Freitag, 6. November 2009

113: Steter Tropfen

Wettbewerb im Eisenbahn-Fernverkehr ist in Deutschland in größerem Stil nicht zu beobachten (hierzu siehe auch Prellblog 100). Das ist seit der Bahnreform so gewesen, auch wenn sich gewisse Nischenangebote halten und immer wieder kleinere Vorstöße gemacht werden, die dann meist umgehend scheitern.
Derzeit sind gerade wieder zwei solche Vorstöße in Vorbereitung, mit gar nicht so unerheblichem Medienecho, und vielleicht läuft es diesmal etwas anders.

Da ist zum einen die locomore rail GmbH, die mit Unterstützung der amerikanischen Eisenbahn-Investitionsgesellschaft RDC und des britischen Investors Michael Schabas einen "Hamburg-Köln-Express" plant, ab 2010 zu fahren mit einigen (wohl fünf) aufgearbeiteten alten österreichischen Intercity-Triebzügen. RDC ist bisher eher mit Joint Ventures in Schwellen- und Entwicklungsländern aufgefallen, hat aber immerhin in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich genug operiert, um das Personal in der Pittsburgher Zentrale um 50 Prozent aufzustocken - von vier auf sechs Köpfe. Schabas ist ein klangvoller Name in der britischen Eisenbahnbranche, der bei nahezu allen größeren Londoner Bahnentwicklungsprojekten der letzten 20 Jahre seinen Finger ebenso in der Suppe hatte wie bei der Entwicklung der Kanaltunnelanbindung mit der neuen Endstation St Pancras International, und der auch bereits als Entwickler von Verkehrsunternehmen im liberalisierten britischen Bahnmarkt aufgetreten ist. Der geplante Zug soll die Strecke Hamburg-Köln in 4 h 13 min zurücklegen und ist damit etwas langsamer als der InterCity der DB (4h 00 min bis 4 h 08 min). Über die Geschwindigkeit wird der Betreiber also nicht punkten können, dafür wurden "attraktive Preise" deutlich unter DB-Niveau angekündigt und "mehrere Komfortzonen" soll es auch geben. Wegen Trassenbelegung umfahren die Züge Bremen und halten in Sagehorn, wo man sich jetzt schon über die neue Direktverbindung freut. Dies erinnert mich persönlich ungut an die überschwängliche Begrüßung des seinerzeitigen InterConnex 3 in gewissen Städten, aber man soll ja nicht pessimistisch sein.

Zum anderen will ab 2011 die SCNF-Tochter Keolis ebenfalls mit gebrauchtem Rollmaterial Züge nach Hamburg fahren, allerdings von Straßburg aus und auf gleich zwei Strecken, nämlich durch Rhein-Ruhr sowie über Berlin. Genaue Fahrpläne sind hier meines Wissens noch nicht bekannt, aber es soll gleich mit zwanzig Zügen gefahren werden und die Trassen sind schon per Rahmenvertrag bis 2015 bestellt.

Die drei zu erwartenden Reaktionen sind auch tatsächlich eingetreten:

  1. Unter den üblichen Verdächtigen wird sofort besprochen, warum Wettbewerb im Fernverkehr nur Nachteile bringen könne, inklusive sofortiger Erfindung despektierlicher Uznamen für die neu antretenden Firmen.
  2. In rein spekulativ und möglicherweise von den neuen Zügen bedienten Orten, die derzeit nicht an das rotweiße Netz der DB angeschlossen (also auf Lokalzeitungsdeutsch "abgehängt") sind, lässt man schon die Sektkorken knallen, bevor die Fahrpläne überhaupt feststehen.
  3. Die Empörung über "die Franzosen", die im eigenen Lande protektionistisch agierten und in Deutschland turbokapitalistische Raubzüge planten, kocht hoch, in völliger Verkennung der Tatsache, dass die DB schon längst angekündigt hat, auf der Rhein-Rhône-Neubaustrecke eigene Züge in Konkurrenz zur SNCF fahren lassen zu wollen. Ulrich Homburg vom DB-Fernverkehr qualifiziert sich mit waschechter Kriegsrhetorik ("im Krieg gibt es keine Gewinner"), womit er eventuell frühere Glanzleistungen als sprechender Aktendeckel (siehe Prellblog 101) kompensieren wollte.
Ich selbst kann derzeit nur sagen:
  • ad 1: Solange die Tarifmodalitäten der neuen Züge nicht feststehen, lassen sich überhaupt keine Aussagen über potenzielle Auswirkungen auf den deutschen Eisenbahnmarkt treffen.
  • ad 2: Wer sich zu früh freut, ist selber schuld, HKX fährt keine Dörfer an und SNCF/Keolis haben auch schon angekündigt, sich "nicht nach den faulen Äpfeln bücken" zu wollen.
  • ad 3: Den eigenen Markt früh zu öffnen hat der deutschen Wirtschaft und Politik selten geschadet; der beliebte Subtext, Deutschland müsse als bevölkerungsreichstes Land, größte Wirtschaftsmacht und oberster Beitragszahler der EU irgendwie gegenüber "weniger wichtigen" Ländern das Recht haben, sich dreimal bitten zu lassen, statt mit gutem Beispiel voranzugehen, scheint mir da die größere Motivation als das tatsächlich alles andere als lupenreine ordnungspolitische Gebaren im französischen Eisenbahnsektor.
  • Es wird spannend!
Bild: Ron Reiring ("kla4067") bei Flickr (Details und Lizenz)

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