Donnerstag, 30. Juli 2009

Und es wurde dann doch...

...noch ein bisschen später - Versprechen, an Arbeitstagen noch einen Blogeintrag fertigzukriegen, sollte ich nicht so leichtfertig abgeben.

103: Tag und Nacht

Heute konnte man in der Presse lesen, dass die russischen Staatsbahnen (RŽD) einen Auftrag zum Bau 200 schneller, dem RIC-Interoperabilitätsstandard genügender und daher international einsetzbarer Schlafwagen an ein Konsortium aus Siemens und einem russischen Waggonbauer vergeben haben. Die angegebenen 320 Mio. Euro sind wahrscheinlich nur das Volumen des Siemens-Auftragsteils. Das ist schon einiges.

Der Marktoptimist in mir frohlockt bei dieser Nachricht und stellt sich eine nahe Zukunft vor, in der, nach der nächstes Jahr anstehenden EU-Marktöffnung für den Personenverkehr, die RŽD oder eine ihrer Töchter ein ordentliches Netz langlaufender Nachtzüge in West- und Mitteleuropa aufbauen. Denn Nachtzüge, oder besser gesagt, Tag-und-Nacht-Züge, die teilweise Fahrzeiten von mehreren Tagen haben und in der gesamten Zeit nie länger als etwa eine gute halbe Stunde halten, gibt es in Russland, und Reisegeschwindigkeit, Sicherheit und Komfort sind nicht zu verachten - wenn es auch etwas holpert, der gelaschten Gleise wegen. Aus irgendwelchen Gründen werden Aktivitäten russischer Unternehmen in Deutschland zwar in der Öffentlichkeit stets misstrauisch beäugt, aber Schlafwagenzüge dürfen sie meinetwegen gerne fahren.
Das tut nämlich in Europa kaum noch jemand richtig gut. Das Angebot hat sich stark auf den Saisontourismus und Zusatzangebote zu Autozügen verengt und leidet verschiedentlich unter schlechtem Management. Die österreichische Staatsbahn beherrscht die Disziplin angeblich noch sehr gut; in Deutschland sind Nachtzüge Sache der DB AutoZug und dort lässt man sich regelmäßig Tarifregelungen und Angebotsveränderungen einfallen, die nicht immer leicht nachzuvollziehen sind (Halte, bei denen nicht ausgestiegen werden darf z.B.). Was die Sache auch nicht besser macht, ist, dass die Sitzwagen, sofern überhaupt mitgeführt, häufig extrem rappelige alte Abteilwagen sind.
Dabei ist zumindest theoretisch das Potenzial für langlaufende Nachtzüge in Europa immens. Dass die rigiden Sicherheitsbestimmungen bis heute Nachtzüge durch den Kanaltunnel verhindert haben, ist ein erster Schlag ins Kontor (die damals eigentlich für diesen Zweck beschafften Züge fahren heute übrigens als Tagzüge in Kanada und lösen regelmäßig Grübeln aus, warum jemand in Nordamerika Züge mit so kleinem Profil betreibt) - durch Verlängern nach London könnte man diverse Schlafwagendienste nach Paris, Brüssel, Köln und Amsterdam stark ausbauen und viel besser auslasten. Eurotunnel hat ja mittlerweile signalisiert, dass man sich für einfachere Verkehre durch die Röhren einsetzen will; vielleicht tut sich da was.
Wenn man weiterdenkt, den starken Ausbau neuer Schnellstrecken in Westeuropa und die Option für 250 km/h der geplanten russischen Wagen oder die existierenden chinesischen Bombardier-Hochgeschwindigkeits-Schlaftriebzüge berücksichtigt, könnte man sich auch Züge vorstellen, die zum Beispiel Berlin-Madrid oder London-Barcelona leisten, natürlich mit attraktiven Zwischenhalten. Auf der anderen Seite gibt es in Osteuropa bereits (bzw. noch) ein an Schlafwagenzüge gewöhntes Publikum und diverse Verbindungen, die man mit schnelleren Wagen und besseren Strecken tief nach Westen verlängern könnte.

Schön wäre es in der Tat, wenn es irgendwann ein Betreiber hinbekäme, Nachtzüge mit japanischem Komfort (siehe Bild) und 200-250 km/h quer durch ganz Europa zu jagen, von Lissabon nach Moskau und von Edinburgh nach Ankara. Kein Naturgesetz hält uns ab.

