Donnerstag, 19. April 2007

6: Wer vorne sitzt

Europa braucht Lokführer. Der Beruf, der einmal Chiffre für Kinderträume war, leidet unter Nachwuchsmangel und allgemeiner Personalknappheit. Die »Gewerkschaft der Lokführer« schätzt, dass alleine der größten deutschen Güterbahn Railion (DB-Tochter), 450 Leute fehlen; und es gibt in Deutschland mehrere hundert Eisenbahnunternehmen aller Größen. Ähnliches hört man aus der Schweiz und Österreich.
Die Gründe sind einsichtig: Personalabbau durch Rationalisierung, der die letzten Jahre alle europäischen Bahnen, ob privatisiert oder nicht, betroffen hat, dazu Fehleinschätzungen der Verkehrsentwicklung. Die wundern nicht, angesichts dessen, dass sogar die schienenfreundlich rechnende EU die derzeitigen Wachstumsraten nicht vorausgesehen hat.
Ich will angelegentlich kurz skizzieren, was Lokführer eigentlich sind und worin der Mangel besteht.
Eigentlich heißt die Tätigkeit in Deutschland inzwischen Eisenbahnfahrzeugführer oder allgemein -dann auch bei Straßenbahnen- Schienenfahrzeugführer. (Die DB sagt Triebfahrzeugführer oder Lokrangierführer, je nach Tätigkeit.) Man kann das in drei Jahren IHK-geprüft gelernt haben und heißt dann Eisenbahner im Betriebsdienst, Fachrichtung Lokführer und Transport. Anders als früher gibt es heute diverse Ausbildungsbetriebe.
Man kann aber auch eine Kurzschulung, die teilweise weniger als ein halbes Jahr dauert, belegen. Am Ende steht stets der Eisenbahnfahrzeugführerschein, den es erst seit 2002 gibt und der bald europaweit standardisiert wird.
Damit kann man nun noch nicht auf eine Lok klettern und wegfahren. Wer einen bestimmten Fahrzeugtyp fährt, muss dafür speziell geschult worden sein. Außerdem dürfen Strecken nur mit Streckenkenntnis allein befahren werden - das heißt, man muss vorher einmal einen erfahrenen Kollegen begleitet haben. Das ist der Grund dafür, warum oft zwei Leute im Führerstand eines Zuges sitzen, obwohl eine Person zum Fahren reicht; eine fährt, der andere erwirbt Streckenkenntnis, oder frischt sie auf, da sie sonst nach zwei Jahren verfällt.
Es wird schnell klar: Das Problem ist nicht nur, genügend Leute zu haben, die wissen, wo bei einem Zug das Gas und die Bremse liegen; die Leute müssen genau die Kombination aus Strecken- und Typenkenntnis haben, die man braucht, um mit einem bestimmten Zug eine bestimmte Strecke zu fahren. Dabei ist die Streckenkenntnis im Zweifelsfall schnell erworben, schlimmstenfalls fährt ein Lotse mit; die Typenkenntnis ist problematischer, da die entsprechenden Lehrgänge weder kurz noch billig sind. Und es gibt allein in Deutschland grob geschätzt 150 verschiedene Triebfahrzeugtypen.

Auf der einen Seite geht es also darum, mehr Lokführer auszubilden. Auf der anderen kann man aus den vorhandenen Personalressourcen mehr herausholen, indem man dafür sorgt, dass Leute mit Strecken- und Typenkenntnis zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind. Vor allem letzteres ist eine Marktlücke, die mittelständische Firmen zunehmend schließen.
Die beliebte Lösung, die vorhandenen Leute mit immer engeren Schichtplänen besser auszunutzen -unter Zerstörung eines eventuell bestehenden Privatlebens-, ist jedenfalls nicht endlos durchzuhalten.

Bild: Peter van den Bossche (alias LHOON) bei Flickr (vollständiges Foto, Details und Lizenz)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wobei ich hier immer wieder intressant finde, daß die modernen Triebfahrzeuge inklusive ICE im Führerstand eigentlich sehr aufgeräumt sind. Es gibt wenig Hebel und Schalter im Vergleich zu Flugzeugen und sogar Autos.

Die Schwierigkeit scheint also eher darin zu liegen, zu wissen, wann man wie welchen Fahrzeugtyp bremst, beschleunigt und wie sie sich in verschiedenen Situationen verhalten. Irre ich mich da? Aus Laienperspektive könnte man schließlich sagen: "Den Hebel nach vorne legen kann jeder."

mawa hat gesagt…

Dazu gibt's bald auch eine Kolumne :)