Freitag, 28. November 2008

Aussetzer

Die Prüfungen liegen hinter mir, leider ist aus der Verspätung des Prellblogs ein Totalausfall geworden, aber man muss Prioritäten setzen. In nächster Zeit werde ich wieder ausführlicher Themen vorbereiten können; falls es Themenwünsche gibt, bitte jederzeit per Kommentar äußern - danke!

74: Unter Druck

Zur Einstimmung heute einmal eine moderne Sage aus meiner Stadt:
Etwa im Jahre 1912 kam eine Bäuerin aus der Schwalm in die Universitätsfrauenklinik nach Marburg, um sich wenige Wochen vor ihrer Entbindung nochmals untersuchen zu lassen. Die Schwalm ist eine Landschaft in Oberhessen, in der die Bäuerinnen bis zur Mitte [des 20.] Jahrhunderts die landesübliche Tracht mit enggeschnürter Wespentaille, mehreren kurzen Röcken übereinander und langen weißen Strümpfen trugen. [...] Der zuständige Arzt stellte nach der Untersuchung zu seiner Überraschung fest: »Sie haben bereits entbunden!« Auf diese Mitteilung hin war die Frau völlig außer sich [...]. Sie sei morgens mit der Kleinbahn nach Marburg gefahren. Allerdings sei ihr auf der Fahrt schlecht geworden, und sie habe für einige Minuten den Abort aufsuchen müssen. Der Arzt fuhr in richtiger Ahnung der Dinge sofort mit dem Fahrrad die Eisenbahnstrecke ab und fand tatsächlich wenige Kilometer von Marburg entfernt das neugeborene Baby unversehrt zwischen den Schienen liegen.
Die Bäuerin hatte, festgeschnürt in die Schwälmer Tracht und der Tradition entsprechend ohne Unterwäsche, das Kind auf dem Abort in einer Sturzgeburt verloren. [... D]er automatische Abortunterdeckel muß ebenso wie die Holzschwelle zwischen den Geleisen den Sturz abgebremst haben. (Rolf W. Brednich: Die Maus im Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute. München: C.H. Beck, 1994, Beck'sche Reihe 435, S. 133f.)
Die allermeisten LeserInnen meines Blogs werden noch Eisenbahnwagen kennen, in denen es solche Fallrohr-WCs gibt, auch wenn sie mittlerweile immer rarer werden. Früher gab es gar keine anderen. Die früheste Eisenbahnfahrt, an die ich mich erinnern kann, war übrigens 1984 oder 1985, aber damals galt generell, dass man Zugtoiletten nur in den allerschlimmsten Notfällen benutzte, und ich als Kleinkind hätte am allerwenigsten gedurft. Heute ist das anders - die meisten Zug-WCs sind in halbwegs zivilisiertem Zustand, wenn nicht gerade vandalisiert, und werden oft und gerne benutzt. Ob das mit dem Übergang vom Fallrohr zum Vakuum-WC zu tun hat?
Der Fallrohrabort hatte immer etwas Anrüchiges und Gefährliches, vielleicht, weil man beim Spülen gegebenenfalls ins Schotterbett sehen kann, vielleicht auch, weil es schwierig ist, so ein Ding zu benutzen, ohne darüber nachzudenken, wo die Hinterlassenschaften enden. Dass die Toiletten nur während der Fahrt benutzt werden sollen, trägt zu solchen Reflexionen noch bei. Immerhin bleibt es hierzulande bei der Empfehlung - anderswo, zum Beispiel in Russland, werden die Zugtoiletten in Fernzügen eine Viertelstunde vor dem planmäßigen Halt abgeschlossen und eine Viertelstunde danach wieder aufgeschlossen. Auch und gerade, wenn der planmäßige Halt eine sechsstündige Zollkontrolle ist. In meinem Transsib-Reisebericht ist davon zu lesen.
Das andere Extrem ist es, Fallrohr Fallrohr sein zu lassen und in den großen Bahnhöfen Leute mit Schaufeln anzustellen, die die Fäkalien wegschippen. Angeblich ist das in Frankreich heute noch so.

