Samstag, 5. April 2008

54: Schön viel Platz

In einen ICE passen maximal 920 Fahrgäste. Manchmal sind solche Züge, gerade am Wochenende, bekanntlich auch rappelvoll, oft eher leer.

Im Durchschnitt jedoch sitzen in so einem Zug nur 396 Leute. Die mittlere Auslastung des DB-Fernverkehrs liegt bei 43 %. Das heißt tatsächlich, dass im Schnitt jeder Zug mehr Luft als Fahrgäste transportiert. Und es ist noch ein ausgezeichneter Wert, verglichen mit den Schweizer Bundesbahnen (28 %) oder dem DB-Nahverkehr (21 %).
Auslastungswerte entscheiden, wo wie viel Geld verdient wird und wie die Umweltbilanz aussieht; man wünscht sich hohe Werte, und zwar aus gleichmäßiger Verteilung, denn gute Zahlen schreiben, indem man einige Züge dreihundertprozentig überlädt, wird von den Sicherheitsbehörden ungern gesehen.

Was könnte man nun tun, um die Auslastung zu steigern?
Ganz klassisch wäre es, die Preise zu senken. Das brächte neue Fahrgäste, aber die Sonntagabende im ICE München-Mannheim machte das nicht angenehmer. Man kann versuchen, in Zeiten hoher Last längere, ansonsten kürzere Züge zu fahren, aber das ist durch das Material begrenzt, denn Züge, die die meiste Zeit herumstehen, weil sie nur ab und zu zum Verstärken genutzt werden, kosten Geld und fahren keines ein. Neben dem Auslastungswert als Quotient der eingesetzten durch die besetzten Plätze spielt somit noch ein weiterer Wert eine Rolle, nämlich der Anteil der im Schnitt wirklich verkehrenden Plätze am gesamten Rollmaterial. Ihn versucht die DB dadurch hoch zu halten, indem sie ihre Züge in möglichst kurzen Nachtschichten rotierend wartet.
Auf der anderen Seite könnte man schwach ausgelastete Züge einfach streichen. Allein das wäre schon ein auslastungssteigernde Maßnahme. Die eingesparten Fahrten könnte man in die Hauptlastzeiten verlagern. Das Problem damit ist, dass dies den Taktverkehr, der eine Säule der Attraktivität darstellt, mutwillig unterminierte.

Also betreibt man Auslastungssteuerung. Im Luftverkehr heißt das Yield Management und funktioniert darüber, dass der Preis eines Tickets eine Funktion von Strecke, Klasse, Flugtermin, Buchungsdatum, Mondphase und Luftfeuchtigkeit ist. Im Luftverkehr gibt es aber auch eine allgemeine und selbstverständliche Reservierungspflicht. Die gibt es im Bahnverkehr in den deutschsprachigen Ländern nun nur in Nischen. (Als Nebeneffekt gibt es keine Sitzplatzgarantie.) Auch die anderswo bekannten Fahrpreiskalender, in denen es billigere und teurere Tage gibt, haben ihren Weg nicht nach Deutschland gefunden. Eine simple Variante stellen höchstens die vergünstigten Fahrkarten vieler Stadtverkehrsbetriebe und Verbünde dar, mit denen man vom Berufsverkehr ausgeschlossen ist (»9-Uhr-Ticket« etc.). Bei der DB greift man zu subtileren Mitteln, indem man kontingentierte Fahrkarten mit Rabatt verkauft, so dass, wer nicht auf einen präzisen Reisetermin angewiesen ist, ein Motiv hat, auf einen anderen auszuweichen.
Stellt es dann nicht einen Systemfehler dar, dass es mit der BahnCard weiterhin einen Generalrabatt gibt und nicht generell auch Nahverkehrsfahrscheine nach Tageszeit gestaffelt kosten? Vielleicht; vielleicht hält aber die Motivation, so eine flexible Karte, wenn man sie denn hat, auch zu nutzen, generell die Fahrgastzahlen höher und tut damit letztlich auch der Auslastung gut. Außerdem schreckt Komplexität im Tarif ab, wenn man sich selbst mit ihr auseinandersetzen muss.

Auslastungssteuerung verfolgt uns nebenbei durch unser ganzes Leben: Der Montags-Studentenrabatt mancher Supermärkte, den ich in Québec kennen gelernt habe, mag auch dazu dienen, diese sehr flexible Bevölkerungsgruppe dazu zu motivieren, den Wochenendeinkauf lieber noch einen Tag zu verschieben und damit der arbeitenden Bevölkerung samstags und sonntags Platz zwischen den Regalen zu machen.

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