der Zug durchfährt dabei in langsamem Tempo eine Anlage, die die Radscheiben auf den Achswellen verschiebt. Natürlich braucht man dafür besondere Achsbauarten.

Einfacher ist es für alle Beteiligten doch, wenn man einfach eine Strecke in der fremdem Spurweite ins Gebiet mit der anderen Spur verlängert, möchte man denken. Und diesen Gedanken hatten tatsächlich schon einige.
Mukran auf Rügen erfreut sich eines breitspurigen Fährbahnhofs und einer Umspuranlage, seit die Sowjetunion zur Umgehung des seinerzeit politisch unzuverlässig gewordenen Polen mit Eisenbahnfähren an die DDR angebunden wurde. Dies ist angeblich das Überbleibsel von aus früheren Zeiten der Ost-West-Entspannung datierenden Plänen, quasi in Verlängerung der Transsibirischen Eisenbahn eine Breitspurstrecke bis nach Westdeutschland zu bauen. Unter veränderten Vorzeichen sind ähnliche Ideen derzeit wieder aktuell; derzeit liegt eine Absichtserklärung vor, eine solche Bahn von der slowakisch-ukrainischen Grenze nach Bratislava und Wien zu bauen (Kostenpunkt zirka drei Milliarden Euro, wenn es je soweit kommt).
Die umgekehrte Idee ist auch schon gesichtet worden: Derzeit sind Projekte in Planung, normalspurige Bahnstrecken von der Türkei aus durch Georgien und Aserbaidschan sowie vom Iran aus durch Kasachstan und Usbekistan nach China zu bauen. Erste Normalspurstrecken entstehen auch in Vietnam; andererseits streckt Indien wohl eine Breitspurstrecke nach Bangladesch aus (dort ist die Alternative allerdings die Schmalspur).

Vieles, was hinsichtlich der Vermittlung zwischen Spurweiten im internationalen Verkehr in der Welt so passiert, wird häufig in stark nach neunzehntem Jahrhundert klingenden geopolitischen Begriffen abgehandelt. Es ist nicht am Prellblog, zu diskutieren, ob der Bau einer normalspurigen Ost-West-Verbindung durch Zentralasien wirklich ein Projekt imperialer Konkurrenz zwischen Russland und China darstellt, es ist aber merkwürdig, wieviel Spaß viele Leute daran zu haben scheinen, so darüber zu reden.
Nicht aus dem Blickfeld verlieren sollte man bei all den kontinentalen Dimensionen, dass die Uhren auch rückwärts gehen können. Deutschlands letzte große Schmalspurinsel im Harz hat 2006 einen Fühler in die Normalspurwelt ausgestreckt, als die Strecke Gernrode-Quedlinburg auf Schmalspur umgebaut wurde. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.

Mehr zum trans- und interkontinentalen Bahnverkehr gibt es in vierzehn Tagen im Prellblog 86.

Bild: »marktristan« bei Flickr (Details und Lizenz) 

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