Dieser Beitrag erfüllt in gewisser Weise einen anonymen Artikelwunsch vom 19. Dezember letzten Jahres.
Bild: yys747 bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

Dienstag, 28. Juli 2009

Trassenkonflikt

Gestern hatte die Doktorarbeit Vorrang vor dem Prellblog, ich reiche den Beitrag aber hoffentlich heute noch nach.

Samstag, 25. Juli 2009

Wartungsaufwand

Vielleicht hat es ja irgend jemand bemerkt: Meine seit ca. 2003/2004 existierende Bahnbaustellen-Liste ist schon seit Monaten nicht mehr gepflegt worden. Ich werde damit jetzt ganz offiziell aufhören und die Liste in den kommenden Wochen vom Server nehmen. Falls das jemanden stört oder gar jemand die Pflege übernehmen möchte, bitte ich um Wortmeldungen.

Dienstag, 21. Juli 2009

102: The Dome

Es gibt unter technikaffinen Männern (bei Frauen ist mir die Einstellung noch nicht begegnet) etwas, was ein Freund, der wie ich Geisteswissenschaftler mit EDV-Hintergrund ist, das »Informatikerweltbild« nennt (eine zugegeben nicht ganz passende Bezeichnung, da es zwischen Informatik als erlerntem oder ausgeübtem Beruf oder Fach und dem Vorhandensein dieses Weltbilds längst keine zwingende Kausalität gibt; aber irgend einen Namen muss das Kind nun einmal haben). Der aktuelle Diskurs über Datenschutz und Überwachung wird in der »Netzgemeinde«, wie mir scheint, zumindest lautstärkemäßig von Leuten mit dieser in ihren extremen Ausläufern technokratischen und letzten Endes kulturfeindlichen Einstellung dominiert - Leuten, die fest davon überzeugt scheinen, dass alle Juristen und alle Politikerinnen (außer Jörg Tauss und den Piraten natürlich) minderwertige Menschen sind, dass Wolfgang Schäuble der Wiedergänger Mielkes oder gleich Hitlers ist; oder, scheinbar harmloser, dass Science-Fiction-Autoren und »Techies« oder andere Angehörige der Geek-Elite, zu der sie sich selbst rechnen, die einzig relevanten gesellschaftlichen Gruppen sind.

Für mich ist es schwierig, über ein Überwachungsthema zu schreiben, weil ich mit den genannten Leuten auf keinen Fall in einer Schublade landen, aber auch nicht ihren Buhmann abgeben will - immerhin ist das grundlegende Anliegen ja ein völlig gerechtfertigtes. Ich fühle mich aber allmählich dazu verpflichtet (einen Anlass findet die aufmerksame LeserIn ganz unten), das Thema Überwachung im öffentlichen Verkehr hier zumindest ansatzweise anzugehen; ich möchte dabei aber vorsichtig sein und nicht in fünfhundert Wörtern mit dem ganzen Thema abrechnen, also wird hierzu bestimmt noch einiges nachkommen. Eine Reminiszenz an Projekt Eiertanz sozusagen.

Heute soll es um Videoüberwachung gehen. Es wird heutzutage in Bahnen und auf Bahnhöfen überwacht, was das Zeug hält, und es wird jeden Tag mehr, unter anderem, weil Ausschreibungen häufig videoüberwachte Fahrzeuge vorschreiben. Die Kameras sind zumindest in den Fahrzeugen mittlerweile fast ausschließlich sogenannte Dome-Kameras, glänzend schwarze Halbkugeln, die einigermaßen vandalensicher sind und nicht erkennen lassen, in welche Richtung das Objektiv zeigt oder ob überhaupt eines eingebaut ist. Da das erklärte Ziel der Überwachung zumeist die Bekämpfung von Sachbeschädigungen ist, konnte man zumindest bisher davon ausgehen, dass die vorderste Kamera in vielen Fahrzeugen Attrappe ist; manche Verkehrsbetriebe überwachen ganz offen nur die hinteren Fahrzeugteile, andere Betriebe montieren überall Gehäuse bzw. Attrappen und installieren nur auf besonders problematischen Linienläufen wirklich Kameras. Die Kosten für die Überwachungstechnik sinken jedoch, und vermutlich sind die Tage von Kameraattrappen über kurz oder lang gezählt - andererseits: In Wien brüstet man sich mit dem Einbau von bis zu 24 Kameras pro Fahrzeug, die sich angeblich teilweise gegenseitig überwachen, um Vandalismus an der Technik zu verhindern; da fragt man sich, ob wirklich in allen Fahrzeugen alle Gehäuse belegt sind.
Üblicherweise werden die Videodaten im Fahrzeug selber in einer Schleife aufgezeichnet, so dass beispielsweise bloß die Daten der letzten 48 Stunden erhalten bleiben.

