Samstag, 29. August 2009

Ballonförmig

Gestern hat man mir einen Weisheitszahn aus dem Kiefer gemeißelt und heute ist mein Kopf ungefähr doppelt so groß wie sonst. Dabei müsste dringend weiter an der Diss gearbeitet werden, was unter Schmerzmitteln nicht so einfach ist ... allmählich überlege ich mir, ob ich den Wochenturnus für das Prellblog oder zumindest den Solltermin montags nicht aufgeben sollte.

Freitag, 21. August 2009

106: Röhrenrechner

Seit 13 Tagen ist in Berlin die U-Bahn-Linie 55 in Betrieb. Sie verbindet den Hauptbahnhof mit dem U- und S-Bahnhof Brandenburger Tor (ehemals Unter den Linden), mit einem Zwischenhalt »Bundestag«. Es handelt sich bei der kurzen Pendellinie um das zukünftige Endstück der U5, die einmal vom Alexanderplatz bis zum Hauptbahnhof durchfahren soll.

Wie die gewaltigen neuen Fernbahnhöfe (Berlin Hbf, Südkreuz, Gesundbrunnen), der Umbau des Ostkreuzes (siehe Prellblog 2), die zahllosen Sanierungen, Lückenschlüsse und Umbauvorhaben bei U- und S-Bahn und die zaghaften Ausbauten der Straßenbahn gehört die Verlängerung der U5 in den Kreis der Wiedervereinigung und Erneuerung von Berlins Schieneninfrastruktur, einer Masse von Bauvorhaben, die sich nahezu alle durch verkehrtechnische Komplexität, härteste politische Debatten und bautechnische Herausforderungen auszeichnen. Der Ostkreuz-Umbau ist dafür stets mein Paradebeispiel, zieht er doch die Umlegung einer Straßenbrücke, eines U-Bahnhofs und diverser Straßenbahntrassen, eine architektonische Wiederverwertung denkmalgeschützter Bauten und Gebäudeteile sowie die Neueinrichtung eines Fernbahnhofs mit sich. Aber auch der Hauptbahnhof war, mit den endlosen Bautaucherorgien zur Errichtung seiner Tiefbauten (inklusive der U55-Endstation), der vorhergehenden, begleitenden und nachfolgenden Diskussion sowie dem Nebenschauplatz der Abstufung des Bahnhofs Zoologischer Garten zum Regionalbahnhof, nicht von schlechten Eltern. Ich erinnere mich da noch an Prophezeiungen, Berlin Hbf würde als glänzende und menschenleere Investitionsruine enden und an Vorschläge, ihn gleich wie das nie eingeschaltete Kernkraftwerk Kalkar in einen Freizeitpark umzubauen, da ihn ja doch »niemand brauche«.
Auch die U55 »braucht niemand«. Wenn man WWW-Kommentatoren und Lokalzeitungskolumnen folgt, haben die allermeisten Verkehrsbauwerke diesen Status »braucht niemand«, vielleicht abgesehen von der Umgehungsstraße, die sich der Chefredakteur auf seinen Pendelweg wünscht. Dass es fixe Verkehrsbedürfnisse gäbe, über die man punktuell und objektiv entscheiden könnte, dass ein Verkehrsbauwerk »jemand« oder »niemand« braucht, ist zwar ein Märchen (siehe auch Prellblog 27). Allerdings kratzt man sich, wenn es um eine U-Bahn-Strecke von weniger als zwei Kilometern Länge geht, die über 300 Millionen Euro gekostet hat und deren Bau sich, weil von keiner Stelle wirklich enthusiastisch angetrieben, auf fast anderthalb Jahrzehnte erstreckte, doch ein wenig am Kopf, könnte man doch mit wesentlich weniger Geld und in kürzerer Zeit zum Beispiel Aachen, Münster oder Wiesbaden ein gediegenes Straßen- und Regionalstadtbahnnetz spendieren (und diese Städte haben so etwas bitter nötig).

Der Hintergrund, warum Berlin mit der U55 eine wahnsinnig teure Bauvorleistung für eine U-Bahn-Verlängerung geschaffen hat (immerhin mit sehr ansprechenden Bahnhöfen, von denen einer als Teilungsgedenkstätte mitgenutzt wird), während anderswo Projekte, die viel mehr Fahrgäste auf die Schiene bekommen könnten, vor sich hin dümpeln, ist nicht nur der Hauptstadtstatus, und dass hier, wie so oft in den letzten Jahren, ein lange verschlepptes Projekt aus dem Vereinigungsboom zum Abschluss kommt. Es geht auch um Fördermittel und Planungsbeschlüsse, die man nicht verfallen lassen möchte; darum, dass der Bund als Stakeholder seinen politischen Willen zum Bau der Strecke durchsetzen wollte und als naturgemäß stärkster Akteur dies auch geschafft hat. Anderswo gibt es keinen politischen Willen oder die Beteiligten sind sich nicht einig; deswegen ist Wiesbaden nach wie vor die größte Stadt Deutschlands ohne schienenbasiertes Verkehrssystem, obwohl man schon seit Jahr und Tag eine Anbindung an die Mainzer Straßenbahn hätte haben können. Währenddessen zogen Karlsruhe und Kassel beneidenswerte Regionalstadtbahnsysteme (siehe Prellblog 25) hoch.