Mittlerweile hat sich das erstaunlich langweilige, höchstens durch die unerbittliche Gewalt, mit der es jegliche Materie durch seinen Schlund saugt, faszinierende Vakuum-WC durchgesetzt. Eine Pumpe setzt einen Tank unter Unterdruck, beim Spülen wird dieser mit der Schüssel verbunden; danach schaltet sich wieder die Pumpe ein.
Die französischen Fernzüge haben wohl keine Vakuumtoiletten, sondern drucklos spülende Chemie-WCs. Ich habe da keine persönliche Erfahrung, beziehungsweise: falls ich in den französischen Eurocitys und Eurostars, die ich kenne, mal auf die Toilette gegangen sein sollte, erinnere ich mich nicht mehr daran.
Der Grund, nicht mehr das alte Fallrohr, sondern Vakuum- oder Chemie-WCs einzusetzen, ist zumindest bei den schnelleren Zügen nur mittelbar der Komfort. Die Druckwellen bei Zugbegegnungen auf Schnellstrecken bei 160, 200, 250 km/h oder noch höheren Geschwindigkeiten könnten bei offenen WCs durch das Rohr nach innen durchschlagen, gegebenenfalls unter Mitnahme von Spülflüssigkeit und anderen Dingen.
Übrigens: Das Handwaschwasser in Zügen hat, zumindest bei der Deutschen Bahn, entgegen der Warnschilder Trinkwasserqualität. Die Tanks und Armaturen sind aus Kupfer und werden auch wie Trinkwasserinstallationen gepflegt, nur möchte die DB kein Geld für die notwendigen Genehmigungen ausgeben. Die Warnhinweise sind reine juristische Absicherung.
Bild: Tom Taylor (»Tom T«) bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)

Donnerstag, 20. November 2008

Ewige Wiederkehr des Gleichen

Nach einer rätselhaften Accountsperrung durch Arcor, bei weiterhin extrem unzuverlässiger Verbindung und mit der letzten Prüfung im Anzug verschiebt sich auch das heutige Prellblog um einige Tage. 

Sonntag, 16. November 2008

73: Gegenüberstellung

Vor einiger Zeit wurden bei einigen amerikanischen Verkehrsbetrieben unbestuhlte Wagen eingeführt, als Versuch, die ölpreis- und wirtschaftskrisenbedingten Fahrgastzuwächse in den Griff zu bekommen. Wenn man davon einmal absieht, sitzt man im Schienenverkehr, besonders auf längeren Strecken, gemeinhin, wozu mehr oder minder bequeme Sitzgelegenheiten vorgesehen sind.

Nun ist es so, dass Züge häufig die Fahrtrichtung wechseln, man also in einem und demselben Wagen einmal vorwärts und einmal rückwärts fahren kann. Die salomonische Lösung, einfach Längsbänke einzubauen, kommt zwar bei der Berliner U-Bahn gerade wieder in Mode, ist aber nicht besonders bequem und hat eigentlich nur den Vorteil, dass mehr Fußboden für Stehplätze frei bleibt.
Also baut man die Wagen so, dass die Hälfte der Sitze nach vorne, die andere nach hinten ausgerichtet ist. Damit Vorwärts- wie Rückwärtsfahrende auch auf beiden Seiten aus den Fenstern schauen können, unterteilt man den Wagen meistens quer und nicht längs. Und man streut hin und wieder Vierersitzgruppen, gerne mit Tischen, ein. Heraus kommt die typische deutsche Sitzlandschaft. Eine Variation mit recht fantasievollen Sitzanordnungen in »kleinen Großräumen«, kombiniert mit Abteilen, bieten die alten InterRegio-Wagen. Durchgesetzt hat sich diese sehr großzügige Anordnung allerdings letztlich nicht.
Anderswo gibt es, so ich mich recht erinnere, auch Großraumwagen, die auf der einen Seite des Gangs vollständig vorwärts reihenbestuhlt sind und auf der anderen rückwärts. Eleganter gelöst ist das Problem in Japan, wo bei vielen Zügen die Sitzreihen alle in dieselbe Richtung zeigen wie in Bus oder Flugzeug und vom Personal an den Endbahnhöfen umgedreht werden. Ich bin noch nie in Japan Bahn gefahren und gehe davon aus, dass dies nur auf Verbindungen so gemacht wird, die nicht über Kopfbahnhöfe führen.
In der Schweiz dagegen ist der Standard, was man hierzulande aus älteren S-Bahn-Fahrzeugen kennt: Die Vis-à-vis-Bestuhlung, bei der der gesamte Wagen ausschließlich mit Vierersitzgruppen bestückt ist. Dies hat nun den Vorteil, dass sich niemand mit einem Klapptischchen herumärgern muss, ist allerdings nicht ganz so raumeffizient wie die Reihenbestuhlung. Was nun angenehmer ist, daran scheiden sich die Geister - hier stößt man gegebenenfalls mit dem Knie an die Lehne der Vorderfrau, dort muss man mit seinem Gegenüber die Beine sortieren. Auch ist das gezwungene Gegenübersitzen mit Fremden auf kurze Distanz etwas, was bereits im neunzehnten Jahrhundert als gewaltige Nervenbelastung geschildert worden ist. Zwar ist man heute nicht mehr ohne Fluchtmöglichkeit miteinander in einem Abteil eingeschlossen wie vor hundertfünfzig Jahren, aber heute wie schon seinerzeit gilt, dass man in der Bahn hauptsächlich liest, um präventiv den Blickkontakt und das Gespräch mit anderen zu vermeiden.