Es gibt Verkehrsbetriebe, wo tatsächlich nur diese 24- oder 48-Stunden-Schleifen existieren. (Eventuell kann bei einem beobachteten Vorfall der Fahrer die Löschung eines gewissen Zeitraums um diesen herum durch Knopfdruck verhindern.) Die Aufzeichnungsfestplatte kann teilweise wirklich nur durch physischen Ausbau mit Hilfe zweier verschiedener Schlüssel, die nicht an dieselbe Person ausgegeben werden, ausgewertet werden. Gegen diese Praxis hat, sofern Schilder auf die Überwachung hinweisen, auch der institutionalisierte Datenschutz nichts einzuwenden. Sie findet auch bei der Bahnhofsüberwachung ihren Einsatz.
Andererseits existieren mittlerweile diverse Techniken, mit denen Fahrzeugüberwachungsdaten kontinuierlich oder diskontinuierlich an Zentralstellen weitergereicht werden können, um auch in Fahrzeugen Echtzeitüberwachung zu ermöglichen. Dies liegt auf der Hand für automatische Züge wie in der Nürnberger U-Bahn, ansonsten steht wohl ebenfalls die Einsparung von Begleitpersonal bzw. die Entlastung des Lokführers im Vordergrund, also ähnliche Motivationen wie bei der Bahnhofsüberwachung.

Diese mittlerweile enorm verstärkte Videoüberwachung auf Bahnhöfen ist zumindest im Bereich der DB der Strategie geschuldet, Sauberkeit, Sicherheit und Service in sogenannten »3S-Zentralen« für ganze Regionen zusammenzuziehen. Die Videoübertragung an große, dauernd besetzte Leitstellen mit zahlreichen Bildschirmen ersetzt dabei, zusammen mit Informationsanzeigen und Gegensprechanlagen (die bekannten halb roten, halb blauen Stelen) die persönliche Anwesenheit von Aufsichtspersonal - oder soll es zumindest. Da bei der 3S-Zentrale eventuell auch der direkte Einsatz von Sicherheitspersonal beim Beobachten einer Tat ausgelöst werden kann, ist die Rechtfertigung für eine Echtzeit-Überwachung nach gängiger Ansicht deutscher Datenschutzbeauftragter gegeben. Fragwürdig ist, dass es teilweise kooperierte Sicherheitszentralen von DB-Konzernunternehmen sowie Landes- und Bundespolizei gibt; auch ist nicht immer klar, in welchem Maße aufgezeichnet wird.

Das Spektrum zwischen Vandalismusbekämpfung sowie »Terrorprävention« und Ähnlichem ist dabei natürlich fließend. Als im Mainzer Hauptbahnhof eine Echtzeit-Gesichtererkennung (erfolglos) getestet wurde, ging es sicherlich nicht nur darum, damit irgendwann einmal Sprayer, Scratcher und Polsterschlitzer zu ertappen. Man würde sich eine Übersicht über die Video-Überwachungspraxen und eingesetzten Techniken aller deutschen Verkehrsbetriebe wünschen (in welchem Ausmaß es z.B. Funkstrecken gibt, über die dauernd oder bei bestimmten Halten Videodaten aus Bussen und Bahnen an ortsfeste Relaisstationen weitergereicht werden, und ob diese Übertragungen sicher sind, fände ich interessant); so etwas scheint es aber derzeit nicht zu geben.
- Dass mir im früher vielfach vandalisierten und generell urinstinkenden Aufzug zum Ortenbergsteg am Marburger Hauptbahnhof neulich eine frisch eingebaute Dome-Kamera entgegenblinkte, erfüllt mich nicht unbedingt mit Furcht, insbesondere, da der Aufzug im Vergleich zu früher erstaunlich intakt schien und nach Frühlingsblumen duftete. Aber warum kann es nicht neben der Kamera ein Schild geben, das mir verbindlich mitteilt, was mit der Aufzeichnung passiert? Ich glaube nicht an die große Verschwörung der »Internetausdrucker« gegen »uns da unten«, wie sie im Informatikerweltbild oft vorgesehen scheint. Aber mehr Problembewusstsein seitens der Kamerabetreiber wäre schon nicht schlecht, Gesetzeslage hin oder her.
Bild: Denny Yuniarta (»noraxx«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 17. Juli 2009

