60: Die Pioniere
Auch wenn ich Rheinland-Pfalz als Bundesland ganz ehrlich wesentlich weniger abgewinnen kann als meiner derzeitigen Heimat Hessen, fühle ich mich ihm als gebürtiger Pfälzer doch durchaus verbunden. Darum soll es heute um etwas gehen, was nicht nur ich für eine der größten Errungenschaften in diesem schönen Lande halte: Den Rheinland-Pfalz-Takt.
Das Land ergriff, als nach der Bahnreform die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr auf die Länder überging, die Gelegenheit beim Schopfe und führte 1994 einen integrierten Taktfahrplan (ITF) ein.
ITF heißt in seiner populärsten Form, dass Züge oder auch andere Verkehrsmittel (Busse oder Straßenbahnen) sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Knotenpunkten so treffen, dass dort ein Übergang zwischen allen oder zumindest vielen zusammenlaufenden Linien besteht. Dies hat auf den Fahrplan viele Auswirkungen, unter anderem die, dass Linien auf leicht merkbare Grundtakte (typischerweise Stundentakt) umgestellt werden. Insgesamt war der Rheinland-Pfalz-Takt ein recht mutiges Unterfangen, da die Menge der Zugleistungen um die Hälfte gesteigert wurde. Die Nutzung verdoppelte sich dafür glatt - ein Musterbeispiel für das, was man angebotsorientierte Verkehrspolitik nennt.
Und das alles, obwohl gewisse Kernpunkte des Taktkonzeptes meines Wissens bis heute nicht stehen, wie zum Beispiel der schnelle Regionalexpress Pirmasens-Bingen.
Eine mittelbare Auswirkung des Taktes war, dass Planungen für weitere Streckenstilllegungen in der Schublade blieben und Nebenbahnen wie die Lautertalbahn ausgebaut und attraktiviert wurden; sogar Reaktivierungen ruhender Strecken hat es gegeben. Auf vielen Linien wurden kleinere, aber wirkungsvolle Maßnahmen durchgeführt, um Verbindungen zu verbessern; so wurden Bahnhöfe auf eingleisigen Strecken so umgebaut, dass zwei kreuzende Züge gleichzeitig und nicht erst nacheinander einfahren können.
Teilweise ist sogar der Überland-Busverkehr in den Taktfahrplan eingebunden.
Vorgestern stellten die Schienennahverkehrszweckverbände Nord und Süd (der südliche wird übrigens vom Landrat meines Heimatkreises geführt, der sich auch erfolgreich für die Erhaltung der Glantalbahn als Draisinenstrecke eingesetzt hat) die Zukunft des Taktes in Form des Zielangebots für 2015 vor. Angesichts der anstehenden Ausschreibungen von Verkehren im Wettbewerb geht man davon aus, eine Ausweitung der Bruttoverkehrsleistung um 20 % ohne erhöhten Mitteleinsatz zu erreichen. Inwieweit man das als ein offizielles Anerkenntnis sehen kann, dass man DB Regio derzeit für um ein Sechstel überteuert hält, mag jeder für sich entscheiden.
Im Zusammenhang mit diesen Ausweitungsplanungen werden in Koblenz und Trier neue Taktknoten eingerichtet, der in Kaiserslautern verbessert, es soll erheblich bessere Anbindungen von Luxemburg, Saarbrücken, Mannheim, Frankfurt, Straßburg und Thionville geben und Dutzende neuer Haltepunkte; aber vor allem sind Reaktivierungspläne in ungeahntem Umfang in den Präsentationen zu finden. Neben der ja schon beschlossenen Wiedereröffnung der Hunsrückquerbahn zum Flughafen Hahn finden sich da die Verlängerung des regulären Schienennahverkehrs in der Eifel nach Ulmen statt bisher nach Kaisersesch, die Aartalbahn, ein alter Streckenast bei Trier, die Direktverbindung Worms-Kaiserslautern durchs Zellertal und die Schienenanbindung vom Baumholder, die in letzter Zeit nur noch vom Militär genutzt wurde. Die S-Bahn RheinNeckar soll über Homburg nach Zweibrücken verlängert werden.
Um dies nicht bei einer reinen Werbeeinlage für die rheinland-pfälzische Verkehrspolitik zu belassen, seien einige Erkenntnisse hieraus gezogen.
Zum ersten ist der "Rückzug aus der Fläche" offensichtlich mit genügend politischem Willen umkehrbar, unabhängig davon, wer womit wie an die Börse will. Zum zweiten ist ein integrierter Taktfahrplan ebenfalls ganz offensichtlich unabhängig von den Betreibern zu organisieren, solange die öffentliche Hand den Fahrplan macht, und das ist im Nahverkehr nun einmal der Fall. Zum dritten sind für einen Ausbau des Verkehrs keine gigantischen Mittelsteigerungen erforderlich, wenn man den Wettbewerb ausnutzt und außerdem konsequent angebotsorientiert davon ausgeht, dass Kapazitätssteigerungen auch die Erlöse steigern; da bei Attraktivierungen oder gar Wiedereröffnungen von Bahnverbindungen regelmäßig die Fahrgastzahlen alle Prognosen sprengen, ist hier in diesem Falle eine rosarote Brille durchaus als realistische Einschätzung geboten.
Man kann es verkürzt so sagen: Die günstigste Nahverkehrspolitik ist in den allermeisten Fällen der Ausbau.
Der Rheinland-Pfalz-Takt hat fast 14 ungeheuer erfolgreiche Jahre hinter sich und reihenweise Nachahmer gefunden, so den Drei-Löwen-Takt und den Bayern-Takt; für die Jahre bis und nach 2015 bleibt nur, ihm noch einmal mindestens genauso großen Erfolg zu wünschen.
Bild: Franco Folini bei Flicker (Details und Lizenz)
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