Was ich bei alledem auch nach Jahren noch nicht so ganz verstehe, ist, warum es vielen Menschen beim Rückwärtsfahren schlecht wird (oder sie dies zumindest glauben). Gibt es dazu medizinische Erkenntnisse?

Bild: Ashley Pollak bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 14. November 2008

Betrieblicher Engpass

Da ich in den letzten beiden Tagen mündliche Hauptfachprüfung und Geburtstag hatte, bitte ich um Verständnis dafür, dass das Prellblog, das gestern fällig gewesen wäre, wohl erst morgen kommen wird.

Donnerstag, 6. November 2008

72: Projekt Eiertanz 8: Die lange Bank

Nach einigem Lärm um die Sonderzahlungen, die der Bahn-Vorstand im Falle eines geglückten Börsengangs erhalten sollte, und vor der Kulisse einer weltweit in sich zusammenfallenden Wirtschaft ist die teilweise Kapitalprivatisierung der DB ML AG nun endgültig auf unbestimmte Zeit vertagt worden.

Die einen triumphieren, die anderen beweinen es; von der Rückkehr zur verkehrspolitischen Vernunft bis zur völligen Einstellung jeder Verkehrspolitik, die diesen Namen verdient, werden die unterschiedlichsten Etiketten an diesen Vorgang gehängt. Vermutlich wird der Traum von der volkseigenen Einheitsstaatsbahn, die sich nicht mehr in Ausschreibungen bewähren muss und gepflegte Bürogummibäume wieder höher als Effizienzsteigerung und Neuverkehrsakquise priorisieren kann, bei den üblichen Verdächtigen nun wieder lauter geträumt, aber zu rechnen ist damit nun wahrlich nicht. Man kann sich nun anderen Themen zuwenden, das ist nicht schlecht.

Eines dieser Themen ist die Tranche im gerade beschlossenen Infrastrukturpaket, die der Schiene zugute kommen soll. Ich hatte schon Probleme, überhaupt die Höhe der Investitionen ausfindig zu machen (Straße und Schiene gemeinsam wohl zwei Milliarden Euro), und in welche Bereiche sie gehen sollen, weiß ich auch noch nicht. Das sinnvollste wäre es wohl, damit einfach das Bautempo bei laufenden Großprojekten (Nürnberg-Erfurt-Halle/Leipzig!) zu erhöhen und eventuell überbleibende Mittel in bereits ausgeplante kleinteilige Maßnahmen zu stecken, wie zum Beispiel Bahnübergangsbeseitigungen und Bahnhofsmodernisierungen.
Man wird sehen, was rumkommt. Der gegenwärtige Bundesverkehrswegeplan würde auch eine Verzwanzigfachung des Eisenbahnbudgets vertragen, ohne dass man sich so schnell Gedanken um neue Projekte machen müsste. Dass auf der anderen Seite ohne Not und ohne jeden verkehrspolitischen Sachverstand eine riesige Summe an Steuererleichterungen den AutofahrerInnen hingeworfen wird, in Zeiten, in denen die Deutschen allmählich erkennen, dass es nicht ehrenrührig ist, kein Auto zu haben, wenn man keines braucht (und eine zweistellige Millionenzahl braucht keines) - dazu wird der Chronist versuchen zu schweigen.

Es ist so oder so sicher nicht schlecht, den Börsengang verschoben zu haben, der ohnehin, wenn überhaupt, aus Angst vor einem völligen Scheitern ohne Rücksicht auf die enttäuschenden Einnahmen durchgedrückt worden wäre. Ordentliches Staatshandeln sieht anders aus. Die derzeit grassierende Mode, alles Schlechte dieser Welt bei der Jagd von Unternehmensvorständen nach Boni zu suchen, muss man trotzdem nicht mitmachen, und schon gar nicht gleich noch behaupten, dass die aktuellen Radsatzwellenprobleme verschiedener ICE-Baureihen durch den bösen Börsengang bedingt seien.