Verkehrsbauten, insbesondere wenn viel Tiefbau dabei ist, sind immer unglaublich teuer und meistens viel teurer als geplant (jedes technische Großprojekt überschreitet das Budget um einen hohen zweistelligen Prozentsatz, es gibt nur wenige Ausnahmen). Trotzdem werden sie meistens irgendwann fertiggestellt, gerade weil sie so unglaublich teuer sind, und wenn sie stehen, wird über Kosten erst recht nicht mehr geredet. Da es sich bei Infrastruktur um klassisch investive und nicht konsumptive Staatsausgaben handelt, hält sich der potenzielle volkswirtschaftliche Schaden stark in Grenzen oder muss mühevoll herbeigerechnet werden. Auch wenn es etwas frivol klingen mag: Geld spielt in einem gewissen Sinne keine Rolle, wenn der Beschluss erst einmal gefallen ist. Es wird gebaut, was sich politisch und juristisch bauen lässt, relativ unabhängig vom Preis. Die öffentliche Debatte über teure Verkehrsprojekte wäre eventuell effektiver, wenn man weniger über Kostensteigerungen und Budgethöhen und mehr über Projektprioritäten, verkehrstechnischen Sinn, architektonische Schönheit und vor allem Steigerung von Lebensqualität diskutierte.
Man frage mich aber bitte nicht, ob die U55 dann noch gebaut worden wäre. Am Ende ist Mögliche-Welten-Semantik etwas für die Philosophie, und die soll mich hier nicht über Gebühr beschäftigen.

Bild: Gregor Fischer bei Flickr (Details und Lizenz)

Mittwoch, 19. August 2009

*hust*

Postkartenblauer Himmel, strahlender Sonnenschein, annähernd 30 Grad draußen und ich bin ordentlich erkältet. Das Prellblog für diese Woche fällt wahrscheinlich ganz aus, eventuell kann ich es noch irgendwann einschieben.

Montag, 10. August 2009

105: Eine Wucht

Für heutige Verhältnisse sind alte Bahnhofsgebäude oft weit überdimensioniert. Wartesäle verschiedener Klasse, Kohlenkeller, Dienstwohnungen, Gepäck- und Postabfertigungsräume - aus den großen ungenutzten Räumen in den häufig schlecht erhaltenen Bauten etwas zu machen, ist nicht immer einfach. Es gibt aber Bahnhöfe, deren Gebäude selbst im historischen Vergleich ungewöhnlich groß sind.

Mein persönlicher Spitzenreiter ist dabei ein klobiges Neorenaissancebauwerk auf trapezförmigem Grundriss, zwischen den Gleisanlagen eines Keilbahnhofs, mit fünfzig Meter langen, zweieinhalb Stockwerke hohen Längsfassaden von je zwei mal sieben Rundbogenachsen, die von einem gewaltigen Bogendurchgang zweigeteilt werden, der durchaus an Triumphbögen oder auch die berühmte Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand und ähnliche »weltliche Kathedralen« denken lässt - und das Ganze für einen kleinen niedersächsischen Ort mit ein paar tausend Einwohnern. Die Rede ist vom Bahnhof Kreiensen, erbaut 1887 bis 1889. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es eine Geschichte, die den reich ornamentierten (Bild) Prachtbau als Kulisse für ein Treffen zwischen deutschem Kaiser und russischem Zar erklärt, harte Belege dafür habe ich aber nicht finden können.

Mittlerweile hat Kreiensen seine Funktion als prominenter Eisenbahnknotenpunkt nahezu ganz eingebüßt, auch wenn die Anbindungen vielleicht besser sind als zuvor, von den üblichen Beschwerden über die Einstellung von IC-Halten einmal abgesehen. Der repräsentative Bau ist jedenfalls geblieben, und er beherbergt, soweit ich weiß, nahezu nichts.
Was könnte man hineintun?