101: Achsenkreuz

In Berlin geht es derzeit hoch her. Die S-Bahn, die über Jahre ständig neue Benutzungsrekorde verbuchte und als eines der besseren, wenn nicht besten Schienenverkehrssysteme der Welt gilt, verkehrt mit starken Einschränkungen: Linien sind eingestellt worden oder enden früher, die Züge sind kürzer und fahren in ausgedünnten Takten. Mitfahrzentralen blühen, halbwegs normale Zustände werden wohl erst gegen Weihnachten einkehren. (Normalität ist allerdings relativ, für die nächsten zirka sieben Jahre bleibt ja durch die ständig wechselnden Bauzwischenzustände am Ostkreuz [siehe Prellblog 2] ein unterhaltsames Großhindernis im Netz.) Wie kommt's?
Es geht wieder einmal um das Dauerproblem nicht nur deutscher Züge in diesen Zeiten; das Problem, zu dessen Bewältigung vor über 130 Jahren die Begriffe der Dauerfestigkeit und der Materialermüdung eingeführt und die modernen Materialwissenschaften begründet wurden (durch August Wöhler, einen Eisenbahningenieur): das Problem brechender Achsen und Räder.

Am 1. Mai dieses Jahres ist in Berlin-Kaulsdorf ein S-Bahn-Zug der DB-Baureihe 481 entgleist. Bei dieser Baureihe (inzwischen ein Bombardier-Produkt) handelt es sich um die neuesten, eigentlich ziemlich beliebten, Triebzüge im Retro-Design, Baujahre 1996 bis 2004. Ihr gehören 500 der ca. 685 Züge der S-Bahn an; ihr hat man das ziemlich junge Durchschnittsalter des Berliner Wagenmaterials hauptsächlich zu verdanken.

Die Entgleisung wurde durch eine gebrochene Radscheibe verursacht, und unmittelbar darauf wurde die Untersuchung von Radsätzen an den 481er-Zügen forciert, was zu ersten Fahrzeugknappheiten und damit Fahrplaneinschränkungen führte. Bald darauf ordnete das Eisenbahn-Bundesamt an, 170 Züge bis zur Untersuchung und gegebenenfalls Auswechslung der Radsätze abzustellen; da die Kapazität der Werkstätten für die verlangten Prüfverfahren begrenzt ist, hat dies den Fahrzeugpark drastisch reduziert.
Mittlerweile sind noch schärfere Auflagen verhängt worden, da die Räder wohl weniger aushalten, als ursprünglich angenommen, und der S-Bahn-Betrieb auf der Stadtbahn wird ab Montag eingestellt, auf dem Ring und auf den Außenlinien extrem beschränkt. Die DB hat die Führung der S-Bahn Berlin GmbH ausgetauscht und verspricht den Stammkunden als kleine Entschädigung kostenloses Fahren im Dezember.
Am Horizont kündigt sich aber etwas an, dem gegenüber die Berliner S-Bahn-Achsenprobleme harmlos anmuten: Das Bundesamt möchte, wohl aufgrund des ebenfalls durch einen Achsbruch ausgelösten Kesselwagenunglücks in Viareggio, auch sehr große Anzahlen von Güterwagenradsätzen prüfen lassen. Es ist die Rede von über 100 000 betroffenen Fahrzeugen.