Bild: »Priwo« bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)

Sonntag, 2. November 2008

71: Banana.

Am 24. Oktober wurde mit dem Spatenstich zu Umbaumaßnahmen im Eisenbahnknoten Hamm sowie in den Gleisanlagen des Hafens Duisburg offiziell die Umsetzung des »Sofortprogramms Schiene Seehafen-Hinterland-Verkehr« begonnen. Die Idee ist es, die Kapazitäten der aus allen Nähten platzenden Eisenbahnanbindungen der Seehäfen nach Süden zu steigern. Insgesamt sind dabei 24 Maßnahmen für insgesamt 305 Millionen Euro geplant, von denen die DB etwa 50 Millionen selbst trägt.
Das Sofortprogramm ist ein Kind des »Masterplans Logistik« und damit des Jahres 2007. Verkehrsplanung hat sich hier für ihre Verhältnisse geradezu phänomenal schnell abgespielt. Es sollen zusätzliche Gleise entstehen, mehr Weichenverbindungen, mehr kreuzungsfreie Einfädelungen, längere Überholbahnhöfe und was es dergleichen noch alles gibt.

Das Problem, dass der Güterverkehr sich nach wie vor durch einige Flaschenhälse zwängen muss, ist damit allerdings nicht behoben, nur gelindert. Wirklich große Kapazitätserweiterungen kann es nur geben, wenn die Knoten auch umfahren werden können, und dazu braucht es neue Strecken. Die so genannte Y-Trasse von Hannover nach Hamburg und Bremen steht im Fokus der Aufmerksamkeit, allerdings wird sie kaum Güterverkehr aufnehmen; wie zum Beispiel die Neubaustrecke Köln-Frankfurt auch wird sie einen Effekt auf den Güterverkehr hauptsächlich dadurch haben, dass der Schnellverkehr von den Altstrecken heruntergenommen wird.
Auf diesen Altstrecken, die durch die Knoten (und damit meistens durch dicht besiedelte Ballungsräume) führen, möchte man aber eigentlich eher nicht noch mehr Güterzüge auf die freiwerdenden Trassenplätze setzen, sondern mehr Nahverkehr. Auch ist die Logik, die vor allem nachts fahrenden und sehr lauten Güterverkehre mitten durch Städte, die Schnellzüge aber außen herum zu leiten, nicht gerade bestechend.
Am Isteiner Klotz, wo in einigen Jahren der Katzenbergtunnel eröffnet werden soll (siehe Prellblog 34), befürchtet man bereits jetzt eine Unterdimensionierung der Anbindungen, die zusätzliche S-Bahn-Verkehre unmöglich macht und die Situation zementiert, dass Güterzüge über die Altstrecke geleitet werden müssen. In Niedersachsen rechnet man mit ähnlichen Problemen.

Was also her muss, sind Güterzugumfahrungen, wie sie einige Städte schon haben; Strecken, die den Verkehr um die Städte lenken statt durch sie hindurch, so dass keine Güterzüge mehr durch hoch belastete Stadtbahnhöfe gefädelt werden müssen. Dabei wird dann nur einiges doppelt gemoppelt: So wird die Y-Trasse es eventuell mittelfristig erforderlich machen, eine teure neue Umfahrung von Hannover zu bauen - ein Grund mehr für viele KritikerInnen, das Projekt in Gänze abzulehnen und statt dessen mehr oder minder präzis formulierte Ausbaupläne für das bereits vorhandene niedersächsische Schienennetz, die Strecken nichtbundeseigener Eisenbahnen eingeschlossen. Nur hat der Bund qua Gesetz keinen Auftrag, sich um diese Strecken zu kümmern, und ob man so viel aus ihnen machen kann, wie man gerne hätte, steht weiter zur Debatte.
Man kann sich nur einer Sache sicher sein: Wie man an der Situation beim zaghaft angeplanten Güterbypass nördlich Basel erkennen kann - das erste, was entsteht, wenn irgend jemand irgendwo irgend ein Gleis verlegen will, ist eine Bürgerinitiative. Böse Zungen behaupten, das seien dann gerne dieselben Bürger, die massive Verlagerungen von Lkw-Verkehren auf die Schiene fordern; und noch bösere Zungen behaupten gar, sie täten das vor allem, um selber auf der Autobahn wieder zügig durchfahren zu können.

Der Titel dieses Artikels entstammt dem englischsprachigen Planungsjargon und ist eine Abkürzung für »Build absolutely nothing anywhere near anything«.

Bild: Uli Harder bei Flickr (Details und Lizenz)