Der vor allem durch sein hohes Dach äußerst geräumige Marburger Bahnhof wird nach langen Diskussionen (unter anderem sollten einmal Wohnungen hinein) nun in den oberen Ebenen von einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft als Gewerbeimmobilie ausgebaut. Das kann man nicht überall machen; anderswo sind Büchereien eingezogen (beispielsweise in Erzhausen) oder die Gemeindeverwaltung (so gesehen in Cölbe), sehr oft auch Lokale (Staudernheim, Kelsterbach, usw. usw.). Was aber in einen Bahnhof von Kreienser Format hineinpassen könnte, ohne hinter der Fassade lächerlich zu wirken wie es z.B. ein Ein-Euro-Markt täte, ist mir nicht ganz klar.
Zu überlegen ist auch, warum die Nutzung als Bahnhof, die ja eine ziemlich profane ist, anscheinend keinem noch so gewaltigen Bau unangemessen erscheint. Was verleiht der Beförderung auf Schienen diese Würde? Und wann hat es aufgehört? Hat es mit der Neigung der deutschen Öffentlichkeit zu tun, großzügige Bauten jeder Art als protzig zu beschimpfen? Und war das früher anders?

Bild: Nils Bremer bei Flickr (Details und Lizenz)

Montag, 3. August 2009

104: Kauderwelsch

Zur Ergötzung und Erbauung des Publikums (und mangels zündender Themenideen) bringt das Prellblog heute einige meiner Meinung nach besonders farbige Ausdrücke aus der deutschen Eisenbahnfachsprache nebst Erläuterungen. Keinerlei Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit!


Abbügeln: Stromabnehmer senken
Abdrücken: Wagen über einen Ablaufberg schubsen
Abrüsten: Schritte durchführen, um ein Fahrzeug abstellbereit zu machen (z.B. Motor abstellen); schließt aber z.B. auch das Einsammeln liegengelassener Gepäckstücke durch das Begleitpersonal ein
Aufbügeln: Stromabnehmer heben
Aufrüsten: Schritte durchführen, um ein Fahrzeug fahrbereit zu machen (z.B. Rechner hochfahren, Druckluft erzeugen)
Aufgleisen: Gegenteil von Entgleisen, wird z.B. häufig mit dem Deutschlandgerät erledigt
Ausziehgleis: Stumpfgleis, auf das Züge aus einem Bahnhof oder einer Strecke hinausgezogen werden können, ggf. um sie zu kehren
Beidrücken: Einen zusammengestellten Zug durch Zusammendrücken kuppelfähig machen
Beifahranlage: Sperrsignal in Bahnsteigmitte, um das Verstärken zu erleichtern
Brechen: Einen sonst durchgehenden Zug durch zwei Züge, zwischen denen umgestiegen werden muss, ersetzen ("Der sonst von München nach Kassel durchgehende Zug wird sonntags in Frankfurt(Main)Hbf gebrochen")
Deutschlandgerät: Transportable Hydraulikvorrichtung zum Aufgleisen von Fahrzeugen
Ertüchtigung: Jede Art von technischer Verbesserung, um Leistung oder Widerstandsfähigkeit eines Systems zu erhöhen (Ertüchtigung einer Strecke für Neigetechnik, Druckertüchtigung von Wagen)
Flügeln: Einen Zug teilen und an zwei verschiedene Ziele weiterfahren lassen
Gleitschutz: Antiblockiersystem
Kehren: Fahrtrichtungs- und Gleiswechsel eines Zuges an seiner Endstation, ggf. mit Hilfe einer "Kehranlage" (Ausziehgleis zwischen den beiden Streckengleisen); vor allem bei dicht befahrenen Stadtverkehrssystemen
Kippberechtigter: Im Ausleeren von Kippwagen geschulte Person
Kopf: Gesamtheit der Weichenstraßen und Signalanlagen, mit denen ein Bahnhof in die Strecke übergeht; bei Durchgangsbahnhöfen wird oft vom Nordkopf und Südkopf bzw. Ost- und Westkopf gesprochen
Köpfen (auch Kopf machen, stürzen): Fahrtrichtungswechsel eines Zuges, ggf. mit Umsetzen der Lok ans andere Zugende verbunden
Langmachen: Kupplungen eines Zuges lockern, um seine Zerlegung vorzubereiten
Luftpresser: Kompressor
Schlechtläufer: Ein sich vom Ablaufberg eher langsam entfernender Wagen (Gegenteil: Gutläufer)
Schleuderschutz: Antriebsschlupfregelung
Stopfen: Schotterbettungen durch Hineinschlagen von Pickeln verdichten
Stumpfgleis: Blind endendes Gleis (meistens mit Prellbock am Ende)
Verstärken: Einem Zug einen anderen Zugteil mit selbem Ziel ankuppeln
Wachsamkeitstaste: Knopf, mit dem der Lokführer eine Zugbeeinflussung quittieren muss
Weichenbengel (auch Stelleisen): Stahlstange zum behelfsmäßigen Umstellen von Weichen von Hand

Bild: »Mrs Logic« bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)