Man erinnert sich noch an den Radsatzbruch bei einem ICE im vergangenen Juli, der wegen verkürzter Wartungsintervalle und verschärfter Untersuchungen über längere Frist zu Einschränkungen und Ersatzverkehren im Fernverkehr geführt hat; man erinnert sich an die seit Jahren andauernden Schwierigkeiten mit den Achsen von Neigetechnik-Nahverkehrstriebwagen, und natürlich an die durch einen gebrochenen Radreifen angestoßene Fehlerkaskade, die zur Katastrophe von Eschede geführt hat. Die Radsätze von Zügen sicher, wirtschaftlich und schnell zu warten ist offenbar nach wie vor eine Herausforderung. Ich fühle mich nicht qualifiziert, dazu Stellung zu beziehen, wie sehr oder wenig der Spardruck in der liberalisierten Bahnwirtschaft diese Probleme verschärft. Man sieht auch, welche Probleme dadurch entstehen, wenn man ein ganzes Eisenbahnnetz ganz oder nahezu ausschließlich mit Fahrzeugen eines Typs betreibt. Es gibt ja immer noch Menschen, die es bedauern, dass seinerzeit nicht der gesamte deutsche Eisenbahnverkehr auf einen einzelnen Typ Universallokomotive umgestellt wurde...
In Berlin wird es auf jeden Fall noch länger unangenehm bleiben, auch wenn mittlerweile angeblich »eine verlässliche Handlungsbasis in der zeitlichen Taktung und Umsetzung der Wiederherstellung der Flottenverfügbarkeit entstanden ist« (Zitat Ulrich Homburg, Vorstand Personenverkehr, DB AG) besteht. Es ist abzusehen, dass die Einstellung der Berliner Politik zur S-Bahn Berlin GmbH sich ändern mag. Zeitweise war schließlich sogar die Kündigung des Verkehrsvertrages im Gespräch gewesen; zumindest für die Neuausschreibung 2017 bzw. die mögliche Teilausschreibung der Nord-Süd-Strecken 2013 könnte es Konsequenzen bedeuten. Bisher war stillschweigend klar gewesen, dass die S-Bahn Berlin GmbH als Gewinnerin einer Neuausschreibung des Gesamtnetzes gesetzt ist. Das scheint vorbei.

Damit es bei aller Planbarkeit nicht langweilig wird, müssen in ganz Deutschland übrigens ab sofort handstreichartig an Dieseltriebwagen des Typs Regio-Shuttle Turbolader, die für Brände verantwortlich zu sein scheinen, getauscht werden. Es sind nicht immer nur die Achsen.

Bild: Alexander »really nothing« bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

Mittwoch, 15. Juli 2009

Verzögerte Einfahrt

Das Prellblog für vorgestern liegt derzeit noch halbfertig herum, wegen des UniChor-Konzerts, für das ich auf die eine oder andere Weise seit Samstag am Springen bin. Der Eintrag kommt aber nach; es wird um die derzeitige Misere bei der Berliner S-Bahn gehen.

Montag, 6. Juli 2009

100: « Vers une Ryanair du rail ? »

»Private« Eisenbahnverkehrsunternehmen, also solche, die nicht wirtschaftlich zu der früher in ihrem Einsatzgebiet etablierten Monopolstaatsbahn beziehungsweise deren mehr oder weniger privatisiertem Nachfolger gehören, sind in Deutschland äußerst erfolgreich. In erster Linie gilt das für den Güterverkehr, wo die im Prellblog schon mehrfach thematisierten, meistens mittelständisch strukturierten Konkurrenzanbieter der DB-Gütertöchter mittlerweile in der Summe mehr Fracht transportieren als in anderen Ländern insgesamt auf der Schiene unterwegs ist. In zweiter Linie gilt es für den ausgeschriebenen Nahverkehr, der als Teil der Daseinsvorsorge auf Bestellung und Bezahlung durch die öffentliche Hand hin erledigt wird. Dort zeichnet sich mittlerweile ab, dass das simple Aufbrechen des DB-Marktanteils weitgehend erledigt ist und es zur Konkurrenz der DB-Konkurrenten untereinander kommt, was vermutlich (und hoffentlich) dafür sorgen wird, dass sich das Lohnniveau, über das Ausschreibungen derzeit noch gerne gewonnen werden, langfristig vereinheitlicht und stabilisiert.


Wo die Privaten aber anscheinend nicht nachkommen, ist beim eigenwirtschaftlichen Fernverkehr. Über Nischenprodukte hinaus gibt es in Deutschland keine relevanten Fernzüge, die für eine Nicht-DB-Tochter echtes Geld verdienen. Mögliche Gründe hat das Prellblog schon mehrfach angesprochen: Ersatz wegfallenden Fernverkehrs durch bestellten langlaufenden Nahverkehr, Probleme mit der Anerkennung von Dritt- und Verbundfahrscheinen, Trassenknappheit, verdeckte Diskriminierung durch die DB.
Pessimisten gehen davon aus, dass dies systemimmanent ist; Verschwörungstheoretiker sogar davon, dass die Rahmenbedingungen absichtlich so angelegt wurden, dass nur die Ex-Staatsbahnen eine Chance im Fernverkehr haben werden. Im linken Flügel der Eisenbahn-Liberalisierungskritik geht man ohnehin davon aus, dass stamokapmäßig alle kleineren Bahnbetreiber von den privatisierten früheren Monopolen eingeschluckt werden.

Was denken nun Optimisten?
Möglicherweise, dass die revolutionäre Idee, die einem Konkurrenzanbieter den Markt aufschließen könnte, erst noch gehabt und implementiert werden muss. Vielleicht ist es beispielsweise möglich, eine Art Billigbahn analog zu den ungeheuer erfolgreichen Billigfliegern aufzumachen. (Ich unterstelle hierbei, dass zumindest die Marktführer Southwest und Ryanair nicht mehr gar so sehr auf die verdeckten Subventionen angewiesen sind, die unter anderem aus dem Kampf zwischen Zuschussgebern von Provinzflughäfen und Tagestourismuszielen erwachsen.) Versuche hierfür hat es schon gegeben, so die französischen Billig-TGVs und den italienischen TrenOK; allerdings waren das Staatsbahnangebote. In Deutschland scheint die ständige Ausweitung der pauschalierten Sparangebote der DB (»DauerSpezial«, »Quer-durchs-Land-Ticket«) darauf hinzuweisen, dass man versucht, den Markt gegen Billiganbieter dichtzumachen.

Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob es nicht einen Markt beispielsweise für Züge mit minimalem Service gibt (keine Zugbegleiter, ausschließlich Online-Tickets, keine Anerkennung von Fremdfahrscheinen, Bezahltoiletten, keine erste Klasse, keinerlei Bewirtschaftung, keine Fahrplanfaltblätter, keine Bordmagazine, entfeinerte Innenausstattung, enge Bestuhlung etc.), die verhältnismäßig lange Läufe zügig fahren, eventuell mit Flügelung, um mehrere Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ohne exorbitante Trassenkosten darstellen zu können. Die Preise müssten die Normalpreise des DB-Fernverkehrs deutlich unterbieten, bei nur unwesentlich längeren Fahrzeiten. Die Betreiber des Metronom oder die Hochbahn-Tochter Benex könnten so etwas meiner Ansicht nach ganz gut hinkriegen; es ist nur die Frage, ob die bereit wären, auf eigenes Risiko und/oder ohne staatseigenes Wagenmaterial zu operieren. Und natürlich, ob die Staatsbahn, die weiterhin das Netz betreibt, die notwendigen Trassen durch die Knoten anbietet - ohne Anerkennung von Fremdfahrscheinen müsste man natürlich in Städten wie Hamburg oder Berlin jeweils an mehreren Fernbahnhöfen halten, um das Einzugsgebiet zu sichern.
Insgesamt ist der Marktanteil der Eisenbahn heute höher als zu Zeiten wesentlich weniger weit fortgeschrittener Massenmotorisierung. Das Potenzial, noch viel mehr Fahrgäste auf die Schiene zu bekommen, ist da. Vielleicht ist ein radikal reduziertes Produkt, das zum Kampfpreis nichts anderes liefert als ein garantiert pünktliches Ankommen, der Schlüssel zum Markt für Drittanbieter?

Der Titel dieses Beitrags ist eine Anspielung auf den Titel eines französischen Artikels, « Vers une British Airways du Rail ? », der zu Beginn der deutschen Bahnreform befürchtete, die Vorreiterrolle der Ex-Staatsbahn DB bei der Öffnung der Netze könnte ihr eine ähnlich starke Position verschaffen wie die Vorreiterrolle der Ex-Staatsfluglinie BA bei der Deregulierung des Luftverkehrs.

Bild: Adam J. Smith bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)